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Groß- und Kleineuropa

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Europarat und politische Autorität

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Europarat und politische Autorität

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Die erste Sitzung der Hohen Autorität des Schuman-Plans bildete einen Markstein in den zwischenstaatlichen Beziehungen der europäischen Völker. Zum erstenmal existiert damit eine Behörde, die keine Anweisungen von den Regierungen erhalten kann, sondern souverän im Rahmen der gesetzten Befugnisse handelt. In der Bildung dieses Organs ist der Abschluß einer Etappe auf dem Weg zu einer europäischen Union zu sehen. Begonnen mit dem Marshall-Plan (OECE) über den Europarat — die Zahlungsunion, bis zum Schuman-Plan und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG), bildet sich somit eine Reihe von Organen, die miteinander verbunden oder auch vollkommen selbständig arbeiten. Vielfach überschneiden sich die Kompetenzen, denn im wesentlichen verfolgen sie dasselbe Ziel: die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit Westeuropas.

Als Krönung dieser zwischenstaatlichen Apparate soll nach dem Willen ihrer Schöpfer eine hohe politische Autorität gesetzt werden, um eine Föderation oder Konföderation jener Staaten zu schließen, die dazu bereit oder imstande sind. Derzeit existieren drei Staatengemeinschaften, die in sich den Kern zu einer engeren Gemeinschaft tragen, der Nordatlantikpakt, der Europarat und die Schuman-Plan-Län- der. Weder die Brüsseler Paktstaaten noch die Staaten der OECE können als wahre internationale Gemeinschaften an- gesprodien werden, aus denen heraus sich eine neue Form des staatlichen Lebens entwickeln könnte.

Gewiß hat sich der Europarat mehr als einmal mit diesem Problem auseinandergesetzt. Er konnte jedoch nicht zu einem endgültigen Beschluß gelangen, da ihm auch Staaten angehören, die sich als vollkommen neutral bezeichnen, wie beispielsweise Schweden oder Irland. Im besonderen jedoch war es die Stellung Großbritanniens zum Kontinent, die eine weitere oder engere Verbindung aller Staaten unmöglich gemacht hat. England fühlt sich, wie dies Außenminister Eden aus? geführt hat, nicht nur der Gemeinschaft des Europarates zugehörig, sondern auch seiner eigenen, dem britischen Weltreich, und der atlantischen.

Die Diskussion der vergangenen Jahre über eine europäische Einheit hat sich auf die Fragestellung zugespitzt: Föderalismus oder die Gründung spezialisierter Autoritäten (Institutionen). Die Entscheidung ist nun gefallen. Die sechs Kontinentalstaaten haben durch die Schaffung spezialisierter Behörden einen Weg beschriften, der folgerichtig eine innere Verschmelzung des wirtschaftlichen wie politischen Lebens erfordert. Man kann eben nicht nur Kohle und Stahl gemeinsam verwalten, ohne nicht in gleicher Weise die Probleme der Sozialgesetzgebung wie der Lohn? politik zu berühren. Ob Transport oder Ernährung: über kun¡ oder lang werden auch diese Sektoren gebieterisch eine gemeinsame Verwaltung erheischen. Dasselbe gilt von der europäischen Verteidigung. Die Zusammenlegung nationaler Armeen wird sofort Ihre Rückwirkungen auf alle Gebiete der Wirtschaft zeigen. Halten wir fest: nur die sechs Schiuman- Plan-Länder können eine politische Gemeinschaft bilden, während Großbritannien und die skandinavischen Staaten eine beobachtende, teilweise aktive Mittlerrolle zur atlantischen Gemeinschaft einnehmen werden.

Die große Bedeutung, die jedoch England und Amerika dem Schuman-Plan beimessen, geht aus der Tatsache hervor, daß sie eine diplomatische Mission akkreditierten. Dieser Umstand muß nachdrücklichst unterstridren werden. Auf alle Fälle stehen wir der Tatsache gegenüber, daß sich neben dam „Groß-Europa" des Europarates und dar OECE ein „Klein- Europa" zu kristallisieren beginnt. Durch die wirtschaftliche Kapazität, demokratische Stärke und kulturelle Leistungsfähigkeit ist damit ein Staatengebilde im Entstehen, das in entscheidender Weise die weltpoütisdien Voraussetzungen verändern und unter Umständen sogar die Vorstellung von der ausschließlichen

Macht der beiden ersten Weltmächte korrigieren kann.

