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Männer und Mollusken

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Für das heutige Deutschland ist eine wesentlich andere politische Situation als in Österreich dadurch gegeben, daß Deutschland noch immer ein Land ohne eigene Regierung ist. Das deutsche Volk hat keinen ordnendes Mittelpunkt, an dem es wieder einen Halt findet. In Österreich ist bei allem Zwiespalt der Besatzungsmächte, bei allen gegebenen Schwierigkeiten doch die Regierung ein festes Zentrum, ist Ausdruck und Organ staatlicher Zusammengehörigkeit.

JakobKaiser, der tapfere Vorsitzende der Christlich-demokratischen Union der Ostzone (CDU), er, einer der. wenigen Überlebenden aus dem Kreis der kühnenMännerdes2 0.Julil94 4, hat schon frühzeitig die ungeheure Gefahr erkannt, die sich aus der Aufspaltung Deutschlands in zwei durch kein einigendes Bjund verknüpfte Teile für Europa und für die Welt ergibt. Er sieht die Aufgabe aller Deutschen und besonders der deutschen Politiker darin, die politische Zerreißung Deutschlands mit aller Kraft zu verhindern. Alles sei zu versuchen und dazu beizutragen, daß die trennenden und zerreißenden Wirkungen der Beschlüsse von Teheran und Jalta für Deutschland überwunden werden. Es sei aber auch notwendig, daß die politischen Parteien Deutschlands wirklich deutsche Parteien werden. Er fordert deshalb Loslösung von einer gewissen Besatzungshörigkeit und einem Befehlsempfängertumdeut- scherPolitiker. Wie konsequent Jakob Kaiser diesen Weg der Eigenständigkeit seiner Partei, der Ostzonen-CDU, deren erster Vorsitzender er ist, vertritt, zeigte sich in der im Dezember 1947 ausgebrochenen „K rise" um Jakob Kaiser und die Christlich-demokratische Union.

Auf einer Sitzung des erweiterten Vorstandes der Union der Ostzone und Berlins am 12. Juli 1947 hafte sich Kaiser von der „Blockpolitik", zu der die „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ (SED) die Ostzonenparteien veranlassen wollte, losgesagt. Die zu erwartende Antwort war bekanntlich der Versuch der SED, Kaiser als Führer der CDU zu stürzen. Die Geschichte dieses An griffs verdient vermerkt zu werden. Den unmittelbaren Anlaß zur „Krise“ in der CDU gaben jene verwirrenden und peinlichen Geschehnisse um den „Deutschen Volkskongreß“, dem die Rolle zugedacht war, die Blockpolitik abzulösen und eine weitere Etappe zu „volksdemokratischer“ Herrschaft in der deutschen Ostzone zu eröffnen.

Aus Anlaß der Londoner Konferenz ging von der SED die Initiative zu einer deutschen Einheitsbewegung aus, deren Träger die breiten Volksmassen sein sollten. „Deutsche Patrioten aller Parteien hatten erkannt, daß die Versuche der schwerfälligen Politiker allein vergeblich waren“, erklärte die „Tägliche Rundschau“, das Blatt der SMA (Sowjetische Militärverwaltung der Ostzone). Das war der Auftakt für die Bewegung des „Volkskongresses für Einheit und gerechten Frieden“. Sie sollte die Aufgabe haben, sich mit „elementarer Kraft über ganz Deutschland auszubreiten und alle Schichten der Bevölkerung, alle Parteien und demokratischen Organisationen zu erfassen. Für den 6. Dezember 1947 wurde dieser „Deutsche Volkskongreß" nach Ber- 1 i n einberufen, „damit der Wille des deutschen Volkes in London gehört werde“. Der wirkliche Zweck war nicht zweifelhaft. Alle Parteien wurden aufgefordert, an diesem Kongreß durch Delegierte teilzunehmen. Indes der Vorsitzende der Liberalen Partei (LPD) der Ostzone, Dr. Wilhelm Külz, sich dazu bereit erklärte, eröffnete Jakob Kaiser den Veranstaltern, daß seine Partei gemäß einem. einstimmigen Vorstandsbeschluß das Erscheinen ablehne, da nach der Absage der Sozialdemokratischen Partei (SPD) der Volkskongreß ohnehin von keiner positiven Bedeutung mehr sein könne. Ein solcher Kongreß würde den Graben zwischen Ost- und Westdeutschland nur noch mehr vertiefen. Denn, so fügte Kaiser hinzu, „wer Realpolitiker sein will, muß wissen, wie sehr die Propaganda für die deutsche Einheit durch den doktrinär-revolutionären Weg der Sozialistischen Einheitsparten der Ostzone ins Zwiellicht gerückt worden ist“. .

