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Der Frühling von Rambouillet

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Die jüngste deutsch-französische Begegnung in Rambouillet ist ganz normal und ohne Pannen verlaufen. Anstatt seinem Gesprächspartner Professor Erhard die strafende Verachtung des unzufriedenen Vormunds zu bekunden, ist de Gaulle pünktlich zum Rendezvous erschienen und hat seinen Gast mit wohlwollendem Lächeln begrüßt. Auch das Protokoll des Quai d'Orsay vermied alle Grobheiten gegenüber

dem deutschen Außenminister Doktor Schröder. Man brüskierte ihn diesmal nicht und tat alles, um ihn seine Unibeliebtheit bei den Regierungsstellen nicht spüren zu lassen.

Diese atmosphärische Wandlung genügte, um die deutsche Regie-rungspresse frohlocken zu lassen und den Bundeskanzler als Trium-phator zu feiern. Dabei gab nicht das an sich magere Ergebnis der Begegnung, das mehr einen deklamatorischen als praktischen Charakter zu haben ischeint — man deutet in Paris an, daß im Dialog auch Dinge zur Sprache gekommen seien, die erst allmählich und nach psychologischer Vorbereitung ans Licht der Öffentlichkeit dringen würden —, den Ausschlag, sondern die Tatsache, daß nach einer langen Periode des Schmollens zwischen den Bonner und Pariser Kanzleien endlich wieder freundlichere Töne angeschlagen und die der Atmosphäre abträglichen Spitzen vermieden wurden. De Gaulle — so kommentierte man in Paris — habe Erhards Wohlverhalten in der Getreidepreisfrage durch seine Unterstützung im Wahlkampf honorieren wollen, zumal der General für den Fall eines sozialdemokratischen Sieges eine noch stärkere Ausrichtung der Bundesregierung nach Washington befürchten müsse.

Die deutsche Opposition runzelt natürlich über diese letzten Vorgänge die Stirn und versucht, den propagandistischen Argumenten ihrer Gegner in diesem ersten nennenswerten Ringen um die Wählerstimmen ihre Schlagkraft zu nehmen. Doch ihre mehr oder weniger deutlich formulierten Besorgnisse scheinen verfrüht: Bis September sind es noch acht Monate, in denen viel Wasser den Rhein hinabfließen wird. Bis dahin kann noch manche Argoud-Affäre passieren, noch manche Hassel-McNamara-Be-gegnung erfolgen. Und man fragt sich schon jetzt skeptisch, ob der neue deutsch-französische Frühling von Rambouillet einem etwaigen kräftigen Ordnungsruf aus Washington zu widerstehen vermag. Vergessen wir es nicht: Bonns Bewegungsfreiheit ist äußerst eingeengt und de Gaulle hat seine grundsätzliche Einstellung zu den USA nicht um ein Jota geändert.

Im Grunde traf „Le Monde“ den Nagel auf den Kopf, wenn es in seinem Kommentar zum „neuen Start“ feststellte, daß die deutschfranzösische Ehe vielen anderen gleiche: Sie habe ihre Krisen und ihre Versöhnungen, die beide keinen endgültigen Charakter trügen.AugenblickHch steht das Barometer jedenfalls hoch, weil man beiderseits guten Willen bekundete und vorübergehend die nach wie vor bestehenden Streitpunkte auszuklammern oder zumindest in den Hintergrund zu rücken vermochte. Es wäre jedoch naiv, anzunehmen, daß die konkreten Abmachungen zwischen dem deutschen und amerikanischen Verteidigungsminister über die militärische Zusammenarbeit vom 17. November 1964 und der MLF-Komplex völlig aus dem politischen Blickfeld verschwunden seien. Diese Streitfragen werden zu gegebener Zeit wieder auftauchen — und die Bundesregierung ist nach wie vor an die vom Bundestag einstimmig angenommene Präambel zum deutsch-französischen Vertrag gebunden.

Dies vorangestellt, darf man natürlich das psychologische Kompromiß, dem de Gaulle — vielleicht aus der Erkenntnis der progressiven Isolierung Frankreichs — zugestimmt hat, nicht unterschätzen: Der General hat bekanntlich dem Prinzip eines Gipfeltreffens mit dem Ziel einer Neuankurbelung des „politischen Europa“ nicht widersprochen — und zwar ohne von Bonn als Gegenleistung für dieses Wohlwollen eine öffentliche Abschwörung seiner Bindungen an die amerikanischen Verteidigungskonzepte zu verlanigen. Darüber hinaus sprach der Staatspräsident unmißverständlich seine Überzeugung aus, daß die Wiedervereinigung Deutschlands zu den wichtigsten Zielen einer politischen Union Europas gehöre.

Freilich sind diese Erklärungen für den politischen Hausgebrauch' der deutschen Regierungspartei etwas „zu konkret“, vielleicht sogar etwas zu weitgehend, hinsichtlich ihrer Tragweite interpretiert worden. Und die dem Quai d'Orsay nahestehende Presse hat nicht gezögert, auf diesen Tatbestand hinzuweisen: Die deutsche Formulierung, es sei in Paris ein Abkommen bezüglich einer neuen Initiative bei den Sowjets geschlossen worden, die auf der Schaffung eines ständigen Organismus der Potsdamer vier Signatarmächte zur Diskussion der deutschen Frage basieren soll, wurde französischerseits zwar nicht dementiert, aber doch erheblich abgeschwächt. „In Wirklichkeit“ — so schrieb „Le Monde“ — „hat sich der Staatschef darauf beschränkt, festzustellen, daß von seiner Seite keine Bedenken gegen eine Initiative der Briten und Amerikaner in diesem Bereich angemeldet werden würden. Man weiß jedoch, daß Dean Rusk beim Empfang deutscher Korrespondenten in Washington ... eine deutliche Zurückhaltung hinsichtlich der Opportunität der von Bonn gepriesenen Verhandlung gezeigt hat.“

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