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Zehn Thesen zu Europa

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Österreich und Europa: Dazu nahm in Folge 15 OECD-Botschafter Peter Jankowitsch Stellung. Heute bringen wir zu diesem - von vielen Massenmedien beschämend vernachlässigten - Thema einen Beitrag des Gesandten Franz Karasek, bisher ÖVP-Sprecher für Außenpolitik, aus der Sicht des Straßburger Europarates, für dessen Generalsekretärsposten der Autor mit offizieller Unterstützung der Wiener Regierung kandidiert.

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Österreich und Europa: Dazu nahm in Folge 15 OECD-Botschafter Peter Jankowitsch Stellung. Heute bringen wir zu diesem - von vielen Massenmedien beschämend vernachlässigten - Thema einen Beitrag des Gesandten Franz Karasek, bisher ÖVP-Sprecher für Außenpolitik, aus der Sicht des Straßburger Europarates, für dessen Generalsekretärsposten der Autor mit offizieller Unterstützung der Wiener Regierung kandidiert.

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Am 19. September 1946 sprach Churchill in seiner berühmten Zürcher Rede die denkwürdigen Worte: „In ausgedehnten Gebieten Europas starrt eine Menge gequälter, hungriger und sorgenerfüllter Menschen in die Ruinen ihrer Städte... Trotzdem gibt es ein Heilmittel, das, allgemein und spontan angewendet, die ganze Szene wie durch ein Wunder verwandeln könnte... Dieses Mittel besteht in der Erneuerung der europäischen Völkerfamilie ...“

Die Einigung Europas ist meines Erachtens trotz allem noch immer eine Hoffnung der Völker, wenn sie die Vielfalt der Wege respektiert und jeder europäischen Institution den Platz beläßt, auf dessem Gebiet sie optimal die jeweiligen europäischen Zielsetzungen erfüllt.

Der Europarat wird am kommenden 5. Mai die dreißigste Wiederkehr seiner Gründung feiern und am 9. Mai einen neuen Generalsekretär wählen. Ich möchte zehn Thesen aufstellen, von denen ich glaube, daß sie in den nächsten Jahren von Bedeutung sind.

These 1: Europarat und Menschenrechte sind eine Assoziation, die jedem zuerst in den Sinn kommt, wenn man an den Europarat denkt.

Ich bin der Meinung, daß die Wahrung der Menschenrechte in Europa auch weiterhin primär dem Europarat zukommen müßte.

Mit der europäischen Menschenrechtskonvention und ihren Zusatzprotokollen ist ein Grundrechtskatalog kodifiziert worden, zu dem sich alle 21 Mitgliedstaaten des Europarates bekennen - ja noch mehr, hinsichtlich deren effektiver Erfüllung sich alle Mitgliedstaaten einer Kontrolle unterwerfen.

These 2: Dem politischen Ziel der Erringung „einer engeren Einheit“ gemäß Artikel 1 der Satzung muß der Europarat auch weiterhin neben anderen europäischen Institutionen nachkommen, ohne deshalb Doppelgleisigkeiten zu verursachen.

Jeder poütisch versierte Europäer weiß, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auch enge politische Konsultationen pflegen. Die größere Gemeinschaft, die der Europarat darstellt, hat keinen Grund, nicht einverstanden zu sein. Dieses Vorgehen sollte aber nicht ausschließen, daß gewisse bedeutende politische Fragen, in denen es darauf ankäme, daß das größere Europa „mit einer Stimme“ spricht, in den wechselseitigen Austausch von Ideen einbezogen wird.

These 3: Die Direktwahlen zum europäischen Parlament und der Elan, der daraus für die Gemeinschaften entstehen wird, ist kein Grund, die eigene Existenz der parlamentarischen Versammlung des Europarates in Frage zu stellen, noch für diese eine Ersatzrolle zu suchen.

In einem künftigen europäischen Parlament wird es auch Abgeordnete geben, die nicht gleichzeitig einem nationalen Parlament angehören. Die nationalen Parlamentarierdelegationen im Europarat wären gut beraten, wenn im Europarat (zum Unterschied vom europäischen Parlament) der bisherige Modus der Doppelmitgliedschaft beibehalten würde. Meines Erachtens ist die Effektivität der Arbeit im Europarat dann am besten sichergestellt, wenn die in Straßburg beschließenden Europaratsdelegierten in ihren heimatlichen Parlamenten die Realisierung ihrer Empfehlungen betreiben bzw. durch das Anfragerecht an die eigene Regierung nachdrücklich kontrollieren.