Der Volkskongreß fand am 6. Dezember 1947 statt. An den Besprechungen waren entgegen dem Vorstandsbeschluß 107 Funktionäre der Christlich-demokratischen Union (CDU) aus den verschiedenen Ländern der Zone anwesend. Sofort folgerte daraus die SED-Presse, eine „Krise der CDU“ sei ausgebrochen, nur eine kleine Clique um Kaiser sabotiere den Volkskongreß, die weitaus größte Anzahl der CDU-Funktiofläre stehe zu Otto Nuschke, einem Vorstandsmitglied der Christlich-demokratischen Union, das sich für den Volkskongreß ausgesprochen hätte. Die SED verlange daher die Absetzung Kaisers und die Berufung Nuschkes zum Vorsitzenden der Ostzonen-CDU.

Jakei) Kaiser setzte alsbald mit einer öffentlichen Erklärung die Teilnahme der 107 Funktionäre am Volkskongreß ins rechte Licht. Die politische Vertrauensbasis, wie sie auf der letzten Jahrestagung der CDU für Ernst Lemmer und für ihn, Kaiser, einmütig zum Ausdruck kam, bestehe weiter.

„Allerdings“ — fuhr Kaiser fort — „kam durch die Ausführungen von Professor Rickmann am 11. Dezember in bewegender Weise zum Ausdruck, daß die Linie der Politik, wie sie nach den Grundsätzen der Union geboten ist, ų b e r die Kraft unserer Menschen in der Ostzone geht. Der Sinn dieser Erklärung bedeutet nicht, daß die eigenständige Politik der Union falsth ist, sondern daß die Innehaltung dieser Linie vielen Verantwortungsträgern der Union von dritter Setite erschwert wird. Nach allem, was bekanntgeworden ist, haben sich die Erschwernisse in den letzten Wochen bis zur Unerträglichkeit gesteigert.“

Ober die Methoden, mit denen der „Volkskongreß“ zustande gebracht worden sei, sagte Kaiser, daß Männer der Christlich-demokratischen Union mit Tränen vor ihm gestanden haben, vor Scham, daß sie dem Zwange Folge leisteten. Die Erniedrigung der Menschen durch Zwang sei für Kaiser noch nie so in Erscheinung getreten wie in dem Geschehen um Volkskongreß und Union.

Der weitaus größte Teil der Mitglieder hat die eigenständige Linie der Union, die gerade und saubere Haltung Jakob Kaisers vorbehaltlos bejaht und sogar verlangt. Zahllose Vertrauenskundgebungen der Union aus Stadt und Land der Ostzone brachten die Treue zu Kaiser überwältigend zum Aus druck. Kundgebungen aller Art von Kreis- und Ortsverbänden, Studenten und Arbeitern, Frauen und Angehörigen der „Jungen Union“. Berge Briefe und Entschließungen mit vielen Unterschriften liefen, ein. Es meldeten sich selbst Männer, die am Volkskongreß teilgenommen hatten. Trotz aller Verkehrsschwierigkeiten kamen viele nur zu dem Zweck nach Berlin, um Jakob Kaiser ihres Vertrauens zu versichern und ihn über die wahre Stimmung der Union der Ostzone und ihr treues Festhalten zu unterrichten. Der Versuch der SED, Desertionen aus dem Lager des tapferen katholischen Volksführers zu inszenieren, mißlang völlig.

Auch die russische Besatzungsmacht konnte sich der Persönlichkeit Jakob Kaisers nicht ganz entziehen. Die Offiziere der SMA Berlin warteten erst die Befehle Moskaus ab, ehe sie sich zu einem Vorgehen gegeą Kaiser entschlossen. Und das amerikanische Berliner Blatt, „Der Tagesspiegel“, das Kaiser wiederholt wegen seiner furchtlosen Kritiken angegriffen hatte, verbeugte sich mit den Worten vor dem Menschen Kaiser: „Kaiser steht heute da als ein Mensch von äußerster Ehrlichkeit und Trdue zu seiner Idee, unangeta fet und unantastbar, und es wäre ein höchst wertloses Beginnen, dagegen eine Bilanz der politischen Klugheit aufzumadien. Wir sind mit manchen Schritten Kaisers nicht einverstanden gewesen; das bleibt für den historischen Rückblick bestehen. Es wird vielleicht auch in Zukunft seine Bedeutung haben, für die Gegenwart aber ist sein Name zu einem Symbol für die Freiheit geworden und demgegenüber hat jeder Einwand za schweigen.“

