Staatspräsident de Gaulle hat seine Reise in die Bretagne hinter sich. Inzwischen herrscht eine fieberhafte Tätigkeit im Hauptquartier der Kriminalpolizei in Nantes und im Pariser Innenministerium, von wo täglich Informationen über Verhaftungen, Verhöre und Uberführungen von Sprengstoffattentätern aus den Kreisen bretonischer Autonomisten durchsickern.
Noch ist der Antibolschewismus nach wie vor der beherrschende Gedanke unter den im Exil lebenden Russen. Doch diese Gegnerschaft zwischen den Emigranten und den roten Machthabern im Kreml ist längst nicht mehr von jener Leidenschaft geprägt wie vor dem zweiten Weltkrieg. Wird es aber zur Verständigung kommen?Für uns waren Gespräche mit Exilstudenten der dritten Generation, mit denen uns ihre Großväter, ehemalige Kosakenoffiziere, und heute noch Pariser Taxichauffeure, bekannt gemacht hatten, recht aufschlußreich.Die jungen Leute, die sich an der Bergwerkshochschule auf den
„Man hat mich als Menschen selten verstanden“, antwortet der berühmte russische Ballettmeister, Tänzer und Choreograph Serge Lifar auf die Frage, was er zu den Vorwürfen aus der französischen Öffentlichkeit zu sagen habe. „Maßlosigkeit und eine an Narzißmus grenzende Eitelkeit“ waren die gröbsten Vorwürfe, die seine Kritiker gegen den Emigranten vorbrachten. Lifar offenbarte sich freimütig im Gespräch: „Mein Leben Ist Einsamkeit.“In der Schublade seines Schreibtisches liegt ein seidengefüttertes Futteral, das ein Paar völlig vergilbter Kinderballettschuhe enthält. Mit
Die „Weißen Wogen“ des Zarengenerals Koltschak hatten den «Roten Brand“ Lenins nicht löschen können. Tausende Exilrussen, der tödlichen Gefahr entronnen, die sie In ihrem Vaterland bedrohte, fanden In Paris ihre zweite Heimat. Heute wird in Emigrantenkreisen die Frage aufgeworfen, ob dem russischen Einfluß auf die französische Kultur oder den Einwirkungen des französischen Geistes auf das künstlerische Wirken der Flüchtlinge aus dem Osten und ihrer Nachfahren größere Bedeutung zukomme.Diese Überlegung erscheint uns ebenso müßig wie das Problem, ob dem Huhn oder dem Ei
Vor fast einem halben Jahrhundert brach das Zarenreich zusammen. Alexander Kerenski übernahm die Macht. Dann kam Lenin. Vor seiner Roten Armee flüchteten die Angehörigen der russischen Oberschicht in alle Welt. Tausende Emigranten kamen als „Schützlinge des Völkerbundes“ nach Paris. Viele von ihnen, insbesondere die geflüchteten Schriftsteller, Schauspieler, Tänzer, Ballettmeister und Maler, fanden in Frankreich einen vorbereiteten Boden. Der große Diaghilew hatte den Weg geebnet.Es ist gewiß nicht übertrieben, zu behaupten, daß das Wirken Diag-hilews auf Jahrzehnte hinaus ein
Vor genau 50 Jahren, zwischen der Februar- und der Oktoberrevolution, setzte der Strom jener russischen Emigration ein, der in den Gastländern eine breite, bis in unsere Gegenwart wirkende Spur hinterlassen solHe. Namhafte Vertreter des Ander regime, aus der Bahn geworfene Abenteurer, aber auch hervorragende Exponenten des kulturellen Rußlands, befanden sich darunter. Viele Tausende wurden von der Lichterstadt Paris magisch angezogen. Frankreich war ihr Ziel. Aus dem kulturellen, aber auch gesellschaftlichen Leben der Zwischenkriegszeit ist die „russische Kolonie“ nicht wegzudenken. Was ist aus den Russen an der Seine geworden) Was wurde aus der Mischung zwischen „Wodka und Absinth“! Unser Mitarbeiter Maximilian Benda untersucht in der heute beginnenden Sommerserie 1967 der „Furche“ das „russische Leben und russische Sterben“ in Frankreich. Die Redaktion
Parlamentarisch gesehen, ist die Stellung General de Gaulies nach dem 12. März viel prekärer als die des Premierministers Wilson in Großbritannien. Er wird gezwungen sein, entweder die Regierungsbasis durch Paktieren mit dem Demokratischen Zentrum Lecanuets und politisch nicht festgelegten Abgeordneten zu erweitern oder zu einem nicht allzu fernen Zeitpunkt den Weg der Neuwahlen zu beschreiten, da der massive oppositionelle Linksblock auf die Dauer ein unerträgliches Damoklesschwert für die Regierung und ihre Aktionen bedeuten dürfte.Wenn man die Gesamtheit der oppositionellen Stimmen,
