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Konrad Adenauer: 1949 bis 1963

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1949—1963: In 14 Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland, das Besatzungsgebiet der westlichen Siegermächte des zweiten Weltkrieges, ohne eigene Wehrmacht, ein Schutthaufen und Trümmerfeld, ein Raum von Ruinen, in den die Flüchtlinge aus dem Osten immer noch und immer noch mehr hereinströmen, zu dem geworden, was sie heute ist:

Ein Staat von rund 54 Millionen Einwohnern (nach der Zählung vom 6. Juni 1961). Die stärkste Wirtschaftsmacht des kontinentalen Europas, Ein Staat, der seine wirtschaftliche Unterstützung ebensosehr Amerika, England wie etwa afrikanischen Staaten zukommen lassen kann. Ein Staat, der eben diesen jungen afrikanischen Staaten auch militärische Ausbilder zur Verfügung stellt und, wie es eben Konrad Adenauer in einem Interview für „Le Figaro“ erklärt hat, sich befähigt weiß, sowohl der multilateralen NATO-Atomstreitmacht wie auch der von Frankreich vorgeschlagenen europäischen Atomstreitmacht anzugehören.

Dieser Staat ist ein hochgeachtetes Mitglied großer internationaler Organisationen wie der NATO, der WEU, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, des Europarates, der EGKS, OECD, Euratom und von Sonderorganisationen der UNO.

Dieser Staat erscheint in den Jahren 1949 bis 1963 mit der Person des Bundeskanzlers Dr. Dr. h. c. Konrad Adenauer verbunden.

„Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern. Der Bundeskanzler bestimmt nach Artikel 65 Grundgesetz die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundes- mir--. seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Der Bundeskanzler leitet die Geschäfte der Bundesregierung nach der von ihr beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung der Bundesregierung vom 11. Mai 1951 (GMB1. S. 137).'

Konrad Adenauer hat es verstanden, diese seine Möglichkeiten bis zum Letzten auszuschöpfen: die „Richtlinien“ der Politik zu bestimmen; die Geschäfte der Bundesregierung zu leiten; mit Hilfe seiner Minister und, wenn diese selbst bisweilen nicht willfährig erschienen, mit Hilfe ihrer Staatssekretäre,; die ihm sein unersetzlicher und unentbehrlicher Mitarbeiter, Staats Sekretär Hans Globke, regiemäßig betreute.

Es hat guten Sinn, daß die offiziellen Feiern für den 65. Geburtstag Globkes, der mit seinem Meister aus dem Amt scheidet, den letzten Wochen der Ära Adenauer einen Akzent geben.

Die Ära Adenauer ist ein durch tausend Fäden lückenlos mit der deutschen politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, militärischen, mentalen Vergangenheit verbundener Abschnitt deutscher Geschichte. Diese Kontinuität ist die Quelle ihrer Kraft — der Kräfte, die sie zu mobilisieren vermochte.

Nach 1945 wähnten nicht wenige Menschen in und um Deutschland, in einer Nullpunktsituation zu stehen. Man sprach von „Umerziehung“, von der Notwendigkeit, „ganz neu“ anzu- fangön. Man erwog, in Kirche, Staat, Partei (gerade auch in der CDU — vor und um das Ahlener Programm), rund um Schule und Hochschule, Experimente — Modelle neuer Institutionen und ! gesellschaftlicher Gebilde — zu schaffen. Tausend Traktate und Traktätchen und eine Handvoll bemühter Zeitschriften (die fast alle starben) setzten sich mit der Problematik eines „neuen Menschen", eines „neuen Deutschen“, eines „jungen Christen" und „Demokraten“ auseinander. Von einer neuen Wehrmacht sprach man nicht.

Dr. Konrad Adenauer, ein Mann, der sein ganzes Weltbild, festgefügt und solid, der Zeit vor 1914 verdankt, erfaßte mit der Kraft eines vitalen Instinkts bereits 1949, was mühsame soziologische Untersuchungen vielfach erst 1962 63 statistisch zu erfassen sich bemühen: eine massive Kontinuität der gesellschaftlichen und mentalen Strukturen des deutschen Volkes, dessen Oberschichten vielfach seit 1870, mindestens seit der Jahrhundertwende, intakt, das geblieben sind, was sie sind. Der Schock des Zusammenbruchs von 1945 vermochte ebensowenig wie gewisse Wirrungen ab 1932 das scharf spähende Auge dieses Mannes zu trüben.

Was ersah Konrad Adenauer?

