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Bauernbombe gegen de Gaulle

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Nachdem der französische Bauernverband FNSEA in den vergangenen Monaten mehrfach seine politische Neutralität im bevorstehenden Wahlkampf unterstrichen hatte, änderte er kürzlich ganz überraschend seine Haltung: Nach einer bewegten Ratstagung am 21. Oktober empfahl er dem Millionenheer seiner Mitarbeiter, bei der Staatspräsidentenwahl am 5. Dezember dem Kandidaten des gegenwärtigen Regimes ihre Stimme zu versagen.

Die Verbandsführung begründete diese Änderung ihrer Haltung sowohl mit der Einkommenspolitik der Regierung als auch mit dem hartnäckigen Widerstand des französischen Kabinetts, an den Brüsseler Verhandlungstisch zurückzukehren.

Wenn es auch im Augenblick schwer abzusehen ist, ob die Mehrheit der französischen Bauern bereit sein wird, diesem Aufruf Folge zu leisten, so steht bereits jetzt fest, daß die FNSEA-Entscheidung in Regierungskreisen und im Generalstab der Gaulistenpartei UNR wie eine Bombe eingeschlagen hat, die man nach dem ersten Überraschungsschock durch propagandistische Gegenmaßnahmen unschädlich zu machen sucht. Der Gegenangriff wurde vom offiziellen gaullistischen Organ „La Nation“ eingeleitet: Es bemühte sich in etwas überstürzter Form, die Delegierten des FNSEA-Rates von der Masse der französischen Landwirte durch die Behauptung zu isolieren, daß zwischen den berufsständischen Führungsgremien und den bäuerlichen Wählern im Grunde keine politische Ubereinstimmung bestehe.

Noch heftiger griff der General-sekretär der UNR, Jacques Baumel, den Bauern verband gelegentlich einer Rede in Toulouse an, die in der französischen Öffentlichkeit stark beachtet wurde. Baumel machte unter anderem die folgenden Ausführungen: Da die Agrar-probleme gegenwärtig nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern einen komplexen Aspekt zeigten, sei es absurd, diese Fragen systematisch politisieren zu wollen. Es sei paradox, im Namen der Landwirtschaft das Kabinett anzugreifen, weil es mutig die Chancen der französischen Agrarproduzenten gegen die EWG-Partner, die ihren Verpflichtungen untreu geworden seien, verteidigt habe.

Würde man nicht erkennen, daß die Haltung der französischen Regierung sich in Brüssel bezahlt gemacht habe, da die Partner Frankreichs nunmehr die Neigung zeigten, denjenigen Kardinalpunkten zuzustimmen, die sie am 30. Juni abgelehnt hätten? Die Bauern müßten wissen, daß man ohne General de Gaulle die Eingliederung der Landwirtschaft in die EWG nicht erreichen werde, da dies von Frankreichs Partnern, die ausschließlich am industriellen Markt interessiert seien, nicht gewollt werde. Niemand außer der Pariser Regierung würde die Belange der französischen Bauern wahrnehmen — und am wenigstens die EWG-Partner, denen die Sympathie der Vertreter der Agrar-organisationen gehöre. Warum brächten sie nicht die Zivilcourage auf, ihren Mandanten zu sagen, daß die EWG niemals ein Allheilmittel sein werde, wenn sie nicht durch Anstrengungen im Bereich der Vermarktung, Modernisierung und der Produktivität ergänzt werde? Die deutschen und holländischen Industriellen hätten nicht erst den Gemeinsamen Markt abgewartet, um überall ihre Geschäfte zu entwickeln. Die italienischen, deutschen, belgischen und holländischen Landwirte warten nicht auf die EWG, um ihre Betriebe zu modernisieren und ihre Konkurrenzfähigkeit zu vergrößern. Es hieße die französischen Bauern belügen, wollte man sie mit dem Traumbild eines gelobten EWG-Landes einschläfern. Generalsekretär Jacques Baumel schloß: „Die französischen Bauern sind realistische und ernsthafte Menschen. Sie verabscheuen Lügen und alles, was übertrieben oder ungerecht ist. Deshalb ist es äußerst bedauerlich, daß der Bauernverband sein professionelles Gebiet verläßt, um sich der systematischen Kritik und der bedingungslosen Opposition hinzugeben.“

Diese Rede Baumeis ist fraglos als Auftakt einer großangelegten Propagandaaktion zu werten, mit der das Regime bemüht sein dürfte, den Agrarsektor, der wenige Wochen vor der Staatspräsidentenwahl unerwartet zu einem politischen Vnstcher-heitsfaktor geworden ist, auf die Linie des Generals de Gaulle auszurichten. Ein solches Unternehmen mochte noch vor wenigen Wochen kaum problematisch erschienen sein, da der Bauernverband — um mit den Worten des Kammerpräsidenten und Senators Rene Blondelle zu reden — weitgehend Gefangener einer gaullistischen Basis seiner Mitglieder gewesen ist, die die „Ordnung auf der Straße“ lieben. Da den Landwirten bisher für die Entscheidung am 5. Dezember keine andere Wahl blieb, als entweder für de Gaulle (beziehungsweise für einen vom General benannten Kandidaten) oder aber für den Kandidaten der Linken, Mitterand, zu stimmen, den auch die Kommunisten unterstützen und dessen Europaprogramm von ihm bewußt vage und nebelhaft gehalten wird, hatte General de Gaulle alle Chancen, das Gros der französischen Bauern auf seiner Seite zu sehen. Diese Zwangslage erklärt die bisher wenig fruchtbare und politisch zurückhaltende Aktion der FNSEA, die sich auf Informationskampagnen, Weißbücher und Konferenzen mit Journalisten beschränken mußte.

Dies hat sich schlagartig von dem Augenblick an geändert, als der Volksrepublikaner Jean Lecanuet, ein „Mann der Mitte“ und bewußter Europäer, seine Absicht bekanntgab, gegen General de Gaulle zu kandidieren. Die Landwirte Frankreichs brauchen sich jetzt nicht mehr politisch „heimatlos“ zu fühlen und können Lecanuet als einen Verfechter ihrer spezifischen Interessen betrachten.

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