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Wachablöse in der Villa Hammerschmidt

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Das höchste Amt im Staate der westdeutschen Bundesrepublik ist neu vergeben: Am 1. Juli wählte die Bundesversammlung den bisherigen Bundesernährungsminister Dr. Heinrich Lübke zum neuen Bundespräsidenten. Er wird am 12. September 1959 mit seiner Vereidigung auf die Verfassung sein neues Amt antreten.

Auf den Präsidenten einer Republik fällt in Europa leicht das Licht seiner monarchistischen Vorgänger. Die Garde des Präsidenten der französischen Republik trägt ungeachtet der großen republikanischen Vergangenheit dieses Landes die Uniformen, die sie einst von Napoleon III. erhalten hatte, und im republikanischen Rom kann es einem passieren, daß besonders farbenprächtig Uniformierte recht unbekümmert um die herrschende Staatsform als königliche Garde ausgegeben werden. Das war in Bonn und im Amtssitz des ersten Präsidenten der westdeutschen Bundesrepublik vom ersten Tag an anders. Hier konnte man an keine Tradition anknüpfen, denn es war keine da, und hier gab es auch keine Präsidentengarde, weil jeder Deutsche, der sich uniformiert und bewaffnet auf der Straße gezeigt und nicht zur Polizei gehört hätte, Gefahr gelaufen wäre, wegen Verstoßes gegen das Antimilitaristengesetz verhaftet zu werden. Es gab auch nicht einmal einen repräsentablen Amtssitz in dem kleinen Städtchen am Rhein. Außerdem ließ die Verfassung dem künftigen deutschen Staatsoberhaupt kaum Platz für politische Tätigkeit. Weil der letzte deutsche Reichspräsident, der Ersatzkaiser Hindenburg, seine Herrschaft dazu mißbraucht hatte, einen gewissen Hitler ins Amt zu rufen, waren die Väter des Bonner Grundgesetzes bestrebt, seinem Nachfolger nur noch ein Minimum an Rechten einzuräumen. Ueberdies war der Staat, den Heuß zu repräsentierten hatte, so gering an Ansehen, daß man den Präsidententitel fast .als etwas zu hochtrabend hätte bezeichnen können,

Als Prof. Theodor Heuß mit eingefallenem, sensiblem Gelehrtengesicht sein Amt antrat, wußten die meisten Deutschen nicht, wer er war. Lediglich als Bundesvorsitzenden der FDP kannten ihn politische Kreise. Theodor Heuß hat in den zehn Jahren seiner Amtszeit nicht viel Aufhebens um seine Person gemacht. Sein breites Schwäbisch aber wurde zusammen mit seiner behäbig in die Breite gehenden Gestalt zu einem Faktor des politischen Lebens der Bundesrepublik. Ebenso still, wie Prof. Heuß sein Amt führte, entwickelte er auch einen neuen, in Europa einmaligen Stil des Repräsentierens. Er schritt keine Paraden ab, und in seiner Nähe wurden nur dann Uniformierte gesehen, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ. Theodor Heuß repräsentierte mit seiner Rednergabe. Still, verhalten, aber immer weise und humorig redete er sich in die Herzen der Deutschen, die erst jetzt, da es ans Abschiednehmen geht, erkennen, welch einmaligen Mann sie als Präsidenten hatten. In seinem Zeremoniell gab es keine Steifheiten. Da konnte er vor Jahren bei einer langweiligen Einweihungsfeier in München einem gleichgroßen Herrn seiner Umgebung seinen Hut aufsetzen, um ungesehen wie Harun al Raschid einer Gemäldegalerie einen Besuch abzustatten. Da konnte er im Urlaub mit dem bayrischen Ministerpräsidenten über Hürden springen und sich dabei den Arm brechen: Er gewann, da seine Besonderheit im Menschlichen angelegt war.

