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Pompidous Ruf zu Höherem

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Hat de Gaulle einen unbequemen Mahner, einen Nebenbuhler beseitigt? Wir gelangen persönlich mit fast allen politischen Beobachtern in Paris zu einem andern Schluß: Staatschef de Gaulle kannte in den zehn Jahren seiner Herrschaft drei Ziele: Er mußte zuerst den Algerienkrieg liquidieren und das koloniale Erbe der Nation abstoßen. Dies gelang ihm in vortrefflicher Weise, obwohl dadurch viel Bitterkeit erzeugt und 1,500.000 Menschen ihre Heimat verloren. Die Entkolonisierung gehört zu der positivsten Seite des Regimes und entspricht den Gegebenheiten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der Staatschef war zutiefst von der Notwendigkeit überzeugt, Frankreich mit starken Institutionen zu versorgen, um damit der Unstabilität, welche in der III. und IV. Republik herrschte, ein Ende zu setzen.

Die harten Gegner von links bestreiten in keiner Weise die Einrichtungen der V. Republik, die weiterbestehen, falls nicht eine neue Revolution andere Formen zeugt.

De Gaulle wünschte, Frankreich eine neue Weltmachtstellung zu verschaffen, das Land aus dem Hegemoniebereich der USA zu befreien und betrieb eine streng nationale Politik, die mit einem gewissen „heiligen Egoismus“ verbunden ist. Ihm gelang immerhin eine bescheidene Auflockerung in der internationalen Politik, und die beiden Machtblöcke rechnen mit dem Phänomen de Gaulle, obwohl dieses „Lothringische Kreuz“ die amerikanischen Staatsmänner ebenso drückt, wie dies seinerzeit Churchill im zweiten Weltkrieg ertrug.

Der General will zum Abschluß seiner wohl einmaligen Karriere, die ihn auf den Höhepunkt der Macht führte, der Nation einen letzten Dienst erweisen. Seit dem Jahre 1947, als er seine Sammelbewegung RPF begründete, bis in unsere Tage, da die Zauberformel „Beteiligung“ auftauchte, spricht de Gaulle von dem sogenannten dritten Weg. Eine moderne Industriegesellschaft könne eine Option zwischen Kapitalismus und Kommunismus einnehmen.

Betriebliche Demokratie

In unzähligen Reden studierte er eine Reform der sozialen Strukturen. In den fünfziger Jahren erwog er eine Assoziierung zwischen Kapital und Arbeit. Mit Ausnahme engster Mitstreiter wurden diese Andeutungen nie recht ernst genommen. Im Jahre 1965 legte der gaullistische Abgeordnete Valion dem Parlament den umstrittenen Gesetzesentwurf vor, der darauf abzielte, die Arbeiter an den Gewinnen ihrer Betriebe teilhaben zu lassen. In den Mai- und Juni tagen stand der scharfprofilierte Linksgaullist Capitant auf und entwickelte einen Plan, der als revolutionär zu bezeichnen ist. Demnach entsteht im Betrieb, neben der Kapitalgesellschaft, eine Genossenschaft der Arbeiter und Angestellten, die dem Kapital gegenüber eine geschlossene Front bildet. Die Direktoren der Betriebe formen eine Art Regierung, die sich vor dem „Parlament“ der Betriebe, zusammengesetzt aus den Vertretern der Kapitalgesellschaften und Arbeitergenossenschaften, verantwortet.

Diese Projekte, welche alle bisherigen Vorstellungen von einem modernen Betrieb beseitigen, stoßen auf entschiedene Ablehnung der Sozialpartner. De Gaulle ist nicht der Mann, einmal gefaßte Vorstellungen über Bord zu werfen. Im Gegenteil, je schärfer die Angriffe erfolgen, um so selbstbewußter wird er in der Krise, die er scheinbar braucht, wie ein Fisch das Wasser.

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