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Italien und Europas Einigung

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Nicht einmal die Papstwahl konnte in den meisten Fällen den nach einer überlangen parlamentarischen Saison endlich erreichten Urlaub der italienischen Spitzenpolitiker nach Fer-ragosto unterbrechen. Einer, der trotz der römischen Hitze seine geliebten Berge verließ, um am Platz zu sein, ist Flaminio Piccoli, erst am 28. Juli neugewählter Präsident der Democri-stiani und damit Amtsnachfolger des im Frühjahr ermordeten Aldo Moro. Das Gespräch mit ihm, zwei Tage vor der Papstwahl aufgenommen, war das erste Interview, das er nach seiner Wahl zum Präsidenten der Demo-crazia Cristiana einem ausländischen Journalisten gegeben hat. Piccoli kommt selbst aus dem Journalismus, war jahrelang Herausgeber der „Adige“ in Trient und ist Präsident der Vereinigung katholischer Journalisten Italiens.

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Nicht einmal die Papstwahl konnte in den meisten Fällen den nach einer überlangen parlamentarischen Saison endlich erreichten Urlaub der italienischen Spitzenpolitiker nach Fer-ragosto unterbrechen. Einer, der trotz der römischen Hitze seine geliebten Berge verließ, um am Platz zu sein, ist Flaminio Piccoli, erst am 28. Juli neugewählter Präsident der Democri-stiani und damit Amtsnachfolger des im Frühjahr ermordeten Aldo Moro. Das Gespräch mit ihm, zwei Tage vor der Papstwahl aufgenommen, war das erste Interview, das er nach seiner Wahl zum Präsidenten der Demo-crazia Cristiana einem ausländischen Journalisten gegeben hat. Piccoli kommt selbst aus dem Journalismus, war jahrelang Herausgeber der „Adige“ in Trient und ist Präsident der Vereinigung katholischer Journalisten Italiens.

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FURCHE: Welchen Weg müßte Italien einschlagen, um aus seinen politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten herauszukommen? Wird es weiter möglich sein, mit einer Minderheitsregierung der DC zu regieren, die von den anderen Parteien und speziell von den Kommunisten nur toleriert wird oder wird auf die Dauer der „Com-promesso storico“, der historische Kompromiß, eine Beteiligung der Kommunisten an der Regierung unvermeidlich sein?

PICCOLI: Die gegenwärtige parlamentarische Lage ist die direkte Folge der Wahlen vom 20. Juni 1976 und der Tatsache, daß die traditionellen Verbündeten der DC nicht in der Lage sind, eine Mehrheitskpalition zu bilden. Angesichts dieser Lage und konfrontiert mit einer schweren Notlage der Wirtschaft und der öffentlichen Sicherheit gab es nur die Alternative zwischen vorgezogenen Neuwahlen -die die vielen Probleme nur erschwert, aber nicht gelöst und darüber hinaus ein Klima des Mißtrauens bis zur Möglichkeit einer neuen Krise mit dramatischen Aspekten gebracht hätten - oder einer ausnahmsweisen und zeitlich begrenzten Gemeinschaft der politischen Kräfte, die in der Lage waren, ernst die Beseitigung der Notlage in Angriff zu nehmen. Wir haben im Sinne unserer Verantwortlichkeit diesen zweiten Weg gewählt, um positiv den Erwartungen der Bürger und den Forderungen des Landes zu entsprechen.

In dieser Konstellation, die wir mit äußerster Klarheit umrissen haben, bleibt jede Hypothese eines „historischen Kompromisses“ ausgeschlossen. Wir sind aber anderseits überzeugt, daß man Italien hur in Ubereinstimmung mit den sozialen Kräften und nicht ohne einen entschiedenen Kampf gegen den Terrorismus regieren kann, und in diese Richtung entwickelt sich unsere parlamentarische und Regierungstätigkeit im Vertrauen auf die von allen übernommenen Verpflichtungen. Auf diesem Wege werden wir hoffentlich die Krise in den Griff bekommen, die heute unser Land überzieht. Der Dreijahresplan, den die Regierung im Begriff ist, mit den Gewerkschaften, den Unternehmerverbänden und den Parteien zu verhandeln, die Maßnahmen gegen die Terroristen und die Fahndung nach den Verantwortlichen für den Mord an Aldo Moro sind die wichtigsten Probleme, die schnellstens in Angriff genommen werden müssen. Auf diesen Problemen wird sich die politische Begegnung entwickeln, und ich sehe niemanden, der Interesse haben könnte, eine Regierungskrise auszulösen, die in der gegebenen Situation keinerlei positive Ergebnisse haben könnte.