Der Direktor des französischen Instituts der öffentlichen Meinung (Institut Francais d'Opinion Publique), Roland Sadoun, hat kürzlich in der Monatsschrift „Le Nouvel Adam“ das Ergebnis einer sehr umfangreichen Untersuchung über den Antisemitismus in Frankreich veröffentlicht Obwohl der Verfasser zum Schluß kommt, daß das jüdische Problem keine nennenswerte Rolle für die Franzosen spiele, haben doch verschiedene Zahlenangaben, insbesondere in jüdischen Kreisen —, gegenwärtig leben in Frankreich rund 500.000 Juden, deren Mehrheit die französische Staatsangehörigkeit besitzt
Im Ausland löst es jedesmal Erstaunen aus, wenn ein in Paris arbeitender Pressekorrespondent mitteilt, daß er in einer leidlich guten Wohngegend der Stadt gezwungen ist, für eine Zweizimmerwohnung mit Bad und Zentralheizung — auf deutsche Währung umgerechnet — zwischen 800 und 1000 D-Mark Miete zu zahlen. Im Regelfall muß dieser Summe noch eine Vermittlungsgebühr und eine „Garantie“ von jeweils einer weiteren Monatsmiete hinzugerechnet werden.Der für den Wohnungsbau zuständige Minister Pisani hat in diesen Tagen erklärt, daß bis zum Jahre 1970 ein völliger Mietliberalismus
Unmittelbar vor seinem Gespräch mit Gromyko hat Präsident Johnson anderthalb Stunden den französischen Außenminister Couve de Murville — ohne Anwesenheit eines Dolmetschers — empfangen und mit ihm internationale Probleme erörtert. Die französischen Beobachter in Washington stellten fest, daß die praktisch auf allen Gebieten herrschenden Meinungsverschiedenheiten nicht aus der Welt geschafft werden können: Ob es sich um den Vietnamkonflikt handelte — die amerikanisch-französische Differenz umfaßt den Ursprung dieses Waffengangs, seine Natur und die Verantwortung der Teilnehmer;
Im öffentlichen Leben Frankreichs wird es kaum noch verborgen, daß man dem landwirtschaftlichen Berufsstand als zahlenmäßige Größe keine bedeutende Entwicklungsmöglichkeiten einräumt und daß man sich damit abgefunden hat, daß die Landbevölkerung, die noch vor wenigen Jahrzehnten als das Rück-grat der Nation galt, zur langsamen Abwanderung verurteilt ist. Alle Debatten und Maßnahmen, die sich um Preisgestaltung und strukturelle Reformen drehen, erinnern letztlich an das, was im medizinischen Leben als „konservative Behandlung“ bezeichnet wird — wenn nämlich die Rettung eines
Polizeiaffären, in die sich Geheimdienste verschiedener Länder mischen und bei denen notorische Verbrecher, im vollen Bewußtsein ihrer Missionsbedeutung, mit Presseenthüllungen aufwarten und der Justiz ihre „guten Dienste” anbieten, sind Dinge, mit denen sich ein ernsthafter politischer Chronist nicht gern befaßt. Auch dann nicht, wenn solche Enthüllungen dazu angetan sein könnten, höchste Staatsexponenten in ihrer Integrität zu erschüttern und Kabinette ziu stürzen. Es gibt zu viele Elemente, die den Horizont verdunkeln und eine objektive Wertung schwer machen.Man ist in
ES GIBT IN ALLEN LÄNDERN Menschen, denen Personen und Institutionen, die als erhaben gelten oder sich als erhaben dünken, ein Greuel sind. Sie sind wie von einem inneren Zwang besessen, derartige Objekte der allgemeinen Bewunderung durch das Mittel des Spottes, der Persiflage, der Karikatur, wenigstens für einen Teil der Öffentlichkeit vom Piedestal der Unfehlbarkeit herabzuholen und sie der Sphäre normaler Sterblicher mit allen ihren Irrtümem, geheimen Leidenschaften, Eitelkeiten und Schwächen wiederzugeben. In Kulturbereichen, wo das Menschliche über allen Institutionen wie Staat,