Er ersah ein überaus arbeitswilliges und arbeitsfähiges Volk, in dem ein Korps von Beamten, Richtern, Lehrern seit wilhelminischen Zeiten ungebrochen übersommert und überwintert hatte: weder der erste Weltkrieg noch das Dritte Reich hatte diese Kader, diese relativ geschlossenen Gesellschaften — besonders in der höheren Beamtenschaft und in der Richterschaft verkörpert — zu ändern oder gar aufzulösen vermocht. Der Zusammenbruch von 1945, wohl auch einige besondere Vorkommnisse ab 1933 mochten diesem fachlich hochbegabten Menschen als ein Betriebsunfall erscheinen! Jetztkam es nur auf eines an: auf den Wiederaufbau. Zuerst der Wirtschaft. In Ludwig Erhard fand Konrad Adenauer den rechten Mann: den Mann, der, wie er, auf die Arbeitskraft und den zähen Willen, wieder hochzukommen, von hunderttausend Fachkräften und Millionen Arbeitern vertraute.

Arbeitet! Verdient! Werdet wohlhabend! Werdet reich!

Konrad Adenauer, kein Freund spiritueller Probleme — seine persönliche private Religiosität trägt das Siegel eines vergangenen Jahrhunderts —, nahm diese deutschen Menschen, wie sie sind. Hier setzt seine Realpolitik an: wer mitarbeitete, das heißt wer ihm zu dienen bereit war, den nahm er. Wer anders dachte, konnte selbst gehen oder wurde gegangen. Freunde und Gegner Adenauers haben seine Meisterschaft, Menschen zu verwenden, bewundert. In Stunden der Krise schien dieser Mann einsamer Entschlüsse zu klagen, daß er niemanden habe, auf den er sich verlassen könnte.

Menschen sind zu kaufen. Die Meisterschaft im Einkauf und gelegentlichauch Verkauf von Menschen hat andere Männer, so etwa einen Heinrich Brüning, den Adenauer kurzerhand aus Deutschland auslud, bestürzt. Die Erfolge aber stellten sich ein: es gab im Ministerrat in Bonn in vielen langen Jahren keinen Minister, der sich im offenen Gegensatz wider den mächtigen Alten zu behaupten wagte. Das Volk war, in seiner Mehrheit — so wiesen es ja die Wahlen aüs — für ihn. Wohlstand, Sicherheit, keine Experimente. Die von Jahr zu Jahr zunehmende Verbürgerlichung breiter Schichten der Arbeiterschaft — immer mehr ehedem sozialistische Arbeiter wählten Adenauer — schuf eine eindrucksvolle gesellschaftliche Basis für das Regime.

Freunde und Feinde haben Konrad Adenauer einen herzlosen, kalten Zyniker gescholten, der des Menschen nicht achtet. So einfach liegen die Dinge wohl nicht. Denn: in der Brust des Einsamen in Rhöndorf leben Erinnerungen. Erinnerungen — an tiefe Verwundungen. Die größte Verwundung erlitt der schweigsame Mann wohl bereits vor 1914 und dann nach 1914: Als es nicht gelang, den Frieden mit Frankreich zu schaffen. Friede — für das deutsche Volk — bedeutete für Konrad Adenauer, wie für viele

Deutsche nach 1870, um 1910: Friedensschluß mit Frankreich. Die Überwindung also der bösen Feindideologie vom „Franzmann“, der angeblich seit vielen hundert Jahren nichts anderes im Sinne hat, als das Reich zu zerstük- keln. Die junge deutsche Linke um Karl Marx, Heinrich Heine, um Börne und Rüge ersehnte vor 1848 die deutsch-französische Allianz. Konrad Adenauer hat sie geschaffen.

Wenn man die menschliche Größe dieses Mannes würdigen will, muß man dieses Herzstück seiner Politik im Auge behalten: Versöhnung bedeutet für diesen Mann, der vor 1914 geprägt wurde, Versöhnung mit Frankreich. Friede bedeutet ihm vorab: Friede mit dem Franzosen. Sicherheit bedeutet diesem Rheinländer, der weiß, daß Frankreich nie die Abtrennung von Elsaß-Lothringen ertragen konnte, eine politische Allianz, die den alten Traum französischer und deutscher Industrieller verwirklicht: die Schaffung eines wirtschaftlichen Kondominiums, das mächtig genug ist, um Weltwirtschaft zu treiben. Sicherheit: das ist wirtschaftliche Sicherung, gegründet auf eine kontinentale politisch-militärische Allianz Frankreich-Deutschland.

