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Randbemerkungen zur woche

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DAS DIENSTAUTO ist sicher ein ebenso nützliches wie notwendiges Hilfsmittel einer modernen Verwaltung. Seine etwas großzügige Verwendung hat dagegen schon viele Stimmen der Kritik gefordert, herausgefordert. Dennoch blieb alles beim alten. Ob im Gewühl einer Mittagstunde, ob zu nachtschlafener Zeit in einer stillen, abgelegenen Gasse der Bundeshauptstadt, nahe bei den Rebenhügeln oder des Sonntags auf den großen Ausfahrtstraßen — immer wieder sieht man jene schnittigen Wagen, die als „Staatskarossen“ unserer Zeit leicht zu erkennen sind. Und nur selten sitzt in ihrem Fond ein ausländischer Diplomat... Um so mehr freut eine Nachricht aus Salzburg. Hier geht der Landeshauptmann scharf gegen den Mißbrauch von Dienstwagen, gegen die Verschleuderung von Steuergeldern vor. Weitgehende Sparmaßnahmen tragen seine Unterschrift. Sie erinnern daran, daß Dienstfahrten in Kraftfahrzeugen grundsätzlich nur dann gestattet sind, wenn es Entfernung und Dringlichkeit erfordern. Sollte aber eine andere Fahrt ausnahmsweise gemacht werden, dann ist sie als Privatfahrt zu rechnen — und auch zu verrechnen. Sie kostet zwei Schilling für einen Kilometer. Auch fremde Personen als Begleitung Vierden in Dienstwagen nicht gerne gesehen. Erfreuliche Kunde kommt so von Salzburg. Merk's Wien... ,

„DIE NATIONALE OPPOSITION MARSCHIERT.“ So steht es wenigstens in den Spalten des „österreichischen Beobachters“ zu lesen. Dieses Blatt, das den gleichen Namen trägt, wie die illegale Zeitung der NSDAP vor 1938, wird mit freundlicher finanzieller Unterstützung von jener kleinen Gruppe, von jenem „verlorenen Haufen“ herausgegeben, die, gleich der „Nationalen Front“ in Ostdeutschland, auch hierzulande versucht, ehemalige Parteigänger des Nationalsozialismus für die Sache des Kommunismus zu gewinnen. Aber es muß nicht so wild sein mit dem Marsch der nationalen Opposition, sonst hätte man ihren Kohorten, die das Hakenkreuz in der blutigroten Fahne gegen den Sowjetstern eingetauscht haben, wohl schon irgendwo begegnen müssen. Es ist auch gar nicht so grimmig gemeint. Hinter den martialisch drohenden Worten verbirgt sich nur ein Bericht über eine bescheidene Versammlung, irgendwo in einem Vorstadtwirtshaus. Dort legte auch der Führer dieser nationalbolschewistischen Sekte „ein stürmisch begrüßtes Bekenntnis zur deutschen Schicks alsgemeinscaft“ ab. Das wäre doch ein Fall für die kommunistische Presse. Doch ihre rasenden Reporter die sonst an allen unmöglichen Orten „Neonazismus“ wittern, blieben hier, wo einmal wirklich zu reden ist ganz mäuschenstill...

AUCH IN WESTDEUTSCHLAND führt die fortschreitende Verteuerung der Lebenshaltung zu ernsten soziologischen Problemen. Eine Umfrage des „Forschungsinstituts für Volkspsychologie“ in Wiesbaden ergab, daß 85 Prozent der Lohnempfänger (im Gesamtdurchschnitt: 75 Prozent der Befragten) sich aus'dem errungenen Lebensstandard durch die Preisenderungen herausgerissen fühlen. Vor allem wurden jene hievon betroffen, die heute die Kosten eines Haushalts zu tragen haben. Bei persönlicher Befragung erklärte die Hälfte, daß die Minderung ihres Aufwandes von fühlbaren Einschränkungen bis zur Not gehe. Ein Drittel etwa beklagt starke Eingriffe in den unmittelbaren Lebensbedarf. Ein Fünftel betont mehr persönliche Einschränkungen, wie Verzicht auf kulturelle Güter und Unterhaltung. Aus den Feststellungen des Instituts ergibt sich, daß die Folgen der Teuerung zunächst von der Familie aufgefangen werden. Sie hat die Spannungen zwischen Lebensbedarf und Verbrauchsmöglichkeit in erster Linie zu tragen. Schon ist aber auch ihre Substan2 angegriffen. — Die Verteuerung der Lebenskosten ist in Westdeutschland viel geringer als in Österreich, das den traurigen Ruhm hat, bei dem seit Beginn der Koreakrise eingetretenen Preisanstieg an erster Stelle zu stehen. Die Nutzanwendung für uns liegt auf der Hand: energische Herabsetzung der Preise durch Verbilligung der Erzeugung und Herabsetzung der Gewinne sowie endliche Aktivierung der soviel besprochenen Familienförderungsmaßnahmen. Die öffentliche Aussprache über einen Mißstand ist nur die Voraussetzung, nicht aber die Abgeltung für seine Behebung.

