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Alternativen für christliche Demokraten

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Mit dem jetzt erschienenen vierten Band der Biographie des Vorkämpfers einer christlichen Demokratie und einer Wiedervereinigung Deutschlands Jakob Kaiser ist dieses Werk abgechlossen (Band 1: In der christlichen Arbeiterbewegung vor 1933, Band 2: Im Widerstand gegen Hitler, Band 3: Politiker zwischen Ost und West 1945 bis 1949, Band 4: Bundesminister für gesamtdeutsche Angelegenheiten 1949 bis 1957).

Das Studium des abschließenden Bandes in diesem Sommer 1972 erhellt die oft furchtbare Wahrheit des Satzes: Geschichte ist Gegenwart und die Oberflächlichkeit der Behauptung, wonach nichts erfolgreicher ist in der Politik als der Erfolg. Kaisers Biographie macht einmal mehr erkennbar, daß die jetzt vollzogene Perennierung des Provisoriums in der deutschen Frage ex 1945 nicht nur die Folge des Mangels einer nationalen Solidarität, einer inkompetenten Regierungspolitik und einer ebensolchen Oppositionspolitik in Bonn ist. Vielmehr wird der hohe Preis für geschichtliche Versäumnisse und Fehlleistungen der vierziger und fünfziger Jahre fällig und kassiert. In einer Stunde wie dieser zeigt es sich aber auch, daß die christlichen Demokraten in eine politische Schüttzone gerutscht sind und daß die in ihren Parteien während der Spätsituation der Ära Adenauer, De Gasperi und Raab entstandene Ein-fältigkeit und Ein-schichtigkedt sie vorläufig außerstande setzt, in aktuellen Fundamentalentscheidungen standfest zu sein. Einmal mehr erweist es sich, daß nicht alles erfolgreich ist, was momentan nach Erfolg ausschaut.

In diesem abschließenden Band wird das unverrückbare Primärziel Kaisers, die Wiedervereinigung der getrennten Teile Deutschlands, bis zuletzt erkennbar. Sorgfältig wird erkundet, wie Kaiser von seinem potentiellen Bundesgenossen in dieser Frage, vom SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher, durch dessen politischen Rigorosismus und durch das Dilemma der deutschen Sozialdemokratie nach dem Abschwenken ihrer ostzonalen Formation zur kommunistischen SED, geschieden war. Und wie Kaiser in der Person seines Parteifreundes Konrad Adenauer nicht nur auf den unbeirrbaren Vorkämpfer einer Westintegration stieß, sondern auf die Verkörperung eines politischen Integralismus, in dem politische Gradlinigkeit in einer Politik ohne Alternativen erstarrte.

Kaiser stellt vom Anfang an in Rechnung, was für viele angesichts des vorbehaltlosen Bekenntnisses zur „freien Welt des Westens“ fast unaussprechlich und undenkbar war: Die Hindernisse für die Freigabe einer selbständigen Entwicklung innerhalb aller Deutschen zur Lösung ihres nationalen Schicksals lagen und liegen nicht nur im kommunistischen Osten, sondern ebenso im Westen, bei Frankreich und bei den USA mit ihren zuletzt im zweiten Weltkrieg verfolgten Zielen. Die Vorstellung der CDU, für ihre anfängliche Opposition gegen die Bonner Ostverträge 1971/72 bei den Westmächten Orientierung oder Verständigung zu finden, mußte sich daher als eine Utopie erweisen. Und: qui trop embrasse, mal etraint. Nach 20 Jahren des Genusses eines nie gekannten Wirtschaftswunders in der freien Welt des Westens war es eine Herausforderung des Schicksals, auf jene nationale Kapazität der Deutschen zu rechnen, die notwendig ist, um eine Politik der Wiedervereinigung Deutschlands durchzustehen. Der vorliegende Band beschreibt die unwiederholbare Ausgangslage der christlich-demokratischen Bewegung in Westdeutschland von 1949: Konrad Adenauer, Jakob Kaiser und Gustav Heinemann (jetzt als Bundespräsident längst Exponent der SPD) stehen als Sprecher des „gesamten Unionsprogrammes“ in einer Front. Das anfängliche Programm eines „Dritten Weges“ zwischen doktrinär-dirigistischem Sozialismus und kapitalistischem Wirt-schaftsliberalismus (den gleichzeitig in Österreich Felix Hurdes und Lois Weinberger in enger Beziehung zu Jakob Kaiser suchten) erlitt nachher die bekannten und jetzt spürbaren

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