Die Wahlbeteiligung für die erste Runde der Präsidentenwahlen war überraschend viel stärker, als es der müde und lustlose Wahlkampf vermuten ließ. Von rund 29 Millionen Wahlberechtigten gaben 24 Millionen ihre Stimme ab. General de Gaulle erhielt mit 10,811.480 Stimmen 44,61 Prozent, cjer Kandidat der Linken, Francops Mitterrand, mit 7,688.105 Stimmen 81,72 Prozent, der Repräsentant der Mitte, der Volksrepublikaner Jean Lecanuet, mit 3,777.945 Stimmen 15,59 Prozent, und der Wortführer der äußersten Rechten, Rechtsanwalt Tixier-Vignancour, mit 1,257.633 Stimmen 5,20 Prozent. Die
Der Kampf um das Elysee hat sich in den letzten Wochen hauptsächlich in den Parteizentralen und in den Zeitungsredaktionen vollzogen. Die breite Öffentlichkeit hat sich an ihm nur sehr wenig beteiligt: Man hat kaum von sichtbaren Manifestationen gehört; die in großen Mengen in den Straßen aufgestellten Plakatgerüste sind in der Regel leer geblieben. Machte ein Präsidentschaftskandidat von dem ihm amtlich gesicherten Recht Gebrauch, seinen Standpunkt im Fernsehen zu erläutern, so pflegte ein beträchtlicher Teil der Staatsbürger ärgerlich auf ein anderes Programm umzuschalten, wo ihm
Frankreich hat den Sowjets — seit der Anerkennung der UdSSR durch Edouard Herriot im Jahre 1925 — nie recht getraut, und der Gedanke einer Rückkehr zur traditionellen Allianz blieb im Laufe der Jahrzehnte einigen Einzelgängern des Qual d'Orsay vorbehalten. Sogar der zweite Weltkrieg hat diesen Zustand kaum zu ändern vermocht, zumal er mit einem demonstrativen Verrat an den westlichen Demokratien begann. In den 40 Jahren der diplomatischen Beziehungen zwischen Paris und dem Kreml ist Außenminister Couve de Murville erst> der vierte Chef des Quai d'Orsay, der sowjetischen Boden
Nachdem der französische Bauernverband FNSEA in den vergangenen Monaten mehrfach seine politische Neutralität im bevorstehenden Wahlkampf unterstrichen hatte, änderte er kürzlich ganz überraschend seine Haltung: Nach einer bewegten Ratstagung am 21. Oktober empfahl er dem Millionenheer seiner Mitarbeiter, bei der Staatspräsidentenwahl am 5. Dezember dem Kandidaten des gegenwärtigen Regimes ihre Stimme zu versagen.Die Verbandsführung begründete diese Änderung ihrer Haltung sowohl mit der Einkommenspolitik der Regierung als auch mit dem hartnäckigen Widerstand des französischen
Der Pessimismus, den die Pressekonferenz des französischen Stäats-chefs de Gaulle bei allen bewußten Europäern — und vor allem in französischen Agrarkreisen — ausgelöst hat, weil das „Staatsbegräbnis“ des Gemeinsamen Marktes eine definitive Form anzunehmen schien, hat indessen neuen, wenn auch schwachen Hoffnungen Platz gemacht. Inzwischen hat nämlich der Präsident der Republik, nicht zuletzt unter dem Druck des einmütig negativen Echos in der französischen Öffentlichkeit, offenbar selbst erkannt, daß er den Bogen überspannt hatte und das gefährliche Risiko eingegangen
Der konservativ-reaktionäre sozialistische Flügel SFIO (Section frangaise de l'internationale ouv-riere) errang in der Nationalratssitzung am 19. Juli in Clichy einen bedeutungsvollen Sieg. Die Fassung der Schlußverlautbarung des Generalsekretärs Guy Mollet erhielt 2028 Simmen, während der bisherige Präsidentschaftskandidat Gaston Defferre nur 881 Delegiertenstimmen erhalten konnte. Mollets Motto „Zurück zu 1905“, dessen tiefere Bedeutung den Jungen und auch manchen Älteren Frankreichs kaum etwas sagt, hat eine doppelte Bedeutung: Es war das Jahr, in dem sich die drei autonomen
In Zeiten der Unsicherheit, politischer Wirren und ideologischer Kämpfe werden geistig ungefestigte und seelisch labile Menschen leicht Opfer falscher Propheten und aller möglichen Scharlatanerien. Eine betont materialistische Lebensweise vermag dann nur schleoht die hinter ihr brütenden Zweifel und Lebensängste zu verbergen. Deshalb mag es vielleicht gar kein Widerspruch sein, wenn Frankreich, das Land Descar-tes' und der Enzyklopädisten, im kontinentalen westlichen Kulturbereich zu denjenigen Nationen gezählt werden muß, wo Sterndeuter, Wahrsager, Kartenschläger und Gesundbeter ein
