6748303-1967_17_01.jpg
Digital In Arbeit

Ende und Erbe

Werbung
Werbung
Werbung

München, August 1922. Zur Eröffnung der 62. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands plädiert der Präsident dieser Versamm-.lung, Konrad Adenauer, an die französischen Katholiken: „Glaubt uns, Frankreich irrt; es gibt andere Wege für Frankreich, um zu dem zu kommen, was ihm gebührt. Kommt zu uns, ihr französischen Katholiken, laßt uns gemeinsam einen Weg suchen, der unseren beiden Ländern hilft!“

. Mourmelon, Juli 1962. Gemeinsame Parade deutscher und französischer Truppen. Vereinbarung enger deutsch-französischer Zusammenarbeit. Staatsbesuch des Bundeskanzlers Konrad Adenauer in Frankreich.

Der Präsident von 1922, Konrad Adenauer, um den wir jetzt trauern, war damals fünfundvierzig Jahre alt. Er galt damals schon als katholischer Kandidat für den Kanzlerposten, wie der deutsche, jetzt in Wien lehrende Historiker Heinrich Lutz erinnert, Adenauer, 1917 bis 1933 Oberbürgermeister von Köln, 1917/18 Mitglied des preußischen Herrenhauses, 1920 bis 1932 Präsident des preußischen Staatsrates, steht da in der Mitte seines Lebensweges, nicht in der Mitte seines Lebens: die erfährt er im hohen siebenten und achten Jahrzehnt seiner Existenz.

1. September 1948: In Bonn tritt der Parlamentarische Bat unter Vorsitz Konrad Adenauers zusammen, um eine neue Verfassung zu beraten. 23. Mai 1949: Errichtung der Bundesrepublik Deutschland mit der provisorischen Hauptstadt Bonn.

Ernst, todernst, sitzt, mit dem schwarzen Feierhut auf dem Haupt, Konrad Adenauer in der Synagoge. Die finanzielle Wiedergutmachung an Israel, an die deutschen Juden ist ihm ebenso ernst wie das Bündnis mit Amerika wie die Versöhnung mit Frankreich. Kuß und Umarmung mit de Gaulle, Paris, 22. Jänner 1963, nach der Unterzeichnung eines Vertrages über die enge deutsch-französische Zusammenarbeit. Höhe des Lebens, Krönung des Lebenswerkes.

Adenauer will nur dies: der Welt eine politische Glaubwürdigkeit, eine absolute Verläßlichkeit Deutschlands präsentieren: als Bündnispartner in der NATO, als Zahlungspartner, als Wirtschaftspartner in der EWG. Um diesen Kredit für Deutschland zu erlangen, ist ihm kein Preis zu hoch. Der Antimilitarist, der Nichtsoldat, der inkarnierte Zivilist Adenauer schafft die Grundlagen und bewerkstelligt den Aufbau einer neuen deutschen Wehrmacht, der Bundeswehr, die bis jetzt der Bundesrepublik zweihundertzehn Milliarden D-Mark gekostet hat, und dieses Jahr etatmäßig zwanzig Milliarden D-Mark erhält. Dieses von ihm in Washington, in London (wo er bereits am 3. Dezember 1951 von König Georg VI. beim Staatsbesuch empfangen wird), in Paris, Rom, Brüssel, in der ganzen westlichen Welt durch seine Persönlichkeit, die Charakter, unbeugsame Willensstärke ausstrahlt, präsentierte Deutschland kann nur dann glaubwürdig bleiben, wenn es im Innern sein Deutschland ist: das von ihm und seinen treuen Gehilfen verwaltete Deutschland. In seinen stärksten Jahren beherrscht Adenauer „seine“ Partei, beherrscht „seine“ Minister. Die „Kanzlerdemokratie“ ist ein Regime, geformt nach den Maßen dieses Mannes, der sich Menschen zumißt, die er gebrauchen kann, und abweist und verweist, die er nicht gebrauchen zu können meint.

Als fassungslos wurde da Adenauer beschrieben, nach Erhalt der Botschaft seines Fieundes Dulles, daß Amerika seine Politik gegenüber Rußland ändern werde. Das stimmt wohl nicht. Konrad Adenauer verliert nicht die Fassung. John Kennedy hat über Adenauer gesagt: „Dieser Mann lebt bereits in der Geschichte.“ Adenauer selbst sagt: „Politik muß einfach sein.“ Das bedeutete für ihn: er, der seine Deutschen von 1900, 1914, 1918, 1933, 1945 kannte, und mit erfahren hatte, wie lustlos sie 1940 in den Krieg gegen den „Erbfeind Frankreich“ zogen, der längst kein Erbfeind im Lebensgefühl der Deutschen mehr war, glaubte ihnen dies zumuten zu können: Versöhnung mit Frankreich. Anerkennung der deutschen Niederlage im ersten Weltkrieg. Er glaubte nicht, diesen seinen hochkonservativen Deutschen dies zumuten zu können: die große Versöhnung mit dem ganzen slawischen und russischen Osten; Die Anerkennung der deutschen Niederlage im zweiten Weltkrieg, die Anerkennung der Folgen dieser Niederlage.

Adenauer, der Mann mit dem deutschen Weltbild vor 1914, ist nicht der Mann geworden, der deutscherseits den zweiten Weltkrieg positiv liquidierte. Er besaß die Persönlichkeit, dag Akkreditiv zu dieser Rolle, die vielleicht für ihn bestimmt war. Es ist möglich, daß die ihm viel verdachten Äußerungen Rußland gegenüber in seiner letzten Lebenszeit diesem seinem Wissen um die Nicht-übernahme seiner letzten Rolle entspringen.

Damit ist ein Letztes, nämlich ein Vorletztes, durch das Erbe, das er bereits 1963 hinterlassen hat, angesagt: die geschichtliche Würdigung des politischen Lebenswerkes des Dr. Konrad Adenauer wird davon mit abhängen, inwieweit es seinen Nachfolgern in der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gelingt, sein Erbe positiv zu liquidieren, zu modifizieren, zu revidieren, „aufzuheben“.

Zu dieser Formulierung hätte der hintersinnige Alte, eine der stärksten politischen Persönlichkeiten seiner Epoche, vielleicht schweigend gelächelt.

„...als der alte Herr, in die Unerreichbarkeit wie in einen Mantel gehüllt, aus seinem hohem Amte schritt, war er im Grund geheimnisvoller als an dem Tag, da er es antrat“ (Janko Musulin).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung