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USA müßte Feuerwehr spielen.

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Man ist weitab von dem Konzept eines Robert Schuman und Monnet. Das technologische Europa ist genausowenig entstanden wie das politische. Die internationale Organisation Euratom schlittert von einer Krise in die andere und ist in ihrer Aktivität teilweise gelähmt. Obwohl sich in Frankreich besorgte Politiker und Publizisten mit dem Schicksal Europas beschäftigen, sind bisher von Paris keine neuen Initiativen ausgegangen. Frankreich hat aus der gemeinsamen Finanzierung des Agrarmarktes 1968 eine Milliarde Francs bezogen; für 1969 ist die Summe von 1,6 Milliarden angesetzt. Weitsichtige Männer, wie der berühmte Technokrat Armand, plädieren für die Einheit des Kontinents.

Der Zusammenschluß der europäischen Staaten wäre die einzige konstruktive Möglichkeit, den Herausforderungen der Superweitmächte standzuhalten. Der frühere Generalstabschef der französischen Luftwaffe und einzige nichtgaullistische Abgeordnete von Paris, Paul Stehlin, kommentiert ebenfalls heftig die gaullistische Verteidungs-politik in Europa und nennt bezeichnenderweise sein durchaus lesenswertes Buch „Rückkehr zum Punkt Null“ (Retour ä zero).

Der Zentrumsabgeordnete Stehlin wie seine Fachkollegen wissen zu genau, daß die europäische Verteidigungsfront große Lücken aufweist. Ein Panzervorstoß aus dem Osten könnte in wenigen Tagen den Rhein erreichen. Die französische Armee hat sich gänzlich auf die atomare Umrüstung verlassen und die klassische Bewaffnung vernachlässigt. Mögen die Militärparaden des 14. Juli attraktiv wirken, so stellen doch Eingeweihte fest, daß die Programme keineswegs gehalten wurden und die französische Armee, soweit es die normale Rüstung betrifft, zurückgeblieben ist. Nach der Währungskrise im November wurden die Atomversuche gebremst und die Armee verfügt nicht über jenes Abschreckungsmittel, das in der Militärstrategie des Gaullismus eingeplant war. Paris ist daher gezwungen, sich in irgendeiner Form mit den USA zu verständigen, um im Notfall mit dem Atomschutz der Amerikaner rechnen zu können.

Erste vorsichtige Gespräche fanden zwischen dem Oberkommandierenden der NATO in Europa und französischen Generälen statt. Weitere, auf höherer Ebene, folgen.

Liegt die europäische Verteidigung im argen, so gilt dies um vieles mehr für die politische Integration. In dieser Hinsicht sind seit mehreren Jahren sämtliche Wege blockiert und keine wie immer gearteten originellen Ideen entwickelt worden. Stäats-chef de Gaulle denkt kaum daran, Großbritanniens Eintritt in die westliche Staatengemeinschaft vorzubereiten und den Engländern gleiche Rechte und Pflichten zuzuteilen. England scheint wenig willens zu sein, diesen Zustand länger zu ertragen. Schließlich denkt die regierende Partei in London an Wahlen in zwei Jahren, und Premierminister Wilson möchte zu gerne einen aufsehenerregenden außenpolitischen Erfolg vorbringen. Nachdem das eiserne Nein aus dem Elysee-Palast nicht zu überwinden sein dürfte, wird seit Wochen der Gedanke lanciert, ein Europa um England und die Bundesrepublik Deutschland zu schmieden. Der Holländer Mansholt, bekannt durch seinen umstrittenen Plan des Umbaues der europäischen Landwirtschaft, agiert als energischer Advokat dieser Idee. Ein derartiger Gedanke soll auch beim neuen italienischen Außenminister Nennt auf fruchtbaren Boden gefallen sein. Die Engländer haben im Oktober 1968 eine Initiative ergriffen, die von der politischen Öffentlichkeit Europas ungenügend bemerkt wurde. Die englische Arbeiter-, konservative und liberale Partei schlössen sich gemeinsam dem Aktionskomitee Monnet an.

Der mehr als 80 Jahre alte eigentliche Schöpfer des Schuman-Plans. verdoppelte seine Anstrengungen, um noch zu seinen Lebzeiten ein'* politisches Europa zu schaffen. Vier „internationale Weise“, darunter der frühere Landwirtschaftsmiinister de Gaulles, Pisani, und Professor Hail-stein, wurden von Monnet ersucht, einen Bericht über den Beitritt Großbritanniens in den Gemeinsamen Markt auszuarbeiten. Aber Wilson sucht sofortige und konkrete Lösungen. Er wünscht langwierigen Prozedurfragen auszuweichen. Nach der noch für Februar geplanten Versammlung der Westeuropäischen Union (die Sechs plus Großbritannien) in Luxemburg bereitet London eine Ersatzlösung für die ins Stocken geratene europäische Einigungsbestrebung vor

Aber kann Bonn Paris wirklich brüskieren und ein Europa ohne Frankreich projektieren, das im wesentlichen zu einer politischen und militärischen Entente mit Großbritannien führen würde? Auch die zur Diskussion stehenden Modelle, die ein Weiterbestehen der EWG mit Frankreich und ein politisches Europa mit Schwerpunkt Bonn— London vorsehen, scheinen kaum realisierbar zu sein.

Bundeskanzler Kiesinger versucht alles, um mit de Gaulle eine Formel zu finden. Da die Zauberformel „Regionalisierung“ dn Frankreich auf der Tagesordnung steht, schlug der Chef der Bonner Bundesregierung die Gründung einer Art europäischer Region vor, um Lothringen, die Saar und Rheinland-Pfalz durch gemeinsame französisch-deutsche Initiativen einer neuen wirtschaftlichen Blüte entgegenzuführen. Diese Vorschläge sind in Paris selten kommentiert worden. Dagegen kolportiert man flüsternd das Gerücht, daß General de Gaulle sich emstlich mit einer Auflösung der EWG beschäftigt. Am 13. und 14. März treffen sich General und Kanzler in Paris. Sind die beiden Männer ehrlichen Willens, die Krisensituation zu beseitigen, in der sich der Gemeinsame Markt und Europa im allgemeinen gegenwärtig befinden?

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