Sechs Wochen nach der „Bombe“ In Brüssel beginnen sich die Fronten zu klären: Den Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen im Zusammenhang mit dem Eklat des 30. Juni und der fieberhaften Suche nach Alternativlösungen und Ersatzorientierungen macht eine nüchternere Betrachtungsweise Platz, die sich mit den Hintergründen der Europakrise zu befassen beginnt.Man fühlt in Paris, daß Bonn seinerseits einen „Eklat“ vermeiden will, um die Chancen für ein „Goldenes, nachgaullistisches Zeitalter“ nicht zu verschütten, wobei man sich jenseits des Rheins im stillen, Wunschträumen
Die Tatsache, daß sich die französischen Mittelparteien —* Sozialisten, katholische Volksrepublikaner und Radikalsoziale — zu Verhandlungen über eine demokratischsozialistische Federation um einen gemeinsamen Oppositionskandidaten, Gaston Defferre, bereitfanden, war ein Süberstreif am politischen Horizont Frankreichs. Doch die Hoffnungen hatten getrogen. Defferre ist in seinem Unternehmen gescheitert, weil sich weder die Sozialisten noch die Volksrepublikaner als reif erwiesen, die unerläßliche strukturelle und psychologische Erneuerung zu wagen. Der Sog der Vierten Republik, mit
Noch ist es zu früh, das Ergebnis des sozialistischen Parteikongresses in Clichy, in dem Gaston Defferre ermächtigt wurde, sein Projekt der „Demokratisch-sozialistischen Fe-deration“ durch Verhandlungen mit den Radikalsozialen und katholischen Volksrepublikanern weiter voranzutreiben, als einen Sieg der oppositionellen Gruppierung gegen die Gaullisten zu bezeichnen. Denn unmittelbar nach / --chluß des dreitägigen Treffens der 450 Delegierten der SFIO (Section francaise de l'Internationale ouvriere) meldetendie Volksrepublikaner gewisse Bedenken an, die im Rahmen neuer Verhandlungen mit
Wir haben in unserem Artikel „Action Franchise ist nicht tot“ („Die Furche“ Nr. 13127, März 1965) die inneren Spannungen des gegenwärtigen .französischen Katholizismus -geschildert und am Schluß der Betrachtung auf einige literarische Erscheinungen hingewiesen, die durch ihren polemischen Charakter gegenüber kirchlichen Neuerungen nicht geringes Aufsehen in der Öffentlichkeit ausgelöst haben. Einige der im vergangenen Jahr erschienenen Bücher — wir nannten vor allem Michel de Saint Pierre: „Les Nou-veaux Pretres“; Roger Besus: „Paris — Le Monde“ und Alexis Curvers:
„Die amerikanische Diplomatie gegenüber Frankreich hätte gegenwärtig ein leichtes Spiel, wenn sie mehr psychologische Geschicklichkeit zeigen würde“, sagte uns in diesen Tagen ein ehemaliges Regierungsmitglied gelegentlich eines Ge-■prächs über den jüngsten Flirt de Gaulles mit dem Kreml. Und der Minister fuhr fort: „Da das A und O der gaullistischen Außenpolitik die Durchkreuzung der Wünsche und •Zielsetzungen Washingtons darstellt, hätte Präsident Johnson nur den Anschein zu erwecken brauchen, daß das Weiße Haus eine Verständigung zwischen Paris und Moskau
Als man sich dem ersten Wahlgang am 14. März näherte, hatte der französische Duxchschnittswähler jedes Verständnis für dieses Durcheinander von Listen, örtlichen Koalitionen, Tarnungen und Gegensätzen völlig eingebüßt. Weder die Parteien mit ihrer differenzierten Taktik, noch die Presse machten es dem ohnehin apolitisch gewordenen Bürger leicht, die Zusammenhänge zu erkennen und die großen Zielsetzungen der einzelnen Formationen zu deuten. Er konnte es einfach nicht begreifen, warum sich Sozialisten und Kommunisten in nordfranzösischen Gebieten zu gemeinsamen Listen
Als der Verfasser kurz vor dem zweiten Weltkrieg den Herausgeber der demokratisch orientierten Tageszeitung „L'Aube“, Francisque Gay, fragte, ob sein Organ im Gegensatz zur konservativen Zeitung „La Croix“ einen fortschrittlichen Linkskatholizismus verkörpere, sagte der spätere Staatsminister mit Vehemenz: „Es gibt weder in Frankreich noch sonst irgendwo in der Welt .Links- oder Rechtskatholizismus'; es gibt nur einen Katholizismus, der freilich Abweichtendenzen nicht verhindern kann. Die Häretiker, stellen sich aber außerhalb der Sirene. Weder wir noch ,La Croix' sind
