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Das Geheimnis des Generals

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Der Pessimismus, den die Pressekonferenz des französischen Stäats-chefs de Gaulle bei allen bewußten Europäern — und vor allem in französischen Agrarkreisen — ausgelöst hat, weil das „Staatsbegräbnis“ des Gemeinsamen Marktes eine definitive Form anzunehmen schien, hat indessen neuen, wenn auch schwachen Hoffnungen Platz gemacht. Inzwischen hat nämlich der Präsident der Republik, nicht zuletzt unter dem Druck des einmütig negativen Echos in der französischen Öffentlichkeit, offenbar selbst erkannt, daß er den Bogen überspannt hatte und das gefährliche Risiko eingegangen war, vier Millionen landwirtschaftlicher Wähler in das Lager seiner Gegner zu treiben. Stünde die Präsidentenwahl nicht vor der Tür, so hätte er den Kampf vermutlich nicht gescheut. Unter den gegebenen Verhältnissen zwang ihn jedoch die elementare Vernunft zu einer Art „Richtigstellung“ seiner Erklärungen, die nicht wenige Franzosen als ein Dementi seiner selbst — eine knappe Woche nach der historischen Kampfansage gegen die EWG — hinzustellen bemüht waren.

Die ursprüngliche Fassung der Erklärung de Gaulles hat den folgenden Wortlaut:, „Wir haben mit aller Kraft darnach gestrebt, daß die französische Landwirtschaft in den Gemeinsamen Markt eintritt. Wir haben dafür gekämpft, und wir werden fortfahren zu kämpfen, daß dieser Entschluß einen unwiderruflichen Charakter bekommt — nicht nur, weil dies unserer Landwirtschaft eine wichtige Hilfe bringen wird, sondern auch, weil der Gemeinsame Markt nicht bestehen kann, wenn die nationale Wirtschaft und die Landwirte nicht eingeschlossen sind. Die Regierung verzweifelt nicht, dieses Ziel zu erreichen.“

In der Tat ist nach den „historischen Europaerklärungen“ des Generals neue Bewegung, um nicht zu sagen überstürzte Hast in die französische Innenpolitik gekommen. Man bestürmt den ehemaligen Ministerpräsidenten Antoine Pinay, für die Präsidentschaft der Republik zu kandidieren, da die gemäßigte Gruppe der Demokraten die VorausSetzung des „nationalen Notstands“ als gegeben ansieht, die Pinay für seine etwaige Kandidatur zur Bedingung gemacht hatte. Weiterhin präsentierte sich der 49jährige Linkspolitiker Frangois Mitterrand — er ist ehemaliger Innenminister und Abgeordneter des Departements Nievres — als Kandidat für den 5. Dezember, obwohl die Kommunisten, die ihn möglicherweise tolerieren würden, dem weit links stehenden Präsidenten der Liga für Menschenrechte und ehemaligen Generalsekretär der Sozialistischen Partei, SFIO, Daniel Mayer, den Vorzug gegeben hätten. Auch Jules Moch, der ehemalige Innenminister der SFIO ist von ihnen ins Feld geführt worden. Dies ist fraglos nicht zuletzt deshalb geschehen, weil Moch seit Jahren gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland polemisiert und für die Anerkennung der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik“ durch Frankreich eintritt. Der Radikalsozialist Maurice Faure, der zugleich Präsident seiner Partei ist, hat jedoch dem Drängen seiner Freunde, gegen de Gaulle anzutreten, nicht nachgegeben, weil er sich offenbar für eine aussichtslose Rolle nicht zur Verfügung zu stellen bereit ist.

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