Bei der Betrachtung der geographischen Grenzen der sich bildenden neuen staatlichen Gemeinschaft stellt sich sofort die Frage nach der effektiven Zusammenarbeit mit Großbritannien, Die englische Außenpolitik war mit Aufmerksamkeit den Verhandlungen der Schuman-Plan- Staaten gefolgt und hatte mit die Rolle studiert, die unter diesen neuen Gegebenheiten dem Europarat zufallen könnte. Als Ergebnis dieser Überlegungen wurde der sogenannte Eden-Plan entwickelt, der die Konzentrierung aller supranationalen Behörden durch den Europarat vorsieht. So würde es demnach einen Ministerrat der Fünfzehn und einen der Sechs geben, eine Versammlung mit England und den skandinavischen Staaten (Beratende Versammlung des Europarates) und eine des Schuman-Plans, sowie schließlich die der europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Aber der Europarat würde alle diese Organe dirigieren, das Sekretariat wäre für alle Behörden dasselbe sowie die gesamten technischen Einrichtungen. Die ständige Mitarbeit Großbritanniens wäre damit gesichert. Aus politischen, militärischen wie wirtschaftlichen Gründen bedeutet Großbritannien einen wesentlichen Bestandteil für Westeuropa. Auf der anderen Seite hat es jedoch Großbritannien verstanden, jede Initiative bezüglich der Gründung einer europäischen Union mehr oder weniger zu unterbinden. Jene Gruppe, deren Wortführer Spaak und Reynaud sind und die eine kleineuropäische Lösung anstrebt, wünscht wohl engste Zusammenarbeit mit Großbritannien, zeigt sich aber nicht ge? neigt, dem Europarat allzu’großen Einfluß auf die Behörden des Schuman-Plans zuzubilligen, da sie anscheinend eine Lähmung dieser Behörden befürchtet. Die Diskussion über diesen Punkt ist freilich noch nicht abgeschlossen.

Mehr als bisher kann man jetzt die historische Aufgabe erkennen, die der Europarat gespielt hat, man wird aber gleichzeitig seine Grenzen erkennen können. überprüfen wir aufmerksam die Ergebnisse des Europarates 1951 52, so ist zu erkennen, daß sich die Beratende Versammlung immer mehr wirtschaftlichen Fragen zuwendet. Die Bestrebungen, Europarat und OECE zu vereinen, wobei für die Nichtmitgliedstaaten des Europarates, wie Österreich, Schweiz und Portugal, Sonderregelungen zu treffen sind, gewinnen immer mehr an Boden. Schließlich treffen einander im Europarat die Vertreter von Groß- und Klein-Europa, tauschen ihre Erfahrungen aus und werden jene Grundlagen skizzieren, die den Interessen der westlichen Welt entsprechen.

Aber alle diese Überlegungen werden überschattet sein von der Gewißheit, daß eine hohe politische Autorität in Kontinentaleuropa gegründet wird. Man geht nicht fehl, die Eile, mit der Scbuman und Adenauer in Luxemburg eine Art Konstituante hervorgerufen haben, mit der Sorge zu interpretieren, daß unter Umständen die Ratifizierung der EVG durch die beiden Parlamente nicht erfolgen könnte, und es scheint immer mehr, daß besonders im französischen Parlament sich solche Widerstände bemerkbar machen, die nur die Bildung einer politischen Autorität beschwichtigen kann. Auch die Atmosphäre um die Saarfrage, die noch immer nicht gelöst werden konnte, hofft man auf diese Weise zu entgiften.

Wenn man sich als historisches Beispiel die Entwicklung des deutschen Zollvereins vor Augen hält, so kann man sicher gehen, daß die europäisch-politische Einheit eine Tatsache geworden ist. Neue Aspekte eröffnen sich dann. Soziologische und wirtschaftliche Veränderungen künden, sich an. Die Bildung einer politischen Autorität wird auch das bisherige Schema des europäischen parteipolitischen Löbens verändern. Europäische Fraktionen sind im Werden. So stimmte die deutsche Sozialdemokratie nicht für Herrn von Brentano, als dem Präsidenten des Schuman-Plans, sondern für den Soziali sten Spaak. Die ernsten Bemühungen, europäische Parteien zu bilden, werden unter solchen Gesichtspunkten nicht mehr als Utopie anzusprechen sein.

Freilich dürfen die bisherigen Erfolge nicht zu vorschnellen höchsten Erwartun? gen verleiten. Nach wie vor besteht das Defizit Europas gegenüber der Dollarzone. Die sozialen Spannungen werden sich nicht automatisch lösen. Aber Europa hat sich aus dem Zustand absoluter Schwäche frei gemacht. Wir unterschätzen auch nicht die Gefahr, daß durch die Vielheit internationaler technischer Organisationen sich eine immer stärkere Technokratie ausbilden wird. Solange jedoch Europa an den Grundlagen seiner Existenz festhält, darf man überzeugt sein, daß alle diese hohen internationalen Behörden Europa gemäß einer menschlichen Konzeption schaffen werden. Wenn man sich an die ersten tastenden Versuche 1947 48 erinnert, wird man nicht umhin können, sich mit Bewunderung jener Männer zu erinnern, die gewagt haben, über ihren Glauben an Europa zur Tat zu schreiten, De Gasperi, Schuman, Adenauer, van Zeeland halsen als Christen gehandelt, bewußt, in einer einmaligen historischen Situation und mit einer universalen Verantwortung. Sie sahen die Probleme nicht national, sondern stellten sie hinein in die große Auseinandersetzung der Gegenwart, in den Kampf zwischen Geist und Materialismus, Freiheit und Sklaverei. Allen Europäern aber wird sich nun die Aufgabe stellen, die so gefundenen Formen mit Leben zu erfüllen.

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