Das vergangene Jahr brachte Frankreich eine Fülle von Büchern, die sich mit dem Phänomen de Gaulle befassen. Ihre Verfasser lassen sich bequem in drei Kategorien einordnen: diejenigen, die den General lieben und verehren, diejenigen, die ihn hassen und seine Politik en bloc verwerfen, und.diejenigen, die ihn früher bewunderten und heute bekämpfen. Zu der letzten Gruppe gehört der ehemalige Minilsterpräsident Paul Reynaud, der seinem polemischen Werk über die Gaullistische Außenpolitik eine innenpolitische Abrechnung unter dem Titel „Et apres?“ (Was kommt nach de Gaulle?) folgen
Die jüngste deutsch-französische Begegnung in Rambouillet ist ganz normal und ohne Pannen verlaufen. Anstatt seinem Gesprächspartner Professor Erhard die strafende Verachtung des unzufriedenen Vormunds zu bekunden, ist de Gaulle pünktlich zum Rendezvous erschienen und hat seinen Gast mit wohlwollendem Lächeln begrüßt. Auch das Protokoll des Quai d'Orsay vermied alle Grobheiten gegenüberdem deutschen Außenminister Doktor Schröder. Man brüskierte ihn diesmal nicht und tat alles, um ihn seine Unibeliebtheit bei den Regierungsstellen nicht spüren zu lassen.Diese atmosphärische
Paul Reynaud hat schon im Frühsommer unserem Pariser Mitarbeiter die Weltpolitik aus seiner Sicht gedeutet. (Vgl. „Die Furche , Nr. 23.) Das Gespräch fand eine starke Internationale Beachtung — besonders hinsichtlich seiner Prognosen zum Chinesisch-sowjetischen Verhältnis, dessen Zuspitzung notgedrungen zu einer progressiven Annäherung Moskaus an Washington führen werde. Er hat seine grundsätzliche Auffassung auch nach dem Sturz Chruschtschows nicht geändert. Gegenüber der Außenpolitik General de Gaulles steht er nach wie vor in schärfster Opposition. Er fürchtet, daß die antiamerikanische Linie .des französischen Staatspräsidenten Frankreich in die völlige Isolierung führen werde. Obwohl der ehemalige Ministerpräsident im Oktober 86 Jahre alt geworden ist, entwickelt er nach wie vor eine ungewöhnliche Aktivität und bezeichnet sein eigenes Leben, nicht ohne Stolz, als eine Folge von Kämpfen für unpopuläre politische Ziele.
Es gibt eine entscheidende Voraussetzung für die Gewinnung eines ungetrübten Bildes französischer Willensbekundungen in der gegenwärtigen Krisenperiode: Man darf sich nicht zu sehr auf Pressestimmen und öffentliche Diskussionen stützen. Sie vermitteln in der Regel ein unverbindliches Sammelsurium von gezielten propagandistischen Absichten, unverbindlichen individuellen Meinungsäußerungen und tendenziös gefärbten Kommentaren, die parteipolitische Grundhaltungen oder wirtschaftliche Gruppeninteressen widerspiegeln. Selten hat das „Background”, das heißt: das Wissen um die Haltung
Man fragt sich, ob der französische Staatschef zur spektakulären Bestätigung seiner politischen Stellung im Innern und nach außen tat sächlich des südamerikanischen Abenteuers bedurft hätte, vor dem ihn viele seiner Freunde rechtzeitig gewarnt hatten. Hatte er wirklich geglaubt, auf diese bunte, aber gefährliche Pilgerfahrt nicht verzichten zu können, um seinen Feldzug gegen die „Hegemonien“ augenfällig zu demonstrieren und aus dem Jubel der Massen jener oft von Eintagsfliegen beherrschten Staaten internationales Kapital für den Slogan der „dritten Kraft“ in der Welt zu
Nicht nur politische Freunde und Fachkollegen des französischen Wirtschafts- und Finanzministers sehen in Valery Giscard d’Estaing den potentiellen Nachfolger des Generals de Gaulle; auch auf der Linken wird man sich immer mehr dessen bewußt, daß in einer Epoche, deren Schicksal von hervorstechenden Persönlichkeiten — und erst in zweiter Linie von parlamentarischen und parteipolitischen Kombinationen — bestimmt wird, die geniale Einzelerscheinung des gegenwärtigen Chefs der Rue de Rivoli beträchtliche Aussichten hat, an die Spitze des Staates zu rücken.Das Phänomen Giscards
