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Der Monokrat und seine Juden

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Sobald der Direktor der bedeutendsten politischen meinungsbildenden Zeitung Frankreichs ,.Le Monde“, Hubert Beuve-Miry, unter dem Pseudonym Sirius einen Leitartikel verfaßt, bringt er damit zum Ausdruck, daß sich Frankreich ein staatspolitisches Problem stellt. Auf dem Höhepunkt der Mai-Juni-Krise hatte dieser bekannte Publizist sehr offen den Rücktritt des Staatschefs General de Gaulle verlangt. Vor einigen Tagen griff Beuve-Mery wieder zur Feder und verurteilte die Monokratie der V. Republik. In diesem System leite eine einzige Persönlichkeit die Geschicke der Nation und treffe lebenswichtige Entscheidungen ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung und die staatlichen Organe. Direktor Beuve-Mery blieb nicht allein. Eine heftige Diskussion über das letzte HutarenstülälellSenerals

General de Gaulle hatte, ohne seine Regierung zu konsultieren oder die außenpolitische Kommission des Parlamentes zu befragen, ein totales Embargo für alle französischen Waffenlieferungen nach Israel dekretiert. Vorher wurde in den heftigsten Tönen das Kommandountemehmen der Israelis gegen den Flughafen von Beirut verurteilt. Entgegen den diplomatischen Gepflogenheiten benützte General de Gaulle den traditionellen Neujahrsempfang der Botschafter und Gesandten, um den Vertreter des Libanons ostentativ zu ehren, während er den Israelischen Botschafter nicht einmal eines Wortes würdigte.

Noch zu Beginn der sechziger Jahre wurde vom französischen Staatschef undsehien,Ratgebern Israel.als ein positives Element des Friedens in dieser unruhigen Zone bezeichnet. Als der Patriarch Israels, Ben Gurion, de Gaulle besuchte, sprach dieser von Israel als einem Freund und Verbündeten.

Zwei Momente haben die französisch-israelischen Kontakte abgebaut. Paris suchte einen engeren Konnex zur Sowjetunion, und der amerikanische Einfluß in Israel machte sich zusehends bemerkbar. Nachdem Algerien seine Souveränität dank de Gaulle gewonnen hatte — der General sieht diesen Akt wohl mit Recht als einen Höhepunkt seiner politischen Laufbahn an —, stand einem Ausgleich mit der arabischen Welt nichts mehr im Wege. Frankreich wollte außerdem eine große Rolle in der Weitpolitik des Öls spielen. Es war daher verständlich, daß zarte Bande zu einzelnen arabischen Hauptstädten geflochten wurden. Die Staatsräson orientiert sich nach anderen Gesichtspunkten als die Moral des gewöhnlichen Bürgers. Ein Markt von 100 Mülionen Menschen ist nun einmal, es mag brutal klingen, wichtiger als die Absatzmöglichkeiten in einem Zweimillionenvolk.

Israel wurde allerdings der wichtigste Kunde der französischen Warfen- und Flugzeugindustrie und ließ sich fast ausschließlich von Frankreich aufrüsten. Die Wirksamkeit der französischen Waffen stand im Sechstagekrieg glänzend unter Beweis.

Aber gerade vor einem Krieg hatte de Gaulle dringend gewarnt und die Israelis gebeten, jedem Angriff auszuweichen. Die Schließung des Golfes von Akaba, der Aufmarsch der ägyptischen Panzerdivisionen auf der SinaiHalbinsel waren nach Meinung des ft*n*ös!ien'-ilSta1W{&chefs unzureichende Gründe, um im Nahost einen Krieg zu entfesseln. General de Gaulle glaubte sich berufen, als Schiedsrichter des Weltgeschehens zu fungieren. So hatte er das Eingreifen der Amerikaner in Vietnam als Aggression bezeichnet. Immer wieder geißelte der Staatschef die amerikanische Intervention in Ostasien, während er den Einmarsch der Warschauer Paktmächte in die Tschechoslowakei relativ mild rügte. Die Israelis hatten demnach ein Majestätsverbrechen begangen, da sie entgegen den Vorstellungen de Gaulles den Vernichtungswillen ihrer arabischen Gegner vorläufig siegreich gebrochen hatten.

Die Pariser Presse und die öffentliche Meinung ist über das Vorgehen de Gaulles zutiefst verärgert. Der Informationsminister hatte auf persönliche Weisung des Staatschefs die Presse verdächtigt, mehr oder weniger im Solde Israels zu stehen. Diese Anschuldigung ist kaum haltbar. Von einer „Verjudung“ der Pariser Presse darf überhaupt nicht gesprochen werden. Bis weit in die Reihen.; der Mehrheitspartei erregte das einsame Vorgehen des Staatschefs Unruhe und Malaise. Die unabhängigen Republikaner Giscard d'Estaings distanzierten sich von dieser Politik. Ihr Generalsekretär Poniatowski ist ein Herold der israelischen Belange in Frankreich geworden. Der Widerstand gegen diese persönliche Art der Diplomatie wurde besonders in der Zentrumspartei sichtbar, die Inhalt wie Geist dieser modernen Monokratie kritisiert. Das französische Judentum, überaus schockiert, protestierte in würdiger Form. Das katholische Lager solidarisiert sich mit einem Volke, das durch Jahrhunderte unterdrückt und verfolgt wurde.Paris - „Mittelpunkt der Welt“ >

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