Nach dem Scheitern aller Versuche der SED, eine Spaltung der Christlich-demokritischen Union und den Sturfc Kaisers herbeizuführen, rief die Sowjetische Militärverwaltung (SMA) den Landesvorsitzenden der CDU , Brandenburg, Dr. Wolf, zu einer längeren Besprechung und forderte man ihn auf, den Vorstand seines Landesverbandes zu einem Mißtrauensvotum gegen Jakob Kaiser und seine Politik zu veranlassen. Daraufhin begab sich eine Abordnung des Landesverbandes zu Kaiser und forderte ihn auftragsgemäß zum freiwil ligen Rücktritt auf. Jakob Kaiser lehnte dieses Ansinnen mit der Begründung ab, daß ihn nur ein Zonenparteitag zum Rücktritt veranlassen könne.

Nun wurde der Druck in dramatischer Steigerung verschärft. Russische Offiziere suchten Kaiser auf und legten ihm im Auftrag der SMA nahe, zurückzutreten. Kaiser bedauerte, dem Wunsche der SMA nicht entsprechen zu können. Ihn könne nur ein Zonenparteitag oder ein direkter Befehl der russischen Militärverwaltung zum Rücktritt veranlassen. Während die „Krise um Kaiser“ dem Höhepunkt zustrebte, liefen ununterbrochen zahllose Treuekundgebungen bei Kaiser ein, in denen er aufgefordert wurde, festzubleiben und von seiner politischen Linie nicht abzuweichen.

Die SMA berief nun die sechs Landesvorsitzenden der CDU der Ostzone nach Karlshorst, dem Sitz der russischen Militärverwaltung. Man suchte dort mit nachdrücklicher Begründung die Landesverbandsvorsitzenden zu einem Mißtrauensvotum zu bewegen. Die Erschienenen mußten jedoch darauf verweisen, daß Jakob Kaiser nach wie vor das uneingeschränkte Vertrauen der Partei besitze, er und Lemmer seien demokratisch gewählt und könnten nicht einfach durch irgendeine Verfügung von seiten der Parteifunktionäre enthoben werden.

Die Besprechung wurde resultatlos abgebrochen, wurde aber nach einigen Tagen auf Veranlassungl der SMA wieder aufgenommen. In dieser Unterredung ließen sich einige der Landesvorsitzenden herbei,

ihren Verbänden vorzuschlagen, sich „trotz des Vertrauens zu Jakob Kaiser“ so lange von der Zonenlei- t u ri g zu trennen, bis die „Basis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit“ zwischen dieser und der SMA wieder hergestellt, sei.

Daraufhin entschied sich die russische Militärverwaltung „in Würdigung des Beschlusses“ ihrerseits, die Verbindung zu Kaiser und Lemmer abzubrechen. Die SMA Karlsh,orst teilte dem Generalsekretär der CDU Georg Dertinger und dem Vorstandsmitglied Otto Nuschke mit, daß sie „bis auf weiteres“ die sechs Landesvorsitzenden als oberste Vertretung der CDU betrachte. Zur Wahrnehmung der laufenden Geschäfte schlug die russische Administration Otto Nuschke vor.

Ein direkter Absetzungsbefehl der SMA Karlshorst liegt bis heute nicht vor. Jakob Kaiser und Ernst Lemmer betrachfen sich — so lange kein anders lautender Befehl der SMA vorliegt — weiterhin als die legitimiertet! Vertreter der CDU. Die Möglichkeit, durch Einberufung eines außerordentlichen Parteitages eine Änderung der Lage herbeizuführen, wird als sehr gering angesehen.

Die Festigkeit,' ruhige Mäßigung und Klugheit, mit der Jakob Kaiser die Sache der Union und mit ihr auch die Freiheit und Eigenständigkeit der deutschen Volksrechte in der Ostzone gegen Verlockung und gewaltsamen Druck vertritt, haben ihn zu dem volkstümlichsten Mann der deutschen Ostzone gemacht. Auf ihm ruhen viele Hoffnungen.

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