MAXIMILIAN BENDA: „Herr Präsident, ich habe auf Einladung des Präsidenten Paul Reynaud an jenem Dėjeuner-Dėbat teilgenommen, bei dem auch Sie das Wort ergriffen haben. Sie haben bei dieser Gelegenheit die Außenpolitik des Staatspräsidenten mit der gleichen Schärfe wie Herr Paul Reynaud angegriffen und unter anderem auf den wiedererwachenden deutschen Nationalismus hingewiesen. Befürchtungen in dieser Richtung werden in letzter Zeit häufig geäußert. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Ihren Standpunkt präzisieren würden.“ MAURICE FAURE: „Ich möchte davon ausgehen, daß die
Der heute 83jährige Ehrenpräsident des ökumenischen Rates, Pastor Marc Boegner, ist nicht allein in seinem Heimatland Frankreich wegen seiner jahrzehntelangen Präsidentschaft der französischen protestantischen Kirchen allseits bekannt und geschätzt. Als protestantischer Theologe und Förderer der ökumenischen Bewegung — er gehörte 1948 bis 1954 zu einem ihrer Präsidenten — genießt er internationalen Ruf.Er ist Mitglied der Acadėmie Franęaise und Kommandeur der Ehrenlegion. Zahlreiche Universitäten verliehen ihm den Ehrendoktortitel — darunter Edinburg, Prag, Toronto, Genf,
Man nannte ihn viele Jahre seines Wirkens den „Freund des Volkes”, denn sein eigentlicher Erfolg — und der Erfolg der Kommunistischen Partei Frankreichs — war, durch sein volkstümliches Wesen und seine Fähigkeit, die Massen mit Charme und Überzeugungskraft anzusprechen und ihnen, soweit sie zur Partei stießen, von der menschlichen Seite voller Verständnis für ihre Nöte und Alltagsprobleme zu dienen.Maurice Thorez war die Inkarnation des revoltierenden kleinen Bürgers gegen die materiellen Ungleichheiten, sozialen Ungerechtigkeiten und Behinderungen dieser Welt — und seine
Als der Advokat Jean-Louis Tixier-Vignancour mit betonter Nonchalance die Bühne betrat, wurde er mit rauschendem Beifall begrüßt, wie ihn die ganz illustren Schauspieler quasi als Vorschuß auf die bevorstehende Leistung zu empfangen gewohnt sind. Er zeigte sich liebenswürdig und wohlwollend, und sein überraschender Verzicht auf rhetorische Effekte und starkes Geschützfeuer, mit dem er Richter und Staatsanwälte einzuschüchtern- pflegt, betonte-seine Souveränität lat Politiker ujid“ Anwärter auf die höchste Stellung im Staate.Keinen Augenblick ließ der Kandidat der Nationalen
Die französische Öffentlichkeit wurde in den letzten Monaten durch eine erschreckende Häufung krimineller Delikte aufgeschreckt. Immer wieder brachte die Boulevardpresse Balkenüberschriften über Morde,Vergewaltigungen, Raubüberfälle, die von eingewanderten Algeriern begangen wurden, und die ausgedehnten Razzien der Polizei in der Pariser „Casbah“. Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, daß zeitweisein fünf von Algeriern bewohnten Stadtbezirken eine derartige Unsicherheit herrschte, daß sich viele Bürger nachts kaum auf die Straße trauten.Die Zustände wurden schließlich so
MAXIMILIAN BEN DA: „Herr Präsident, Ihr letztes Buch über die gaullistische Außenpolitik ist im Verlag Drömer-Knaur (München) kürzlich unter dem Titel „Ehrgeiz und Illusion“ zur Kenntnis des deutschsprachigen Auslandes gebracht worden. Ich habe der Presse entnommen, daß Sie selbst anläßlich der deutschen Ausgabe in München waren und dort einige öffentliche Erklärungen abgegeben haben. Welche waren Ihre Eindrücke von der letzten Deutschlandreise?“PAUL REYNAUD: „Meine Eindrücke waren glänzend. Ich war nicht unempfindlich gegenüber dem Interesse, das mir das. deutsche
