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De Gaulle und die „Ellipsentheorie”

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Diese Konstellation ist nun eingetreten: Aus Washington kommen nach dem Wahlsieg Johnsons Nachrichten, die von der Bereitschaft einer Annäherung der amerikanischen Staatsführung an de Gaulle wissen wollen, wenn es auch natürlich verfrüht wäre, bereits im gegenwärtigen Stadium von neuen Chancen für ein französisch-britisch- amerikanisches Dreierdirektorium zu sprechen. Die durch die jüngste Regierungskrise angeschlagene Sowjetunion macht den Franzosen be merkenswerte Avancen und scheint zu einem hohen Preis für eine Annäherung an Paris bereit. Und in Bonn ist auf Grund des mehr psychologischen als faktischen Ultimatums de Gaulles im Getreidepreissektor, das implicite auch die von ihm abgelehnte multilaterale Atomwaffe unter deutscher Beteiligung umfaßt, eine offene außenpolitische Krise ausgebrochen. Diese Krise hat nicht allein den Charakter einer personellen Rebellion innerhalb der regierenden Christlich-Demokrati schen Partei, sondern zeigt auch positive Aspekte im Sinne einer Überprüfung von Konzeptionen, die bisher tabu und unwiderruflich schienen. Während man den Eskapaden von Franz Josef Strauß und des Freiherrn von Guttenberg in Paris keine entscheidende Bedeutung einräumen zu müssen glaubte, schlug die „Ellipsentheorie” mit den Schwerpunkten Paris und Washington, die Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier bei seinem kürzlichen Besuch in der französischen Hauptstadt entwickelte, in den französischen Ministerien, bei Parlamentariern und in anderen politischen Kreisen wie eine Bombe ein. Auch de Gaulle konnte nicht verbergen, daß er beeindruckt war.

Adenauers undankbare Mission

Adenauers Frankreichbesuch endlich, dessen „inoffizieller” Charakter von Bonn immer wieder betont wir,d, erhält in den Augen der hiesigen Politiker nach der öffentlichen Desavouierung der gegenwärtigen Außenpolitik der Bundesregierung durch den Altbundeskanzler (in einem Boulevardblatt mit hoher

Auflage) und nach den heftigen Auseinandersetzungen im Kabinett und in CDU-Parteigremien, die dem Flug nach Paris vorangegangen waren, eine eminente Bedeutung. Dabei tritt das „Atmosphärische” des Ereignisses — die Aufnahme des greisen Politikers in die „Akademie für die moralischen und politischen Wissenschaften”, eine Ehrung, die einem Deutschen zum erstenmal seit fast hundert Jahren zuteil wird — völlig in den Hintergrund. Und die persönliche Freundschaft zwischen Adenauer und de Gaulle hat für das Elysée und den Quai d’Orsay nur insofern Bedeutung, als der deutsche Parteichef vornehmlich als Opponent gegen die Bonner Regierungslinie auftritt. Mag diese Tatsache schon an sich grotesk sein und in keinen logischen Rahmen hineinpassen, so ist noch grotesker, daß niemand eine rechte Vorstellung hat, welche „Ersatzlösung” er seinem Freunde anbieten könnte, die gleichermaßen für ihn und die Bundesregierung akzeptabel wäre und die sich mit dem Grundsatz und den Modalitäten des amerikanischen Engagements in Europa vereinbaren ließe. Nüchtern denkende Franzosen hegen keine Erwartungen spektakulärer Ergebnisse. Sie meinen, daß sich Adenauers Rolle zunächst nur darauf beschränken könne, „zerbrochenes Porzellan zu kitten”.

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