FURCHE: Glauben Sie an die demokratische Aufrichtigkeit der Kommunisten, oder müßte eine Beteiligung der Kommunisten an der Regierung die Tür in eine kommunistische Diktatur öffnen?

PICCOLI: Die italienischen Kommunisten müssen erst noch ihre gar nicht so zweitrangigen Verbindungen zu ihrem Internationalismus und in ihren Beziehungen zur UdSSR lösen. Wir anerkennen offen das Verantwortungsbewußtsein der KPI gegenüber der schweren Lage unseres Landes und ihren Willen, an der Lösung der fundamentalen Probleme mitzuarbeiten. Wir verfolgen darüber hinaus mit Interesse den Prozeß, der sich im Inneren ihrer Partei abspielt, die Debatte über die eigene Identität des italienischen Kommunismus. Gleichzeitig aber wiederholen wir immer wieder, daß es nicht genügt, gewisse Entwicklungen im europäischen Osten als Abweichungen hinzustellen, ohne gleichzeitig dem Problem auf den Grund zu gehen - eben bis zur diktatorischen Natur jener Regime.

Unsere Haltung ist klar und gibt keinen Anlaß zur Zweideutigkeit: eine Haltung, die sich in die besondere italienische Situation einfügt^ typisch im Vergleich mit den anderen westeuropäischen Lädern, entstanden ebenso aus unserer jüngsten gemeinsamen Geschichte wie aus der Art und Weise, mit der sich die verschiedenen politischen Kräfte entwickelt haben und schließlich aus der Existenz der stärksten Kommunistischen Partei im Westen - einer Partei, die nicht 30 Jahre in einer Demokratie leben konnte, ohne an Einfluß zu gewinnen. Im übrigen aber werden wir unsere Haltung der demokratischen Sicherheit nie aufgeben, und aus dieser erwächst die drohende Konfrontation mit der Kommunistischen Partei über die für ein freiheitliches System grundlegenden Fra-gefi. -

FURCHE: Wie sehen Sie die Stellung Italiens in Westeuropa, speziell innerhalb des Europarates in Straßburg und den Europäischen Gemeinschaften in Brüssel, darüber hinaus innerhalb der OECD?

PICCOLI: Unsere europäische Grundeinstellung stand nie in Diskussion. Heute müssen in Italien aber auch jene gehört werden, die aus politischen Motiven Reserven anmelden.

Wir sind in Westeuropa integriert, im Einigungsprozeß sehen wir einen Schwerpunkt unserer Politik, ein Ideal, das wir auch den jüngeren Generationen weitergeben müssen. Die alten Staatsgrenzen sind längst zu eng. Wir arbeiten daran, den europäischen Bürger heranzubilden, und sind zutiefst überzeugt, daß, sollte Europa von neuen Spannungen, neuer Ungewißheit geschüttelt werden, sollte von neuem der Schatten des Kalten Krieges auf den Kontinent fallen, ein geeintes Europa eine positive Rolle in Richtung auf den Frieden spielen könnte. Die enge Verbindung zu ,den,'atlantischen Alliierten könnte sich zu einer echten Partnerschaft entwickeln.

FURCHE: Wie sieht der neue Präsident der Democrazia Cristiana die Zusammenarbeit mit den anderen christdemokratischen Parteien in Europa, die Möglichkeit der Europäischen Volkspartei und der Europäischen Demokratischen Union?

PICCOLI: Unsere Verbindung zu den anderen christdemokratischen Parteien in Europa stammen nicht erst von heute. Führende Exponenten der italienischen DC haben eine führende Rolle in der UECD, der Europäischen Union der Christdemokraten, gespielt, und unser bekannter Freund, der Abgeordnete Rumor, ist noch heute Präsident der Weltunion der Christdemokraten. Auch wir waren unter den Gründern der Europäischen Volkspartei und haben unseren Beitrag zur Ausarbeitung der Statuten und des Programmes geleistet. Unser Freund, der Abgeordnete Antoniozzi, ist Vizepräsident. Sie sehen also: volle Mitarbeit in den Grundsätzen, in der Arbeit, in der Initiative, eine Zusammenarbeit ohne Zweideutigkeiten, darauf ausgerichtet, in Europa eine christliche Sicht der Probleme zum Durchbruch kommen zu lassen. Deswegen hat die italienische DC gezögert,, sich der EDU anzuschließen, weil sie der Meinung war, daß es die eine Sache wäre, welche Allianzen sich im gemeinsamen Europa zusammenfinden sollten, und eine andere, wie man die Parteien bezeichnen sollte. Wir wollen uns also nicht verschließen, wir wollen aber unsere eigene politische Identität wahren.