Der nüchterne Realpolitiker Konrad Adenauer kennt, von Jugend her, deutsche Schwarmgeisterei und eine Anfälligkeit für „zündende", möglichst einfache Parolen. Adenauer hat alle seine Wahlkämpfe mit einigen wenigen Schlagworten bestritten. Die Situation nach 1945 — das Vordringen des Stalinisten Kommunismus — und die politische Ökonomie, seine Kenntnis des seelischen Haushaltes seiner Volksgenossen bewogen ihn, folgende Stabilisierung zu versuchen: für den neuen Freund, den er da seinem deutschen Volke vorstellte und gewann, mußte auch ein Feind gefunden werden. Nicht erst Franz Josef Strauss hat Politik und politische Dynamik wesentlich verstanden als „Ansprache“, als Anvisieren eines Feindes. Konrad Adenauer hat unermüdlich seinem Volk, seinen Wählen zwei Feinde vorgestellt: die Sozialdemokraten im Innern und „die Bolschewiken" im Osten.

Diese Feind-Ansprache ermöglichte die Mobilisierung sehr starker Kräfte und seelischer Energien im deutschen Raum: das geteilte Berlin, das geteilte Deutschland, Ulbricht, Stalin, dann nach dem zweiten Weltkrieg fälligen Friedensschluß — mit dem Osten (der mit dem Westen war bereits nach dem ersten Weltkrieg fällig; auch hier erweist sich die Tragik der „verspäteten Nation!“) — vorzubereiten. Einige tastende Versuche (wie der geheime Brief an Chruschtschow) in letzter Zeit, erhellen die Horizonte, die seit Jahrzehnten durch die Nebel des kalten Krieges verstellt sind, nicht.

Das ist das Erbe, das Dr. Konrad Adenauer hinterläßt: einen Staat, der eine der ersten Wirtschaftsmächte geworden ist. Einen Staat, auf dessen künftige Wege die Welt schaut.

Harry Graf Kessler, durch seine Familie mehrfach mit Bismarck, aber auch dem Berliner Hof verbunden, schildert in seinen Erinnerungen, wie der greise Bismarck ihn mit fünf anderen Studenten in Kissingen zum „Kaffee“ einlädt. „In Wirklichkeit gab es Sekt.“

Der Fürst, zeitlebens ein charmanter Plauderer, erweist sich als ein glänzen

Chruschtschow … gab es einen ein- drucksameren Anschauungsunterricht für die Richtigkeit der Bonner Außenpolitik diesem Osten gegenüber als diese Männer, als diese Tatsachen? Bonn hat den kalten Krieg nicht erfunden; die Ära Adenauer hat ihn jedoch mit-gemacht. Dergestalt gelang die Verdeckung einer Tatsache, die zu den leidenschaftlich verteidigten Tabus deutscher Gegenwart gehört: nach 1918 konnte sich kein deutscher Politiker halten, der den Verlust des ersten Weltkrieges frank und frei — und die Kosten dieses Verlustes — in der Öffentlichkeit eingestehen mochte. Nach dem zweiten Weltkrieg kann sich, bis heute, kein Politiker in der Bundesrepublik Deutschland halten, der es wagte, die Kosten des zweiten Weltkrieges vorzulegen. Man hält vielmehr die Amerikaner für verpflichtet, die Kosten des zweiten Weltkrieges zu bezahlen.

Das ist die Tragik des Dr. Konrad Adenauer: er wäre berufen gewesen, mit dem Vollgewicht seiner Autorität, seiner Macht, seines Ansehens, den der, gewinnender Sprecher, wie eh und je. „Aber eben: je länger man zuhörte, um so stärker zwang sich einem die Erkenntnis auf, daß das, was er sagte, sich an eine Generation wandte, die der Vergangenheit angehörte oder, was fast das gleiche war, wie die Kissinger Kurgäste nur noch genießen wollte; alles war rückwärts gerichtet.

Uns, uns Jungen, hatte er offenbar nichts zu sagen.

Fest stand für mich allerdings jetzt, daß Bismarck das Werk nicht zu Ende hätte führen können; daß er keinen Weg in diese deutsche Zukunft sah, daß er ihn auch nie hätte finden können, weil Geist, Seelen, Menschen ihm immer nur Mittel zum Zweck, Diener seines Willens zur Macht gewesen waren. Die gewaltige Erscheinung, die noch so gewitterhaft erhellt war, stand schon weit zurück am Wege, auf dem wir Jungen, etwas unsicher, aber kampfbereit in die Zukunft schritten."

Der Schatten des bedeutenden Alten legt sich, je tiefer die Sonne sinkt, auf die schweren Wege, die seine Nachfolger zu gehen haben.

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