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DER SIEGER UND DER BESIEGTE im englischen Wahlkampf trafen sich, als die endgültigen Stimmzahlen schon bekannt waren, zu einem zwar nicht offiziellen, wohl aber öffentlichen Akt des Premierministerwechsels — zu einem kurzen Gespräch vor dem Mikrophon der BDN nämlich. Churchill sagte im Tone des Bedauerns: „Es schmerzt mich, daß Herr Atilee seine Wohnung in der Downingstreet 10 verliert. Doch darf ich ihm versichern, daß

das Wohnbauprogramm der konservativen Regierung auch für seinen Fall Vorsorge treffen wird.“ Worauf sich Attlee herzlich bedankte und die Bitte anfügte, Churchill möge die Tapeten im Arbeitszimmer des ehemaligen Premierministers belassen und schonen; er, Attlee, hätte sich so an sie gewöhnt, daß er sie sehr vermissen müßte, wenn er, bald vielleicht, wieder in die Downingstreet übersiedle... Ein, zwei Sätze. Nicht sehr viel. Nur ein kleines Stop-licht, sozusagen, im Rücken eines Ereignisses, das von manchen klugen Leuten für welthistorisch gehalten wird. Und eine gute Lektion in von Gentlemen geübten demokratischen Spielregeln, die, wie man sieht, auch dem Humor gewisse Rechte einräumen.

MAN FÜHLT SICH IN FRÜHE ZEITEN ZURÜCKVERSETZT, da eine Trennung zwischen Privateigentum des unbeschränkt ten Herrschers und dem Staatsvermögen, dem „Fiskus“, noch unbekannt war: In „seinem“ Schloß zu Königsaal an der Moldau — früher war es ein Zisterzienserstift — empfing Klemens Gottwald seinen ostdeutschen Kollegen Wilhelm Pieck und überreichte ihm als Geschenk die Handschrift des „Heiland“ — „eine der ältesten altsächsischen Denkmäler aus der christlichen Aera, die aus dem 9. Jahrhundert herrührt“, wie der Bericht des amtlichen Pressebüros erläuternd beifügt. Nicht minder wertvoll und zudem noch sinnvoller ausgewählt war das Geschenk Piecks, das er mit nach Prag brachte: der Hussiten-kodex aus Jena, eine Handschriftensammlung aus dem Ende des 15. Jahrhunderts. Goethe hatte einst diesen Band auf Bitten des tschechischen Jesuiten Dobrovsky untersucht und 1825 dem Museum des Königsreichs Böhmen eine Beschreibung geschickt, vor einem halben Jahrhundert kam er leihweise für ein paar Wochen au» Jena nach Prag und der jetzige Unterrichtsminister Nejedly veröffentlichte damals im Anzeiger der Königlichen böhmischen Gelehrtengesellschaft eine Abhandlung. Jetzt ist der Kodex selbst als Geschenk nach Prag gekommen. — Man muß sich derartige Besuche schon etwas kosten lassen. Bei seinem ersten Besuch in diesem Lande, 1929, war Wilhelm Pieck durchaus nicht so freundlich aufgenommen worden wie diesmal, da Prag eine Woche lang unter dem Eindruck der anläßlich seines Aufenthalts entfalteten Propaganda stand. Damals war er nach einer Wahlversammlung im westböhmischen Chodau vom Bezirkshauptmann in Elbogen — das war damals noch ein sudetendeutscher Beamter — ausgewiesen und an die Grenze geschafft worden. Man wird es verstehen, daß Pieck heute die Aussiedlung eines so undankbaren Publikums wärmstens begrüßt und „im vollen Bewußtsein seiner Verantwortung“ die Vertreibung von vier Millionen Menschen als „gerechte, und definitive Lösung“ bezeichnet.

NAHAS PASCHA besaß die Kühnheit, England im Suez den Stuhl vor die Türe zu setzen. Und doch ist der 75jährige ägyptische Ministerpräsident nicht der starke Mann, als der er der Welt vielleicht erscheint. Er ist auch nicht eine jener von religiösem Fremdenhaß besessener und von politischer Glut erfüllter Gestalten die die Welt des Islams schon mehr als eine hervorgebracht hat. Einmal war dies freilich anders. Damals, am Anfang seiner politischen Laufbahn, als der junge Student sein dürftiges Zimmer in Kairo mit mehreren gleichgesinnten Kollegen teilte. Wellen von Zustimmung schlugen dem jungen Nationalisten gerade aus der Masse der Ärmsten der Armen, der Fellachen, entgegen. War er doch einer der ihren, das Kind aus einer bettelarmen Bauernfamilie des Nillandes. Und Nahas Pascha erwies sich des Vertrauens würdig. Er versagte sich dem Reiz des Goldes, das nicht wenige Politiker des aufstrebenden Nahen und Fernen Ostens von den Zielen ihrer Jugend abgelenkt hat. So wurde Nahas Pascha Herz und Seele der Wafd-Partei. Das war vor fünfzehn Jahren. Damals war der ägyptische Politiker auf der Höhe seiner Popularität. In Kairo behauptet man, daß der idealistische Schwung des Mannes, der heute sich in die Weltpolitik drängt, seither stark zurückgegangen ist. Nahas Pascha heiratete und wurde dank dem finanziellen Geschick seiner jungen Frau ein reicher Mann. Je reicher er wurde, desto mehr verlor er jedoch — seltsamerweise — an politischem Einfluß. Heute gilt er nur mehr als der Mann am Fenster. Undurchsichtige Gruppen und Cliquen ziehen die Fäden. Die Wafd-Partei aber, die einmal die Partei der Armen war, hat ihren idealistischen Schwung eingebüßt. Und was wir in Europa schon wiederholt beobachtet haben: vor innerpolitischen Schwierigkeiten flüchtet man nun auch am Nil in ein außenpolitisches Abenteuer...

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