6707229-1964_05_06.jpg
Digital In Arbeit

Ein neuer Kurs

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist nun etwas mehr als ein Vierteljahr vergangen, seit Ludwig Erhard am 16. Oktober 1963 zum deutschen Bundeskanzler gewählt wurde. Sowohl außen- wie innenpolitisch ist Erhard in diesem Vierteljahr nichts geschenkt worden, und wenn er schon heute ganz selbstverständlich den Posten seines großen Vorgängers auch im Bewußtsein des deutschen Volkes einnimmt, dann ist dies das Ergebnis eines sehr geschickten Verhaltens, das von vornherein darauf verzichtete, Anleihen bei Konrad Adenauer zu nehmen.

Außenpolitisch hat Erhard mit seiner Reise nach Rom am 26. und 27. Jänner seine Besuchstour abgeschlossen. Er hat dabei offensichtlich an Selbstvertrauen und Sicherheit gewonnen und die anfängliche Nervosität abgestreift. Beginnend mit seinem Besuch bei de Gaulle am 21. und 22. November vorigen Jahres hat er nacheinander die führenden Staatsmänner des Westens aufgesucht. Dabei hat er nicht ungeschickt den Eindruck vermieden, als wäre seine Amtszeit von einer deutlichen Schwenkung von dem forciert frankophilen Kurs Adenauers weg zu einem engeren Einverständnis mit den angloamerikani-schen Mächten gekennzeichnet. Geschickt hat er es auch verstanden, als Außenpolitiker Profil zu gewinnen, ohne Außenminister Schröder in den Hintergrund zu drängen. Man hat von beiden den Eindruck, daß sie sich hervorragend ergänzen. Die Leitung der Außenpolitik liegt dabei aber offensichtlich beim Kanzler. So hat Erhard bei aller Herzlichkeit der Atmosphäre im Jänner in London doch den Eindruck zu vermeiden gewußt, als würde er für England und damit irgendwie gegen Frankreich optieren. Wenn trotzdem die Beziehungen zwischen Westdeutschland und Frankreich etwas abgekühlt sind, dann liegt das vorwiegend an de Gaulle, der sowohl in der Frage der EWG wie in seiner Ostasienpolitik seinen sehr dezidier-ten Willen durchsetzen wollte. Das ist ihm kurz vor den Weihnachtsfeiertagen in Brüssel nur zum Teil gelungen. Trotz einiger häßlicher Szenen hat de Gaulle in der Agrarpolitik seine Partner nicht zur Kapitulation vor den französischen Wünschen bringen können. Die Beschlüsse blieben auf einer mittleren Linie, wie sie von Italien und irisbesondere von der Bundesrepublik angestrebt wurde. Der von de Gaulle mit großem Elan in Angriff genommenen Ostasienpolitik wird sich Deutschland kaum anschließen können. Sie ist lediglich wegen ihrer möglichen Rückwirkungen auf das amerikanisch-französische Verhältnis von Bedeutung. Es wird einiger Geschicklichkeit bedürfen, um hier weder in Paris noch in Washington anzustoßen.

Bei dem Besuch Erhards in Paris ist es zwar nicht zu den Verbrüderungsszenen gekommen, wie sie zwischen Adenauer und de Gaulle sich eingebürgert hatten, aber schon die Tatsache, daß Erhard seine Besuchstour in Paris begann, zeigte, daß er an einem Fortbestehen der guten deutsch-französischen Beziehungen so lange als nur irgend möglich festhalten will.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung