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EUROPA DER REGIONEN

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In Bologna gab es am Wochenende ein Außenministertreffen der Pentagonale-Länder: Die Aufnahme Polens und der Zerfall Jugoslawiens

standen auf dem Programm. Im Post-1989-Europa bilden sich neue Regionen und regionale Zusammenschlüsse heraus - Spielwiese, Widerpart zu Brüssel oder notwendige subsidiäre Einheit?

Redaktionelle Gestaltung: Franz Gansrigier

Autonomie, Selbständigkeit, Unabhängigkeit, Dezentraiismus, Separatismus sind Vokabel, die in der politischen Sprache Europas bei gleichzeitigen Integrationsbemühungen immer mehr an Gewicht gewinnen.

Länder und Regionen stemmen sich über Staatsgrenzen hinweg gegen jene Vereinheitlichungen im kommenden europäischen Wirtschaftsraum 1993, durch die sie ihre Identität bedroht sehen, die sie auf regionaler Basis -nicht selten sogar über Sprachgrenzen hinweg - neu entdecken.

Als jüngst die Ablöse Silvius Ma-gnagos als Obmann der Südtiroler Volkspartei erfolgte, hinterließ der große, alte Mann des Südtirolpakets und der selbstbewußten Verständigung mit Italien in einem Gespräch mit Journalisten aus Mitteleuropa ein Vermächtnis, das besagt, daß Europa nicht durch Aufsaugen oder völliges Integrieren von Minderheiten „verarmen" dürfe. Integration in ein übergeordnetes Ganzes ist für Magnago nur von der Basis der Stärke einer kleineren Einheit aus möglich und sinnvoll.

Europäische Regionen, Kantone, Teilrepubliken, Bundesländer, Komi-tate entdecken das Selbstbestimmungsrecht. Es gab schon einmal eine ähnliche Phase des Erwachens der substaatlichen oder historisch gewachsenen suprastaatlichen Einheiten, nämlich in den siebziger Jahren. Man hat darüber unter dem Titel .Aufstand der Prov inzen" geschrieben und philosophiert.

In Osteuropa hat diese Tendenz eher einen separatistischen Anstrich. Die Republiken der UdSSR oder Jugoslawiens, aber auch der CSFR und manche Regionen Rumäniens wissen, von welcher staatlichen Einheit sie loskommen wollen; diffuse Einigkeit herrscht über neue Integrations-

möglichkeiten und -formen: NATO und EG üben eine starke Anziehungskraft aus. Die Unmöglichkeit zum Dialog mit der bisherigen Zentralmacht - hat man den Eindruck -geht parallel mit einer vorschnellen Unterwürfigkeitsbereitschaft bis hin zur Selbstaufgabe gegenüber dem neuen - in unterschiedlichsten Visionen bestehenden - zentralistischen Europa.

Kampf dem Zentralismus

Im Westen Europas ist ein gegenläufiger Trend bemerkbar. Die Besinnung auf die eigene Region, die über Staatsgrenzen reicht, ist aus dem Gefühl der Ohnmächtigkeit gegenüber der Zentralmacht entstanden. Keine Frage, daß sich das in historisch und politisch besonders heiklen Gebieten besonders deutlich bemerkbar macht. Südtirol ist nur ein Beispiel dafür. Slowenien und Kroatien, die Slowakei, Siebenbürgen sind andere, gar nicht erst zu reden vom Baskenland, von den Balten oder von Korsika.

Überall „bekämpft" man einen übermächtig erfahrenen Zentralismus - sei es gegen Rom, gegen Paris, Madrid oder Moskau. Man verwahrt sich entweder - wie in Südtirol - gegen eine Aushöhlung der bereits bestehenden Autonomie; mittels der römischen Koordinierungsbefugnisse kann jede selbständige Südtiroler Entscheidung „wenn nationale Interessen im Spiel sind" verhindert werden. Oder man sucht Autonomie zu erlangen. Nicht selten sind dabei regionale Verbindungen Hilfe und Sprungbrett dazu. Südtirol scheint schon darauf zu warten, daß Österreich endlich zur EG kommt, um dann einen verläßlichen Partner zu haben, „unsere Autonomie gegenüber Brüssel zu verteidigen", wie dies der neue SVP-Obmann Roland Riz ausgedrückt hat.

Sicherlich sind in Westeuropa die freiwilligen regionalen Zusammenschlüsse vom Selbstbestimmungsrecht geprägt, dieses wird aber nicht mit jener Wucht verlangt, wie dies osteuropäische Völker einfordern. Bedeutsam ist beispielsweise in Südtirol, aber auch in Slowenien jene Einsicht, daß man im Kampf um die eigene Autonomie auch sprachliche und kulturelle Grenzen überwinden kann. Riz hofft darauf, daß sich auch die italienische Volksgruppe in Südtirol vermehrt und verstärkt für die Autonomie des Landes gegenüber Rom einsetzen werde. Slowenien entdeckt - Österreich sollte daraus lernen - die gemeinsame Kultur und Geschichte für eine neue Zukunft mit dem deutsch-österreichischen Element (siehe Seite 11).