Theodor Heuß hatte in den zehn Jahren seiner Amtszeit keine auffallenden Erfolge. Wo er mit dem Kanzler zusammenstieß, zog er den kürzeren, und als er das angefeindete „Deutschland, Deutschland über alles“ durch eine harmlosere, vielleicht etwas zu professorale Hymne ersetzen wollte, erlebte er einen glatten Mißerfolg. Professor Heuß, der mit stiller Humanität und echter Weisheit, unaufdringlich und vornehm, für die höchsten Ziele der Menschlichkeit und damit letzten Endes für die Demokratie und die rechtsstaatliche Ordnung wirkte, konnte verlieren, ohne etwas von seinem Ansehen einzubüßen. Mit unnachahmlicher Würde trug er auch die schwere Aufgabe, ein Land nach außen zu vertreten, das durch eine fürchterliche Vergangenheit vor der ganzen Welt belastet war. Als er vor zwei Jahren bei seinem Englandbesuch auf eine eisige Front der Ablehnung stieß, die nicht ihm, wohl aber dem schuldig gewordenen deutschen Volke galt, trug er diese Demütigungen mit achtunggebietender Würde. Seine mahnenden Worte, die Untaten der Vergangenheit nicht zu vergessen, wurden zwar nicht immer beherzigt, erwiesen ihn aber als aufrechten Mann. Mehr als einmal war Theodor Heuß das mahnende Gewissen des deutschen Volkes!

Im ganzen gesehen hatte er nur einen Erfolg, allerdings den größten, den er in der verfassungsrechtlich so eingeschränkten Stellung eines westdeutschen Bundespräsidenten haben konnte, er wurde der geliebte „Papa Heuß“.

Der Stil seiner Repräsentanz ist unnachahmbar, denn er ist geprägt von seiner Persönlichkeit. Er kann von seinem Nachfolger Heinrich Lübke nicht übernommen werden. Diesem steht aber heute wieder der trommelbewährte, allgemein übliche und immer wieder wirkungsvolle Aufwand militärischer Demonstrationen zur Verfügung. Heinrich Lübke wird einen nach außen geachteten und weitgehend souveränen Staat zu vertreten haben. Dies wird dem höchsten Amt im Staat ein neues Gesicht und eine neue Ausstrahlung geben.

Heinrich Lübke wurde in den Kommentaren als ein aufrechter und integrer Mann geschildert. Das sind eigentlich für das höchste Amt im Staate selbstverständliche Voraussetzungen, und man bekommt den Verdacht nicht ganz los, sie würden nur deshalb so betont, weil sie, nach dem beschämenden und intrigenreichen Kampf um die Nominierung eines Präsidentschaftskandidaten innerhalb der CDU, von dieser Partei selbst als besonders hervorhebenswert gehalten wurden. Wer Bundesernährungsminister Dr. Heinrich Lübke kennt, weiß allerdings, daß er mehr als nur seine Lauterkeit einzusetzen hat. Gegen die wütenden Angriffe der deutschen Bauernverbände verteidigte er seine Agrarpolitik und setzte sie zum Segen der Verbraucherschaft auch durch. Die westdeutsche Bundesrepublik kann mit diesem Repräsentanten zufrieden sein, auch wenn er eine weniger glänzende und weniger hervorragende Persönlichkeit als Theodor Heuß ist. Denn darauf wird es in seiner Amtsperiode weniger ankommen. Der ruhige, überlegte Westfale, der in der nationalsozialistischen Zeit eine klare, ablehnende Haltung einnahm, ohne später davon viel Aufhebens zu machen, muß keinen neuen Stil prägen. Er muß in erster Linie das Erworbene festigen. Das wird keine ganz leichte Aufgabe sein. Einmal, weil man unwillkürlich seine Amtsführung mit der seines Vorgängers vergleichen wird, zum anderen aber, weil um die Präsidentschaftskandidatur im letzten halben Jahr von seiner Partei ein frivoles Spiel getrieben wurde, das dem Ansehen der deutschen Demokratie vor der Welt und insbesondere vor dem eigenen, für diktatorische Anwandlungen keineswegs immunen Volk schwer geschadet hat. In seine Amtszeit wird überdies die schwerste Entscheidung fallen, die der westdeutschen Bundesrepublik bevorsteht: Die Entscheidung über die Nachfolge Adenauers. Es ist kein Geheimnis mehr, daß bei Adenauer trotz aller nach außen zur Schau getragenen Vitalität, ähnlich wie bei Churchill im Jahre 1955, das Alter seinen ehernen Tribut fordert. Das letzte halbe Jahr hat auch einen Vorgeschmack gegeben, welche Diadochenkämpfe Deutschland in diesem Falle erwarten.

So steht Heinrich Lübke vor keiner leichten Amtsperiode! Er wird sie nur meistern können, wenn er ganz ein Mann des Staates wird. Dafür sind bei ihm, der nie ein Parteimann war, die besten Voraussetzungen vorhanden.

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