Der Ende vergangener Woche abgeschlossene Kongreß der Volksrepublikanischen Partei (MRP) hat ein starkes Interesse bei in- und ausländischen Beobachtern gefunden. In der Tat haben die so oft totgesagten katholischen Volksrepublikaner eine Zähigkeit und Eigenwilligkeit an den Tag gelegt, die ausnahmslos alle Pressever-treter überrascht und beeindruckt hat. Überrascht hat vor allem der klare Trennungsstrich, den die Parteiführung zwischen sich und den Gaullisten ziehen zu müssen glaubte, wodurch alle Spekulationen auf eine Zusammenarbeit der MRP mit der Regierung — die UNR, als
Wir haben in unserer letzten Betrachtung aus Paris auf den Zickzack-Kurs der gaullistischen Außenpolitik hingewiesen und dabei den ' In der französischen Hauptstadt herrschenden Eindruck erwähnt, daß es dem General seit etwa sechs Monaten an Sicherheit und Bewegungsfreiheit gefehlt habe. Das Rätselraten um dieses Phänomen fand durch die überraschende Nachrieht über die Prostataoperation des 73jährigen Staatspräsidenten einen gewissen Abschluß: Es waren offenbar physische Gründe, die in der letzten Periode eine klare Orientierung vermissen ließen. Wenn sich auch im Bereich der
Das in großer Geheimhaltung vorbereitete anderthalbstündige Gespräch des französischen Staatschefs mit Benbella im Schloß Champs, unweit von Paris, dürfte in erster Linie eine politische Bedeutung in den Augen de Gaulles haben. Das geht vor allem aus demfür die Begegnung gewählten Zeitpunkt hervor.• Zwei Tage später war der Abflug des Generals zum Staatsbesuch in Mexiko angesetzt;• eine Welthandelskonferenz steht vor der Tür, in der Frankreich eine Preissteigerung für Grundstoffe be fürworten wird; und schließlich galt es• eine symbolhafte Stellung zur Frage der
Nach dem demonstrativen Vorstoß des Präsidenten de Gaulle in Peking rechnen Pariser politische Kreise mit der Wahrscheinlichkeit eines baldigen Staatsbesuches des Generals in Moskau. Es gibt in den letzten Wochen in der Tat eine derartige Fülle von Anzeichen einer stark forcierten französisch-sowjetischen Annäherung, daß man der kürzlichen Versicherung des „diplomatischen Wegbereiters“ Edgar Faure, seine etwa um die Osterzeit geplante Reise in die Sowjetunion habe keinen offiziellen Charakter, nur schwer Glauben schenken kann. Fraglos hat diese Diskretion einen politischen Sinn:
Das deutsch-französische Verhältnis ist seit einigen Jahren auf Moll gestimmt. Erkenntnisse der Nachkriegszeit über den Wahnsinn einer historischen Nachbarschaftsfehde und die Bewahrung gemeinsamer Wirtschafts- und Handelsinteressen im Rahmen der EWG haben die beiden Länder ohne viel Pathos und Dramatik aneinandergerückt und die einst künstlich am Leben erhaltenen Ressentiments wie den Hexenglauben in das Dunkel einer überwundenen Vergangenheit herabsinken lassen. Die Faszination, die de Gaulle auf Dr. Adenauer ausübte, der glänzende Empfang des ehemaligen Bundeskanzlers in Paris, die
Im sozialistischen Lager Frankreichs herrscht nach Abschluß des außerordentlichen Parteikongresses der SFIO (Section francaise de l'Internationale ouvriere) eitel Zuversicht: Nach zweitägigem Ringen war es überraschend gelungen, eine Kompromißformel für die gegnerischen Konzeptionen des Generalsekretärs Guy Mollet und des Mar-seiller Bürgermeisters Gaston Defferre zu finden und die Nominierung Defferres zum Präsidentschaftskandidaten „aller Sozialisten und aller Republikaner“ offlaiell als einstimmigen Beschluß der Partei zu verkünden. Noch wenige Stunden vor dieser Entscheidung
Erst mit einigem Abstand zur „Show“ im Elysee-Palast beginnt in Pariser politischen Kreisen so etwas wie eine sachliche Wertung der Erklärungen des französischen Staatspräsidenten. Die unmittelbaren Reaktionen nach der Pressekonferenz tragen vornehmlich den Stempel einer negativen Kritik. Dies war auf die Tatsache zurückzuführen, daß der Präsident der Republik über 900 „Pressestatisten“ ins Elysee eingeladen hatte, ohne ihnen etwas Neues zu sagen — ungeachtet einer wochenlang aufrechterhaltenen Spannung und psychologischen Vorbereitung auf ein „historisches Ereignis“.