Man kann auf diesem Hintergrund den neu erwachten Regionalismus in Europa als etwas Dynamisches gegenüber zentralistischer Statik betrachten. Die Autonomiebestrebungen Osteuropas haben zweifellos dieser schon vorhandenen Dynamik im Westen neue Impulse gegeben. Vor dem Hintergrund eines 9. November 1989 - Fall der Berliner Mauer -, so vor kurzem die Südtiroler Landtagspräsidentin Rosa Franzelin-Werth, müsse man feststellen, daß in Europa nichts mehr gültig für die Zukunft sei.

Geliebte Regionen

„Was uns bedroht", hat Wissenschaftsminister Erhard Busek unlängst vor dem Europa-Forum in Zagreb (Agram) betont, „ist die Zwangsein-heit, die Homogenisierung; was uns rettet, ist unsere Vielfalt." Busek, der dem „Reiz des Andersseins", für ihn in voller Vielfalt in Mitteleuropa ausgeprägt, erlegen ist, plädierte dabei für ein neues Bild von Europa: „Die alten - noch gar nicht so alten - Bilder und Symbole sind verbraucht. Vor

einem solchen Bild steht man, wenn man Michail Gorbatschow etwa von einem gemeinsamen Haus Europa reden hört.

Der Pole Jozef Tischner hat mit Recht die Frage gestellt, warum dabei einige Völker immer im Keller leben müssen, während die Stiegen in die oberen Stockwerke gesperrt sind und der Lift in Reparatur. Auch die konzentrischen Kreise von Jacques De-lors sind nicht viel besser. Es ist kein dynamisches Bild, sondern eine hierarchische Zuordnung, wobei der Platz an der Peripherie ungefährdie gleiche Qualität hätte, wie der im Keller Gorbatschows." Der Mitteleuropa-Liebhaber Busek zeichnet ein Bild vom Europa der Regionen, nicht mehr der einander rivalisierenden Metropolen; Regionen, „zwischen denen ein intensiver Meinungs- und Erfahrungsaustausch stattfindet; Regionen, die von ihren Bürgern geliebt werden, die von Offenheit und Öffentlichkeit geprägt sind, Regionen, die schließlich zusammenwachsen."

Ähnlich hat sich dieser Tage der Tiroler Landeshauptmann Alois Parti in einem Interview mit der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten" geäußert: „Das Verlangen nach Autonomie und Selbständigkeit bestimmt das politische Geschehen in Europa. Diese Entwicklung läuft konträr zu den Bestrebungen der EG-Zentralisten, die Zukunft des Kontinents nach ihren Vorstellungen zu gestalten. In lebenswichtigen Fragen müssen die Länder und Regionen selbständig werden."

Tirol fordert daher in einem Stufenplan „eine tiefgreifende Neuverteilung der Aufgaben im österreichischen Bundesstaat" im föderalistischen Sinn: „Erst in weiterer Folge kann die Integration Österreichs in die EG vollzogen werden. Der Schlüssel zum echten Föderalismus ist die Finanzpolitik im Staat." Der Bürger - so Parti

- könne sich sehr wohl mit der eigenen Region und dem eigenen Land identifizieren, nicht aber mit einem anonymen, zentralen Regierungssystem. Die Zukunft Tirols liege deshalb - wie das Beispiel Arge Alp (siehe Graphik Seite 10) zeige - „in der Zusammenarbeit verschiedener Kultur-und Sprachgruppen. Dies bedingt Toleranz und Solidarität, gegenseitiges Verständnis und vor allem die Mitarbeit und Akzeptanz in der Bevölkerung. Tirol wird seine Vorreiterrolle nach mehr Anerkennung n icht nur gegen den Zentralismus im innerstaatlichen Bereich, sondern gemeinsam mit den anderen Regionen Europas auch gegenüber einem EG-Bürokratismus behaupten".

Egoistischer Weg?

Nicht verschwiegen werden darf aber in diesem Zusammenhang jene Form des Regionalismus, die wirtschaftliche und finanzielle Eigeninteressen überstrapaziert. Vielfach wird die norditalienische „Leghe"-Bewe-gung, die eine Dreiteilung Italiens mit einem abgegliederten reichen Norden mit Mailand als neuer Zentrale anstrebt, als intolerant bezeichnet. Im Hintergrund des slowenischen und kroatischen, natürlich auch des baltischen oder slowakischen Separatismus, stehen massive wirtschaftliche Eigeninteressen. Bei zunehmender wirtschaftlicher Verknotung Europas ist es eigentlich höchst unsolidarisch, einen egoistisch geprägten Weg zu verfolgen - bei gleichzeitigen Hilferufen an eine andere als die bisherige Zentralmacht. Desgleichen ist der wirtschaftliche und politische Kantönligeist, der nicht selten unterschwellig rassistisch geformt ist, eine Spielart des Regionalismus, der wohl die Vokabel Selbstbestimmung und Separatismus kennt, nicht aber deren reale Konsequenz die Isolation.

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