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Der grobe alte Mann berichtet

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KONRAD ADENAUER. Erinnerungen 1945 bis 1953. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1965. 589 Selten.

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KONRAD ADENAUER. Erinnerungen 1945 bis 1953. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1965. 589 Selten.

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Die Erinnerungen Konrad Adenauers entbehren jeder Farbe in der Darstellung. Nirgendwo pulst das Leben wirklich, wie etwa in den unvergeßlichen Aufzeichnungen Friedrich Funders oder Stegemanns. Trocken und monoton, ermüdend in ewigen Wiederholungen seiner Standpunkte und Meinungen legt hier ein Patriarch Rechenschaft ab über den Teil eines politischen Lebenswerkes, der allerdings ein Teil der jüngsten deutschen Geschichte, soweit sie sich Im Räume der Bundesrepublik abspielte, gewesen ist. Im Aufbau seiner Erinnerungen hat Dr. Adenauer bis zu einem gewissen Grad das Vorbild Conrads von Hötzendorf nachgeahmt: den eigenen Darstellungen und Reflexionen folgen umfangreiche Aktenstücke, die allerdings manchmal verwirrend wirken und den Bogen der ohnehin geringen Spannung unterbrechen. Über Adenauers Tätigkeit in der Weimarer Republik sowie seine großen Leistungen als Oberbürgermeister von Köln erfährt man zu wenig, so daß der unbefangene Leser vor einem Rätsel stehen könnte, woher Adenauer im Jahre 1945 das Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein im Kampf um den Aufbau einer eigenen politischen Position genommen hatte. Wohl gibt es zwei Gegenspieler in der ersten Phase, die ununterbrochen das Gute bekämpfen — in diesem Fall Adenauer und seine CDU —, die Briten und die Sozialdemokraten. Wie ein roter Faden zieht sich dieses Komplexbündel durch die gesamten Memoiren, beginnend von den ersten Schritten im engeren Bezirk der rheinischen Heimat über die Anfangsstadien der Parteibildungen, zur Verschmelzung der westlichen Zonen bis zum triumphalen Aufstieg zum Regierungschef einer europäischen Großmacht, die in wenigen Jahren aus einem besiegten Land zu einem wirtschaftlichen und militärischen Faktor in Europa wurde. Diesen Weg geht er scheinbar methodisch. Das Grundgesetz vom 23. April 1949 — übrigens von Bayern nicht genehmigt —, war die Basis für die innenpolitische Aufbauarbeit, das Anlaufen der sozialen Marktwirtschaft, somit der Unterbau für den wirtschaftlichen Aufstieg. Adenauer kennt allerdings für diese vielleicht größte Tat seiner Regierungszeit nur einen Satz: „Immer mehr Wirtschaftsgebiete werden aus der Zwangswirtschaft befreit, und die soziale Marktwirtschaft wird in ihnen eingeführt“ (S. 184). Erhard gibt es kaum! Die engsten wirtschafts- und währungspolitischen Berater des Kanzlers, Pferdmenges und Abs, existieren einfach nicht, ebensowenig wie die doch sehr einflußreichen Kreise der Schwerindustrie, deren Befreiung aus den Fesseln der alliierten Kontrolle ein Hauptanliegen Adenauers war. Auf dem Weg zur Bundeskanzlerwürde mit einer einzigen Stimme Mehrheit — der eigenen nämlich (S. 231) — stand die sozialdemokratische Opposition, die für Adenauer die Inkarnation des Bösen ist und bleibt, solange er seine Memoiren schrieb. Die staatspolitische Aufgabe, Tradition und positive Mitarbeit der SPD kennt er einfach nicht. In den Abschnitten, da er sich mit den innenpolitischen Gegnern beschäftigt, liegt vielleicht das betrüblichste Selbstbekenntnis eines Politikers, der in seinen außenpolitischen Schachzügen ein großer Spieler und Sieger war. Daß das Prinzip der weltanschaulich gebundenen Front der Rechten auch ruhig gebrochen werden kann, zeigte die Festlegung Adenauers auf Heuß als ersten Bundespräsidenten, wobei er über die kirchenfeindliche Einstellung von Heuß in Hinblick auf dessen christlich denkende Ehegattin hinwegsah. Drei Probleme beschäftigen den Außenpolitiker, der nach seinen Darstellungen allein und ohne Mitarbeiter die schwierigen Probleme erfolgreich bewältigte: Lockerung des Besatzungsstatuts und damit Erringung der Souveränität, Annäherung an Frankreich über den Plan einer Montanunion beziehungsweise einer gerechten Lösung der Saarfrage und darüber hinaus Einbau der Bundesrepublik in ein großes Bündnis der westlichen Welt als gleichberechtigter militärischer Partner, um in diesem Bündnis und durch dieses Bündnis das Problem der europäischen Einigung und der deutschen Wiedervereinigung zu lösen. Es ist keine Frage, daß diese Kapitel die klarsten und für den Historiker auch fündigsten des ganzes Werkes darstellen, nur fehlen in der Chronologie die Ereignisse und im Auf und Ab des politischen Spiels die historischen Kulissen und die Mitspieler Adenauers. Seine Helfer Hallstein und Blankenborn, diese getreuen Knappen, sind die einzigen, die immer wieder aufscheinen, die anderen Diplomaten Bonns scheint es nicht gegeben zu haben, und es ist doch kaum anzunehmen, daß ein Dreimannteam diese komplizierten außenpolitischen Vorgänge und Notenwechsel allein bewältigt haben kann. Eines ist sicher, ohne die Koreasituation wäre es nicht zu der raschen Lösung der Indüstriekon-trolle und zum Aufbau eigener deutscher Streitkräfte gekommen, wobei Adenauer meisterhaft die militärische und politische Realität der Zonenvolkspolizei als Schreckmittel benützte. Frühzeitig ist bei diesem Nichtmilitär das unbeugsame Bestreben zu spüren, Deutschland im Rahmen des atlantischen Verteidigungsbündnisses auch militärisch wieder ins Spiel zu bringen, wobei er sich auf die deutschen Osterfahrungen im zweiten Weltkrieg berief (S. 453). Daß hinter diesen Sicherheitsverhandlungen wesentliche militärische Vorarbeiten der späteren Generäle Speidel und Heusinger, des Amtes Blank und umfangreicher Studiengruppen des ehemaligen deutschen Generalstabes standen, wird dem Leser verschwiegen, so daß auch auf dem militärischen Sektor der unrichtige Eindruck entsteht, Dr. Adenauer wäre — aus eigenem Können — als der geborene Staatsmann-Militär im entscheidenden Moment zum mahnenden Lehrer der westalliierten Militärs geworden. Sein Meisterstück war die den Alliierten auferlegte Verpflichtung des gemeinsamen Schutzes des Bundesgebietes und Berlins und die daraus resultierenden Festlegungen für den Deutschlandvertrag, der am 26. Mai 1952 der Bundesrepublik die Souveränität mit wenigen Ausnahmen zurückgab.

Trotzdem blieb für Adenauer das offene Problem der Verhandlung mit der Sowjetunion und den Oststaaten. Nur zögernd ging er, soweit man dem Schlußkapitel des vorliegenden Buches entnehmen kann, an die Frage der Direktkontakte mit Moskau heran, wohl merkend, daß es hiebei um die entscheidende Konfrontation der westdeutschen Außenpolitik ging.

Man kann den geplanten Fortsetzungen mit Interesse entgegensehen.

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