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Türen nach Osten offen?

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In den letzten Wochen und Monaten hatte es manchmal so ausgesehen, als habe de Gaulle mit seiner (ost-) europäischen Idee Türen aufgestoßen, die nur angelehnt waren. „Ungarn ist ein Land auf dem Weg nach Europa“, verkündete fast pathetisch der ungarische Außerumini-ster Peter in Wien. „Wir leben in Europa, und hier entscheidet sich unser Schicksal“, hatte sein polnischer Kollege Rapacki in Brüssel gesagt. Doch bei genauerem Zusehen war schon zu bemerken, daß die Begeisterung gedämpfter und die Zweifel lauter erklangen, je näher ein Land dem mitteleuropäischen, deutschen, Spannungsherd liegt. Bulgariens, Rumäniens, Ungarns Außen-

mßniister waren wohlgemut und erstaunlich unproblematisch nach Paris gepilgert; der tschechoslowakische folgte ihnen zögernd, der polnische blieb bis heute aus — nicht nur, weil Rapacki inzwischen einen dritten Herzinfarkt zu überwinden hat, auch weil de Gaulle mit einem anderen Mann, den man ihm zu präsentieren gedachte, dem Folit-büromitglied und Gomulka-Intimus Zenon Kliszko, nicht vorliebnehmen wollte.

-JrfrU) 9UK>Trt iL tääie ittflHnfVI Der polnische Zweifel

Die Warschauer Führung hatte aber guten Grund, einen mehr parteipolitisch als diplomatisch versierten Partner anzubieten, denn für sie ist ein Europa ohne klare Beteiligung der kommunistischen Führungsmacht nur mit äußerster Vorsicht zu genießen und im Grunde so bedenklich wie für Bonn ein Europa ohne das amerikanische Engagement. Zur gleichen Zeit, als der Ungar Janos Peter vor der Wiener Gesellschaft für Außenpolitik von einer „gewissen Renaissance“ Mitteleuropas und des Donauraumes sprach, steuerte der außenpolitische Kommentator des polnischen Parteiorgans „Try-buna Ludu“, Kowalewski, einen bemerkenswert kritischen Beitrag zum Thema „Buropäismus“ bei, der nur in der französisch- und englischsprachigen Warschauer Zeitschrift „Polnische Perspektiven“ erwchien.

Kowalewski beklagt sich über die kleineuropäische Idee, fragt, warum Osteuropa von der Integration ausgeschlossen werde — und vermutet: nur mit Rücksicht auf die Interessen der Bundesrepublik, die doch nicht die nationalen Interessen der westeuropäischen Länder seien. Soweit scheint alles noch de Gaulle entgegenzukommen, dann aber folgt

der wichtige Vorbehalt: „Niemand wünscht natürlich die Vereinigten Staaten oder die Sowjetunion — die sich über eine Hälfte Asiens ausdehnt — von der Teilnahme an diesem Werk (der europäischen Einigung) auszuschließen.“ Noch kurz vor dem Gromyko-Besuch hatte der Moskauer Korrespondent der Pariser „Humanite“ (sicher nicht ohne Inspiration) das sowjetische Fragezeichen hinter de Gaulies Formel „Bis zum Ural“ gesetzt und das europäische Areal „vom Atlantik bis zur Sowjetuniion einschließlich“ ausgedehnt. Rapacki hatte in seinem Vorschlag einer europäischen Sicherheitskonferenz ausdrücklich auch die Beteiligung der USA als interessier-

ter Macht vorgesehen. Denn in Warschau und in Prag (wohin Rapackis Stellvertreter Naszkowski am gleichen Tag reiste, an dem Gromyko in Paris eintraf) hängt der „Realitätsgrad“ der de Gaullschen Konzeption vor allem von einer evolu-

tionären Lösung der Deutschlandfrage ab. Und da eben sieht man“,4ie Einftußmöglichkeiten de Gaulies noch winziger als die der USA“, wie „Slowo Powszechne“, das Blatt der Pax-Gruppe, bemerkte.

Kein Monopol für Ostpolitik

Der Besuch Gromykos in Paris hat einen Teil dieser Zweifel sicher zerstreuen können. De Gaulle hatte ihn ja auch bewußt so in Szene gesetzt, daß er den Verdacht von sich weisen konnte, als wolle er etwa die osteuropäischen Partner Moskaus gegen die Sowjetunion ausspielen. Die andere Vorstellung jedoch, die in französischen Diplomatenkreisen aus allerhöchstem Mund verbreitet wird,

daß nämlich jedes amerikanische Engagement in Osteuropa die Völker dort besonders mißtrauisch mache, daß es deshalb die französische Ostpolitik nur störe, muß den Beweis schuldigbleiben. Das ostpolitische „Monopol“, das de Gaulle damit zu

beanspruchen schetat, stößt bei den ' Angesprochenen selbst auf wenig . Gegenliebe. Nicht Rumänien mit sei- ■ nen lateinischen Traditionen und seiner neuen Vorliebe für „Agence France Press“ statt „TASS“-Be-richte kann da Maßstab sein. Das Bewußtsein, daß Amerika, vor allem auch technisch-zivilisatorisch, die westliche Führungsmacht sei, ist in ganz Osteuropa tiefer verwurzelt — und älter als de Gaulles späte Liebe zur Koexistenz. Das stets wache Mißtrauen der Kommunisten gegen ideologische „Konterbande“ richtet sich aber gegen den General nicht weniger als gegen die amerikanische Politik der „Wandlung durch Annäherung“, die de Gaulle übernahm. „De Gaulle hat seine Vorstellungen über die Wiedervereinigung Deutschlands und über den Ausgleich mit Osteuropa immer in dem Blickfeld gesehen, daß die sozialistischen Länder zu irgendeinem vernünftigen Kapitalismus zurückkehren sollten. Gromyko wird diese Illusionen in seinen Gesprächen nicht außer acht lassen können...“ So kommentierte der slowakische Sender Preßburg das Pariser Ereignis.

Initiativen von überall willkommen

Allerdings erscheint den Osteuropäern (den Kommunisten wie den von ihnen regierten Völkern) ein bewegliches Interesse und Engagement, wie es Frankreich 'gegenwärtig an den Tag legt, in jedem Fall diskutabler als bloße Untätigkeit — sei es, daß sie — wie in Washington gegenwärtig — aus weltweiten Verwicklungen resultiert oder — wie in Bonn — aus dem Magdnot-Komplex der Sackgasse. Initiativen, selbst solche, die nicht viel versprechen, sind in Osteuropa allenthalben willkommener als Deklamationen. Weil dort alles Künftige von der Bewegung, der Evolution abhängt und buchstäblich nichts von den Kräften der Beharrung, der Stagnation und der vermauerten Positionen zu erhoffen ist.

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