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Wie Frankreich wieder erstand

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In Nr. 6 von 195 5 der „Furche“ wurde der 1. Band „L'Appel 1940—1942“ der Kriegserinnerungen des Generals Charles de Gaulle eingehend besprochen und bemerkt, daß man dem

2. Band mit allergrößtem Interesse entgegensehen müsse. Dieser 2. Band „L'Unite 1942—1944“ (Plön, Paris, 8, 712 Seiten, hiervon 390 Seiten Dokumente, Preis 1350 sfrs.) liegt nun vor und er hat alle Erwartungen erfüllt. Anknüpfend an 1942, als bereits 70.000 Mann „France combattante“ organisiert waren, führt uns de Gaulle durch alle durchaus unwahrscheinlich anmutenden Fährnisse der beiden folgenden Kriegsjahre bis zu seinem sein Wirken krönenden Einzug in Paris. Es war keineswegs so, wie man annehmen konnte, daß die Alliierten das sich neu sammelnde Frankreich mit offenen Armen empfangen hätten, im Gegenteil, sowohl Roosevelt als auch Churchill hielten lange Distanz, ersterer schloß die Freien Franzosen von einer Teilnahme an der Landung in Nordafrika aus, letzterer verweigerte die gewünschte Zusammenarbeit im Vorderen Orient. Während derart die Verbündeten über die freigebliebenen französischen Gebiete eigenmächtig verfügten, wütete im Vichy-Frankreich der Terror, dem viele Tausende zum Opfer fielen. De Gaulle verfocht den Standpunkt, wenn das neue Frankreich nicht mit einer eigenen Regierung und mit eigenen Streitkräften an der Seite der Alliierten den Sieg aktiv miterkämpfe, wenn man zweifelhafte Wege gehe, wie in der von ihm abgelehnten Kollaboration . mit Darlan, dann werde der eigentliche Sieger Stalin sein, der an Stelle von England und Frankreich Europa mit den USA beherrschen werde.

Die verlustreichen Kämpfe in Afrika gegen vichytreue Truppen werden eine „Tragödie“ genannt, der als „Komödie“ der Versuch Girauds folgte, de Gaulle in der Führung des Freien Frankreich zu verdrängen. Mit unbeugsamer Unnachgiebig-keit erzwang dann de Gaulle, der im Mai 1943 seine Residenz von London nach Algier verlegte, bis zum

3. September 1943 die Anerkennung seines „Comite franyais de la liberation nationale“ durch 26 Staaten, er erreichte Girauds Rücktritt, er überzeugte General Eisenhower von der Notwendigkeit, die Truppen der Freien Franzosen an den Operationen in Italien offiziell mitwirken zu lassen, und er hatte am 9. November 1943 die Genugtuung, sich endlich als unbestrittener Präsident des Comites anerkannt zu sehen. Schon vorher war die Assemblee consultative nach Algier einberufen worden, im April 1944 folgte die Umwandlung des Comites in das „Gouvernement provisoire de la Republique Francaise“: das neue Frankreich war nun ein Faktor, über den niemand mehr hinwegzusehen wagte und dem auch die USA im Juli 1944 die Eignung zuerkannten, die Regierung im Mutterland zu übernehmen. Neben dieser politischen Restaurierung des freien französischen Besitzes in allen fünf Erdteilen ging Hand in Hand der weitere Aufbau der Wehrmacht, und aus den Kadern von 1942 entstanden bis Jänner 1944: 1 Armee- und 3 Korpskommandos, 6 Infanterie- und 4 Panzerdivisionen, Hilfswaffen aller Art, in Summe 230.000 Mann Operationsarmee, 150.000 Ersatz-tnsppen, außerdem 50.000 in der Marine mit tJ4 Kriegsschiffen (320.000 Tonnen) und 30.000 in der Luftwaffe mit 500 Flugzeugen. In der noch besetzten Heimat standen aber fast 200.000 Widerstandskämpfer, die „Maquisards“, bereit. De Gaulles Truppen nahmen an den Kämpfen in Libyen und Tunis, in Italien, in Südfrankreich und in der Normandie rühmlich teil und ihnen war es letzten Endes“ zu verdanken, daß Frankreich auch aus eigener Kraft seine Erneuerung finden konnte und diese nicht bloß als Gnadengeschenk der Verbündeten entgegennehmen mußte. Nicht umsonst hatte es doch bis zur Landung am Atlantikwall bereits 30.000 Menschen im Luftkrieg, 20.000 durch Hinrichtung und 50.000 durch Deportation verloren.

So reifte die Frucht, so neigte sich der Endsieg auch de Gaulle zu, dessen Stellung schließlich derart achtunggebietend war, daß Annäherungsversuche des Petain-Regimes überhaupt unbeachtet gelassen werden konnten und daß auch die Verteidiger von Paris auf einen Kampf verzichteten und kapitulierten. De Gaulle stand am Ziel, und am 25. August 1944 war er bei seiner Ansprache im Pariser Rathaus Gegenstand verdienter ehrender Kundgebungen. Neben der Erkämpfung der diplomatischen Selbständigkeit darf als entscheidender Erfolg nicht übersehen werden, daß General de Gaulle auch das souveräne militärische Kommando durchsetzte: „Keine einzige französische Truppe durfte auf welchem Kriegsschauplatze immer ohne Befehl der französischen Regierung verwendet werden “ Bemerkenswert bleibt weiter die energische und wirksame Lösung der so schwierigen Frage einer strafrechtlichen Verfolgung der Kollaborateure, die wegen „Einverständnis mit dem Feinde“ vor Gericht gestellt wurden und für die als neue Strafe die „nationale Unwürdig-keit“ eingeführt wurde, wobei man auch von Todesurteilen nicht Abstand nahm. Sehr weitblickend war die Inangriffnahme der kolonialen Probleme auf der Konferenz in Brazzaville, deren Beschlüsse für Frankreich sehr segensreich hätten werden können, wenn sie von de Gaulles Nachfolgern beherzigt worden wären.

Das Werk des Generals steht eindrucksvoll vor der Geschichte als das Werk eines einzelnen, errungen gegen eine ganze Welt von Feinden, die auch in den eigenen Reihen standen. Die Kriegserinnerungen des erfolgreichen Staatsmannes, den jetzt die Oeffentlichkeit beiseite gerückt hat, sind infolge der Nennung zahlreicher mutiger und treuer Mitarbeiter ein würdiges Denkmal für alle Franzosen, die nie vergessen haben, Franzosen zu sein. Die beiden Bände sind neben der eben in London erschienenen Dokumentenpublikation über die große Strategie der Jahre 1943 und 1944 eine ganz außerordentliche Bereicherung der Geschichte des zweiten Weltkrieges, und zwar wie er sich hinter den Kulissen abgespielt hat. Sie bringen auch manche willkommene Ergänzung zum persönlichen Bild der führenden Staatsmänner und Militärs: Papst Pius XII., Roosevelt, Dulles, Churchill, Eden, Darlan, Laval, Auriol, Pleven, dann Eisenhower, Montgomery, Juin, Leclerc und viele andere ziehen am Auge des Lesers vorüber, der dem Autor für den unbestreitbaren Genuß der Lektüre wie auch für deren belehrende Wirkung aufrichtig und anerkennend danken muß.

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