Seit dem tragischen Ausscheiden des Präsidenten Kennedy von der politischen Bühne fühlt man deutlich eine gewisse Unsicherheit am Quai d’Orsay. Die in regierungsnahen Kreisen in letzter Zeit oft formulierten Kontinuitätsbeteuerungen wirken forciert und nicht recht überzeugend.Die Zeit für GerüchteUnter der Decke gehen Gerüchte um, Versuchsballons werden lanciert, Vermutungen als bare Münze präsentiert. So heißt es, daß für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen zwischen de Gaulle und Ludwig Erhard der Plan bestanden habe, den Vertrag von Rom nach seiner Liquidierung durch
Wenn de Gaulle bei mehreren Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht hat, daß ihm oppositionelle Strömun- . gen wenig Sorge bereiten, so scheint . sein Optimismus in der gegenwärtigen Lage fundiert: Alle verzweifelten Sammlungsversuche der verschiedenen Gruppen der Linken, die in den letzten Wochen unternommen wurden, um die Aufstellung eines gemeinsamen Kandidaten für. die kommende Präsidentenwahl zu realisieren, erwiesen sich als- wenig wirkungsvoll. Zwar herrscht .sowohl hpi 4ch Radikalsoziglen gjs auclj bei . ‘den Sozialisier!, hei ‘ den. Gewerkschaften a,ls auch bei den Kommunisten
Eigentlich ist den meisten Parisern nicht sehr froh zumute. Der Sommer, der so schön begann, brachte an seinem Höhepunkt Wind und Regen, und die Temperaturen sanken auf elf bis zwölf Grad herab. Man holt die Wintergarderobe aus den Schränken und erinnert sich, daß man Weihnachtstage an der Seine gekannt hat, die wärmer waren als der vergangene August. Und natürlich hat man auch schon eine Erklärung für das Verhalten des launischen Wettergotts gefunden: das Ende der Atomexplosionen in der Atmosphäre ist daran schuld!Hoffentlich werde man in Washington und Moskau die Lage rechtzeitig
Man hat in der französischen Presse seit Pfingsten oft von einer ganzen Serie deutsch-französischer Differenzen gesprochen. Einige Boulevardblätter versuchten sogar durch einige Beispiele zu belegen, daß man von einer wahren Krise der Partnerschaft sprechen könne. Bei diesen Auslassungen klangen oft antigaullistische Töne mit: Der Mann auf der Straße sollte davon überzeugt werden, daß die vom General gestartete Versöhnungs- und Freundschaftsinitiative schon nach wenigen Monaten, im Augenblick der praktischen Bewährung, alle Anzeichen eines.Das offizielle Frankreich upd die beiden
NACHDEM DREI MILLIONEN Pariser die französische Hauptstadt verlassen haben — allein in den letzten Juli- und ersten Augusttagen suchten zwei Millionen das Weite — ist die grauenhafte Zeit angebrochen, vor der sich die zum Bleiben gezwungenen Ausländskorrespondenten so sehr fürchten: die Periode, in der sich eine Weltmetropole vom Tumult des Alltags ausruht und ihre treuesten Bürger gnadenlos ihrem Schicksal überläßt. Die Politiker weilen am Mittelmeer oder bei ihren Wählern auf dem Lande.Die meisten Theater, zahlreiche Geschäfte und Restaurants haben geschlossen; selbst die
In der vergangenen Woche hat die französische Regierung nach kurzer Vorbereitung im Schnellverfahren die Gesetzesvorlage über die Streikregelung durch die beiden parlamentarischen Gremien „gepeitscht“, damit sie noch vor Beginn der Sommerpause Gültigkeit erhält. Das Gesetz, an dessen Anflahme durch die Nationalversammlung wegen der bestehendenMehrheitsverhältnisse kein Zweifel bestand — lediglich der Senat dürfte Ministerpräsident Pompidou einige Schwierigkeiten bereiten —, konzentriert sich im wesentlichen auf zwei Punkte : Dem Personal der öffentlichen Betriebe (städtische
Die Geschichte der französischen Nation kennt viele Irrtümer und Fehlgriffe der Justiz. Insbesondere haben Gerichtsurteile in politischen Prozessen oft den Verdacht aufkommen lassen, daß Gesinnungstendenzen, Op-portunitätsfragen, Rücksichten auf die öffentliche Meinung oder Konformismus gegenüber der herrschenden Gewalt die richterliche Entscheidung beeinflußten. Was jedoch diese negativen Erscheinungen im moralischen Bereich wieder aufwiegt, ist das Phänomen, daß in fast restlos allen fragwürdigen und umstrittenen Fällen das Gewissen der Öffentlichkeit mit dem Urteilsspruch nicht
Die französische Presse, die sich seit einem Jahr über die Aktivität der OAS- und CNR-Führer im Ausland — in Spanien, Italien und Deutschland — in der Regel besser informiert zeigte als die deutschen Behörden, hat vor einige“n Tagen über einen gescheiterten Entführungsversuch Georges Bi-daults gesprochen. So behauptete eine bekannte politische Wochenschrift, daß zwei Wochen vor der Entführung des Obersten Argoud aus München Mitglieder des „Spezialdienstes“ der Fünften Republik den ehemaligen Ministerpräsidenten bereits in einen Wagen verfrachtet hatten. Lediglich einem
Schon in den Wochen vor dem großen Wahlsieg de Gaulles im vergangenen Herbst war der Tenor der OAS, der, von Algerien übergreifend, Frankreich monatelang mit Sprengstoffanschlägen, Morden, Brandstiftungen und Banküberfällen in Angst und Schrecken gehalten hatte, deutlich abgeklungen. Dank einer systematischen und erfolgreichen Arbeit der Polizei wurden in allen Teilen des Landes sehr viele aktive Widerstandsgruppen zerschlagen, ganze Tonnen von Waffen und Munition sichergestellt, tausende Aktivisten in die Gefangnisse gesperrt und ihre prominentesten Führer teils zum Tode, teils zu