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„Aufstehen gegen die Staatskanzleien“

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„Aus den Organisationen, die in Hinblick auf die europäische Integration nach 1945 gebildet wurden, ragt der Europarat hervor. Ich darf gleich betonen, es handelt sich bei diesem Europarat um die universellste Staatengemeinschaft in Europa, weil sie alle europäischen Staaten jenseits des früheren Eisernen Vorhanges erfaßt, mit Ausnahme jener Staaten, die gezeigt haben, daß ihre Vorstellungen von der Würde des Menschen und der Freiheit des Menschen nicht so ausgeprägt sind, wie man sie zumindest in einer westlichen europäischen Gemeinschaft verlangen würde.

Der Europarat ist die universellste Gemeinschaft in Europa und die generellste. Was ist darunter zu verstehen? Eine Staatengemeinschaft, die sich bis auf die Verteidigungspolitik bemüht, alle Fragen des öffentlichen Lebens zwischen den Staaten, die Mitglieder des Europarates sind, zu koordinieren. Wir haben also in bezug auf diese beiden Fragen im Europarat eine viel umfassendere Gemeinschaft als es etwa die Wirtschaftsgemeinschaft ist, oder als es die Verteidigungskonstruktionen sind.

Ich möchte, um die große Idee, die im Europarat ruht, zu realisieren, sagen: Lassen wir diese große Idee wirksam werden und lassen wir die Bevölkerung gegen die Staatskanzleien, die sich auf Schritt und Tritt passiv in bezug auf die Europaratspolitik verhalten, aufstehen und diesen Staatskanzleien erklären, daß wir ein Europa wollen, das nicht bürokratisch verwaltet wird, sondern das von den Völkern Europas verwaltet wird.

Dieser Schritt wäre eben das Volksbegehren für eine Direktwahl in die beratende Versammlung des Europarates. Ich sehe nicht ein, warum es nicht möglich wäre, in Form eines Volksbegehrens der österreichischen Bevölkerung zumindest dem Nationalrat zu zeigen, was die österreichische Bevölkerung von dem Wert dieser beratenden Versammlung denkt. Ich glaube also, daß man hier einen Schritt vorbereiten müßte für die Direktwahl. Ich möchte hervorheben: die Direktwahl ist durch die Satzung des Europarates nicht ausgeschlossen. Also, wenn es Politiker gibt, die fragen, ja was wird der Europarat dazu sagen oder wir würden die Konvention des Europarates brechen, dann muß ich Ihnen dazu sagen, das ist eine Scheinargumentation. Die Wahrheit ist, daß

-ider Artikel 25 sehr wohl eine unmittelbare Bestellung ermöglicht, allerdings ist dazu in Österreich ein Bundesgesetz erforderlich. Ich könnte mir vorstellen, das wäre eine technische Frage, daß zugleich mit der Wahl zum Nationalrat auch die österreichischen Vertreter zur beratenden Versammlung gewählt werden; sechs Vertreter aus jedem Wahlkreis, je drei, die man eben mit Dreiervorschlägen vorschlagen könnte. Zugleich mit den Vorschlägen für die Nationalratswahl müßten Vorschläge für die Wahl in die beratende Versammlung vorgelegt werden. Das sind technische Fragen, die man ohne weiteres lösen könnte, hier braucht man nur einmal das zündende Feuer erkannt zu haben, und dann werden sich die Leute finden, die imstande sind, mit frohem Herzen und ohne Bedenken die Unterschrift zu leisten, um ein solches Volksbegehren mit einer solchen technischen Gestaltung vorzunehmen.

Es ist eine begeisternde Idee, die zu einer Volksidee werden könnte und die uns über all die Notwendigkeiten des materiellen Wohlstandsstaates, die ich durchaus anerkenne, hinaus auch die geistigen Werte fordern ließe. Ich glaube, gerade in der Europapolitik liegt ein Stückchen Idee, liegt ein Stückchen Durchgeistigtheit dieser Welt, die man zu fordern hätte. Ich glaube also, daß dieses Fünkchen Licht in den materiellen Wohlstand von heute getragen werden sollte und ich stelle die Frage, sollte in der Jugend der Ruf nach dem Europa verhallt sein, den die Jugend nach 1945 erhob? Und ich würde doch sagen: Wenn diese Jugend Europas einmal in allen Einzelheiten aufgeklärt ist über die Bedrohung dieses Kontinents, wenn es hier Leute gäbe, die den Mut hätten, über diese Bedrohung die wahren Worte zu sprechen, dann wäre die Jugend des Jahres 1970 oder des Jahres 1980 wieder bereit, den Ruf nach Europa ebenso zu erheben, wie die Jugend von 1945.“

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