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Des Dramas dritter Akt

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ERINNERUNGEN 1957—1938. Von Konrad Adenauer. III. Bd. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. Zirka 500 Seiten. DM 24.80.

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ERINNERUNGEN 1957—1938. Von Konrad Adenauer. III. Bd. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. Zirka 500 Seiten. DM 24.80.

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Der dritte Band von Konrad Adenauers Erinnerungen ist kürzlich auf dem deutschen Buchmarkt erschienen und gibt einige besonders wesentliche Einblicke in die deutsche Politik zwischen 1957 und 1959. Ein vierter Band soll noch folgen. Adenauer hat ihn in den Umrissen fertiggestellt, einige Teile auch schon diktiert. Der Historiker Buchheim, der ihm schon bei der Auswahl des Materials an Hand gegangen war, soll ihn herausgegeben und durch Erläuterungen vervollständigen.

Besonders deutlich wird im dritten Band die Grundlage der Politik, die der damalige amerikanische Außenminister John Foster Dulles und Adenauer gegenüber Moskau für angebracht hielten. In mehreren Briefen, die sie miteinander wechselten, tritt immer wieder der Gedanke hervor, die Sowjetunion habe so umfangreiche wirtschaftliche und innerpolitische Aufgaben vor sich.

dazu müsse sie — wie Adenauer einmal schrieb — „die unterdrückten Staaten niederhalten“, daß sie sich durch zu große Rüstungsvorhaben übernehmen würde.

Adenauer und sein Außenminister von Bretano sahen schon zu dieser Zeit „Einbrüche“ in der Meinung des Westens, die von Sowjetrußland erzielt waren und als frühe Vorboten der heutigen Entspannungspolitik gelten können.

Auf der anderen Seite enthält der dritte Band von Adenauers „Erinnerungen“ zwei Vorgänge, die erkennen lassen, mit welcher unbeirrbaren Konsequenz die sowjetische Deutschlandpolitik seit Jahr und Tag betrieben wurde. Mitte der fünfziger Jahre berichtete der französische Ministerpräsident Guy Mollet dem Bundeskanzler, daß Chruschtschow ihm in Moskau gesagt hatte: „Wir ziehen es vor, 18 Millionen Deutsche auf unserer Seite zu haben, als 70 Millionen gegen uns oder bestenfalls neutralisiert.“ Zum anderen schrieb der damalige sowjetische Ministerpräsident Bulganin bei Beginn eines Briefwechsels mit Adenauer im Jahre 1957 unter anderem: „Die Sache der Vereinigung Deutschlands wird keine Fortschritte machen, so lange man die Tatsache zu ignorieren sucht, daß zwei deutsche Staaten bestehen.“ Es ist dies die gleiche Politik, die noch heute vom Kreml verfolgt wird. Sie verleugnet das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen. Alle zwischenzeitlichen Aufgeschlossenheiten Moskaus zu „guten Beziehungen“ mit Bonn müssen in diesem Lichte gesehen werden.

Im Frühjahr 1958 führte Adenauer mehrere Gespräche mit dem Bonner Sowjetbotschafter Smirnow, die den üblichen Rahmen sprengten. Im zweiten Gespräch ging Adenauer bis zu der Frage: „Wäre Sowjetrußland bereif, der Sowjetzone den Status Österreichs zu geben?" Smirnow erschien nach Adenauers Darstellung überrascht und verwirrt, und Adenauer fügte hinzu, er sei mit seiner Frage zu weit gegangen, seine Landsleute würden ihn möglicherweise „steinigen", wenn sie davon hörten. Aber Adenauer kam trotz aller Anstrengungen mit Moskau in der deutschen Sache nicht weiter, auch nicht als Mikojan im Jahre 1958 nach Bonn kam, der damals Erster Stellvertretender Ministerpräsident war.

Ein weiterer Höhepunkt ist die Schilderung der ersten Begegnung Adenauers mit de Gaulle im Jahre 1958 in Colombey les deux ėglises. Adenauer gesteht, daß er „mit großer Sorge“ zu dem General fuhr, weil er befürchtete, ihre Denkweise sei so verschieden, daß eine Verständigung „außerordentlich schwierig“ wäre. Indes fand Adenauer, daß de Gaulle, der vor kurzem Staatspräsident geworden war, anders war, als Adenauer ihn nach den Berichten aus der Presse erwartet hatte. In bemerkenswerter Weise kamen schon damals die künftigen Elemente der Ostpolitik de Gaulles zum Vorschein. Der General führte aus, Europa müsse wiederbelebt werden, und fuhr fort: „Wir müssen den Frieden nach Osten ausdehnen, nach Polen zum Beispiel, das nicht in asiatische Hände fallen darf. Das trifft auch zu für die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und — warum nicht — für das europäische Rußland.“

Das Schlußkapitel beschreibt, zum Teil in dramatischer Weise, die Ereignisse um die Bundespräsidentenwahl 1959. Adenauer war zeitweilig bereit, selbst zu kandidieren, doch zog er später seine Kandidatur zurück. Daraus ist ihm in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder der Vorwurf gemacht worden, er habe mit der Verfassung, wie man zu kritisieren pflegte, „gespielt". Die

„Erinnerungen“ zeigen jedoch dokumentarisch, daß Adenauer nur ein Ziel hatte, die Übernahme des Kanzleramtes durch Ludwig Erhard zu verhindern, den er hierzu für ungeeignet hielt. Als Adenauer erkannte, daß er als Bundespräsident die Kanzlerschaft Erhards nicht verhindern könnte, entschloß er sich, doch nicht selbst Bundespräsident zu werden, sondern Bundeskanzler zu bleiben. Seine Einschätzung der Erhard- schen Fähigkeiten — großer Sachkenner in Wirtschaftsfragen, aber ohne politisches Fingerspitzengefühl und mit einer negativen Einstellung zum Europa der Sechs — hat Adenauer wiederholt Erhard gegenüber persönlich sowohl mündlich wie schriftlich offen zum Ausdruck gebracht.

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