Ich möchte noch hinzufügen, daß der Dialog mit den englischen Konservativen in letzter Zeit intensiviert worden ist, um einander besser zu verstehen. Anderseits leisten die jungen Labour-Mitglieder ihren eigenen Diskussionsbeitrag innerhalb der internationalen christdemokratischen Jugend. Man wird also, wie ich schon betont habe, nach den Direktwahlen in die europäische Versammlung eine Mehrheit bilden müssen, und was die DC-Parteien angeht, so werden sie sie

FURCHE: Sie sind in Österreich geboren* und Abgeordneter des Trentino - Sie sehen also die Probleme Südtirols direkter als ihre südlichen Kollegen. Wie beurteilen Sie die Fortschritte in der Durchführung des Paktes der Verträge, die die Autonomie der Region Trentino-Südtirol und der Provinz Bozen regeln? Wo gibt es noch Schwierigkeiten, wo könnte man noch verbessern?

PICCOLI: Wir waren immer aufrichtig um die Befriedigung Südtirols und den Schutz der deutschsprachigen Minderheit bemüht. Die Ergebnisse scheinen uns positiv, und erst kürzlich hatten wir in Trient eine Zusammenkunft unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Andreotti, in deren Verlauf neuerlich der Wille zu einer vollen Erfüllung des „Pakets“ unterstrichen wurde. Anderseits haben wir aber auch Sorgen um die Garantie der italienischen Präsenz in Südtirol, die heute spezieller Aufmerksamkeit bedarf, wir haben Sorge wegen eines gewissen Juridismus, einer Paragraphenreiterei, die sich bei der Verwirklichung der Autonomienormen in der Provinz Bozen bemerkbar macht. Hierzu auch unser Gespräch mit der Südtiroler Volkspartei, das ich mir so aufrichtig geführt wünsche, wie es zwischen uns immer war.

FURCHE: Wie bewerten Sie die Erfolge der Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer (Arge Alp) südlich und nördlich des Brenners? Könnte dies der Kristallisationspunkt für eine künftige Einigung eines Europas ohne Grenzen sein?

PICCOLI: Mein Eindruck ist positiv, und ich vermerke mit Genugtuung die Beteiligung der Vertreter der Region Trentino-Südtirol. In einem vereinten Europa, in einer europäischen Gemeinschaft, die durch den Beitritt anderer Mittelmeerländer erweitert Wird, müßte sich das Herz Europas im Vergleich zu heute wohl verschieben. Die Arge Alp könnte hiebei eine wichtige Rolle spielen.

FURCHE: Schließlich - Sie sind katholischer Journalist: Morgen beginnt das Konklave. Was erwarten Sie sich vom neuen Papst, allgemein im Hinblick auf die großen Aufgaben der Kirche und im speziellen im Hinblick auf eine Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit in der Kirche, wie es das Pastoralschreiben „Communio et progres-sio“ gefordert hat?

PICCOLI: Ich erwarte einen heiligen Papst, einen Seelsorger, der fest die wahre Lehre verteidigt, aber offen ist für die Probleme der Gesellschaft, der wie seine Vorgänger sich engagiert in der Verteidigung des Friedens, der Schwachen, der Randexistenzen, der Anliegen der Dritten Welt. Ob es ein Italiener oder ein Ausländer ist, hat keine Bedeutung. Der Heilige Geist kennt glücklicherweise keine Grenzen. Als katholischer Journalist erwarte ich mir, daß der Nachfolger Pauls VI. sein Augenmerk interessiert den Massenmedien zuwendet, die immer mehr und immer besser in den Dienst der Verkündigung des Evangeliums gestellt werden müssen, wie £ie jetzt manchmal im Dienst jener stehen, die unsere so unruhige, so unsichere und gespannte Gesellschaft entheiligen wollen. Wir sehen ja auch bei so vielen jungen Menschen eine neue Öffnung zur Spiritualität, zur Religiosität nach der Desillusion eines übertriebenen Konsumismus oder nach der Verzweiflung über die soziale und politische Entartung.

Flaminio Piccoli wurde 1915 in Kirchbichl bei Kufstein geboren, als sein Vater, österreichischer Beamter aus dem Trentino, wegen seiner italienischen Nationalität aus seiner Heimat abgezogen worden war.

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