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Veto

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Die mächtigen Scheinwerfer des Fernsehens erlöschen, unzählige schmale Sessel werden gerückt, 1100 Journalisten der Welt, Franzosen und Israelis, Araber und phlegmatische Briten, die ruhigen Vertreter der TASS, die eifrigen Amerikaner, sie alle verlassen die 16. Pressekonferenz des französischen Staatschefs mit dem sicheren Bewußtsein, eine historische Persönlichkeit von einmaligen Dimensionen angehört zu haben. General de Gaulle hat mit Churchill und Adenauer in entscheidender Weise das Europa des 20. Jahrhunderts geprägt.

Man mag de Gaulle sehr verehren oder ihn als ein „machiavel-listisches Genie“ betrachten, der von einem „unfaßbaren Willen zur Macht erfüllt ist“. So lautet zumindest das Urteil von Beuve-Mery vulgo Sirius, Direktor der ernstesten Tageszeitung Frankreichs, „he Monde“. Von General de Gaulle strahlt jedenfalls eine Kraft aus, welche die abgebrühten Nachrichtenjäger ebenso empfanden, wie die Millionen, die am Fernsehschirm diese Ein-Mann-Show bewunderten. Denn ein 77jähriger Mann versteht es, Frankreich und die Welt in Atem zu halten, ohne selbst ein Diktator im Stile Stalins oder Hitlers zu sein.

Man muß wirklich dabeigewesen sein, um die Stärke dieser Persönlichkeit abzumessen, die den Mut besitzt, eine eigene Wahrheit allein zu interpretieren. Als Chef eines nur 50-Millionen-Volkes fordert er die größte Weltmacht heraus, und identifiziert die Interessen seiner Nation mit den ' Geschicken des Planeten. Sicherlich bedeutet diese Konferenz in Form und Inhalt einen Höhepunkt seiner politischen Laufbahn, wobei die physische Leistung besonders auffällt. Der Staatschef dozierte eineinhalb Stunden, ohne, von einer Ausnahme abgesehen, irgendwelche Unterlagen zu konsultieren. Sarkastisch, schlagfertig und humorvoll zwang er die Zuhörer immer wieder zu Lachausbrüchen. Er wolle ein nacktes England. „Die Nacktheit eines schönen Geschöpfes ist ziemlich natürlich und für die Umgebung sehr zufriedenstellend“, versicherte er. „Aber niemals habe ich Ähnliches bezüglich England gesagt.“

Denn um den Fall England ging es in erster Linie. Die Briten klopfen vergeblich an den verschlossenen Türen der EWG, und sie sollen nach dem Willen des Generals auch weiterhin — wir verwenden das gelungene Bild eines französischen Kommentators — wie die Bürger von Calais den Spruch des gestrengen Richters abwarten. Mag auch eine amerikanische Herausforderung Europa bedrohen, General de Gaulle bekannte sich zur ausschließlichen Tugend des eigenen Staates und der Begriff Europa wurde weder von ihm noch vom Kongress der UNR in Lille betont oder hervorgehoben.

General de Gaulle ist weiter nicht bereit, mit Einschluß Großbritanniens das technologische und wirtschaftliche Europa zu schaffen. Es bleibt bei einem harten „Nein“ gegenüber England, und die schönsten Worte täuschen nicht darüber hinweg, daß selbst Verhandlungen bezüglich des Eintritts Großbritanniens vom gaullistischen Frankreich abgelehnt werden. Die Partnerstaaten sehen sich vor ein unangenehmes Dilemma gestellt. Sollen sie diesem Veto zustimmen, in der Hoffnung, daß die V. Republik eine politische Union bewilligt, oder nehmen sie die Auflösung der EWG in der bisherigen Form an und treten für eine lose Freihandelszone ein? Neue schwere Krisen innerhalb der EWG sind vorauszusehen.

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