Viel ist auch die Rede davon, daß sich die neutralen Staaten um einen Beobachterstatus im europäischen Parlament bemühen sollten. Ich persönlich glaube nicht, daß dies ein durchsetzbares Anliegen darstellt. Realistischer könnte ein Versuch sein, in den politischen Fraktionen des Europaratsparlamentes durch Beobachter präsent zu sein.

These 4: Wenn auch für den Augenblick die politischen Divergenzen zwischen Ost und West unversöhnlich erscheinen, so bleibt unser Kontinent eine große Familie von Nationen.

Der Ost-West-Dialog ist seit der Mitte der sechziger Jahre vom Europarat aus versucht worden. Die Bemühungen waren leider nicht von Erfolg gekrönt. Straßburg erschien der anderen Seite immer wieder als eine der letzten Bastionen des Kalten Krieges. Wir müssen bekennen, daß auch vom Europarat her Fehler gemacht wurden. Es müßte möglich sein, multilateral in gewissen Sachbereichen zusammenzuarbeiten.

These 5: Ich betrachte es als eine der wesentlichen Aufgaben des Europarates, den Nord-Süd-Dialog in Europa selbst fortzusetzen. Es besteht in Europa ein Nord-Süd-Gefälle, das es zu beseitigen gilt. Der Euro-parat hat in der Vergangenheit diesen aus der europäischen Geographie sich ergebenden Fragen zu wenig Beachtung geschenkt.

These 6: Eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Ministerkomitee und Parlamentarischer Versammlung ist Voraussetzung einer Aktivierung der gesamten Institution Europarat. Bei den jährlich dreimal stattfindenden Sessionen verabschieden die Abgeordneten eine (meines Erachtens zu große) Zahl von Empfehlungen an das Ministerkomitee. Friktionen entstehen dadurch, daß das Ministerkomitee oft zu lange mit den Antworten warten läßt.

These 7: Die mehr als 100 Konventionen des Europarates sind die Frucht einer dreißigjährigen Aktivität dieser Organisation. Sie haben viel zur Harmonisierung unserer staatlichen Ordnungen in Europa beigetragen. Dieses Netz von Abkommen sollte verstärkt und weiterentwickelt werden, insbesondere auch durch die Beschleunigung der Ratifikationsprozesse.

These 8: Ein vereinigtes Europa ist das Ergebnis politischen Wollens der Völker. Die Regierungen werden keine Eile haben, die politische Einigimg Europas voranzutreiben, wenn nicht die Völker Europas selbst das Bedürfnis nach Einheit kundtun. Deshalb müssen wir uns des Idealismus und der Einsatzbereitschaft vieler für Europa bedienen und können nicht auf Symbole, auf Aktionen, die den europäischen Gedanken belei__— _—___: „i-i —

These 9: Eine bessere Publizität für den Europarat und seine Mitglieder ist sicherzustellen. Es ist beklagenswert, wie oft Europarat und Europaparlament verwechselt werden. Die Informationspolitik des Europarates bedarf sicher einer Neuorientierung.

These 10: Der künftige Generalsekretär des Europarates möge sich als Diener der gesamten Institution betrachten. Er ist dem Statut gemäß vor dem Ministerkomitee verantwortlich, aber in einem anderen Sinn hat er sich auch den Abgeordneten gegenüber, die ihn gewählt haben, verantwortlich zu fühlen.

Zu den schwierigsten Aufgaben gehört die Führung des multinationalen, komplexen Gebildes, des Sekretariats. Eine echte Gefahr, die ich größer einschätze als alle institutionellen europäischen Entwicklungen, ist die Möglichkeit einer immer stärker werdenden finanziellen Aushungerung des Europarates. Das derzeitige Gesamtbudget beträgt (umgerechnet) etwa 457,453.760 Schilling. Statt daß etwa der Beitritt Spaniens zum Europarat die Gesamtsumme erhöht hätte, blieb diese unverändert und die Mitgliedsbeiträge der einzelnen Länder wurden anteilsmäßig vermindert.

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