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VERKEHRSPOLITIK ENDET AN DER GRENZE

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Im blaugelben Exportgeschäft dominieren die Klein- und Mittelbetriebe. Eine Abkoppelung Österreichs vom gemeinsamen europäischen Markt würde gerade diese Unternehmen am stärksten treffen. Aufgrund der restriktiven innerösterreichischen Verkehrspolitik hat die niederösterreichische Wirtschaft schon jetzt mit Handelsbeschränkungen zu kämpfen.

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Im blaugelben Exportgeschäft dominieren die Klein- und Mittelbetriebe. Eine Abkoppelung Österreichs vom gemeinsamen europäischen Markt würde gerade diese Unternehmen am stärksten treffen. Aufgrund der restriktiven innerösterreichischen Verkehrspolitik hat die niederösterreichische Wirtschaft schon jetzt mit Handelsbeschränkungen zu kämpfen.

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Die heimische Diskussion zum europäischen Einigungsprozeß wird in erster Linie von Ängsten geprägt. Angst vor einem Ausverkauf von Grund und Boden, Angst vor einer Verschlechterung der Umweltschutzstandards, Angst vor einer Arbeits-kräftekonkurrenz aus Billiglohnländern (Spanien, Portugal), Angst vor einem Bauernsterben und Angst vor der Marktmacht europäischer Großkonzerne werden als Argumente gegen die europäische Gemeinschaft ins Treffen geführt. Dabei ist die Betrachtungsweise zumeist ausgesprochen statisch, das heißt, die EG wird als monolithischer Block mit starren Zielsetzungen (Festung Europa) angesehen. Die dynamische Rechtsweiterentwicklung innerhalb der Gemeinschaft, der vielschichtige Diskussionsprozeß, wird dabei völlig außer acht gelassen.

So mag es auch nicht verwundern, daß man sich hierzulande mit den nachteiligen Folgen, die ein Nichtbei-tritt mit sich bringen würde, kaum bis gar nicht beschäftigt.

Um diese besser zu verstehen, müssen wir die Struktur der nieder-österreichischen Exportfirmen etwas genauer betrachten. Laut einer im Jahr 1990 vorgenommenen Untersuchung ergibt sich folgendes Bild:

Von den 796 in der Außenhandelsdatenbank „Teleselekt" registrierten niederösterreichischen Exportfirmen beschäftigten 50 Prozent bis zu 20 Arbeitnehmer, 73 Prozent dieser Firmen wiesen ein Exportvolumen bis zu 20 Millionen Schilling auf. Eine Analyse des Exportanteils am Gesamtumsatz ergibt, daß etwa 40 Prozent dieser Exportfirmen einen Exportanteil bis zu zehn Prozent am Gesamtumsatz haben, 15 Prozent der erfaßten Firmen jedoch einen Exportanteil von über 80 Prozent.

Anhand dieser Zahlen zeigt sich somit ganz klar die mittelständische Struktur der niederösterreichischen Exportwirtschaft. Auch in diesem Bereich bilden die Klein- und Mittelunternehmen eindeutig die zahlenmäßig stärkste Gruppe.

Mangels international bedeutender Großunternehmen spielen gerade diese exportorientierten Klein- und Mittelbetriebe eine besonders wichtige Rolle. Handelt es sich doch zumeist um Unternehmungen, die international wettbewerbsfähig sind und die die notwendige Strukturanpassung, welche anderen Branchen noch bevorsteht, längst durchgeführt haben. Zudem darf man nicht vergessen, daß die Ideologie des „small is beautiful" auch in der Wirtschaft ihre Gültigkeit nicht verloren hat. Denn unter dem Strich schneiden die „Kleinen" gegenüber den „Großen" in puncto Effizienz und Rentabilität hervorragend ab.

Es gibt in Niederösterreich eine Vielzahl mittelständischer Exportbetriebe, die ihren Markt, ihre „Nische" gefunden haben und somit auf dem internationalen Markt mit genau der .richtigen Betriebsgröße operieren. Denn bei einem gewissen Auftragsvolumen erweisen sich die Großen als einfach zu groß. Die Kleinen haben in diesem Bereich aufgrund ihrer größeren Flexibilität sozusagen „die Nase vom".

Eines ist aber klar: Würde man in Österreich eine Isolationspolitik betreiben, sich gegenüber einem Beitritt zur EG und anderen Intemationalisie-rungsbestrebungen ablehnend verhalten, dann würden diese heimischen Exporteure unweigerlich als erste ins Hintertreffen geraten. Handelsbarrieren hätten nur zur Folge, daß gerade unsere heimischen Kleinen gegenüber multinationalen Konzemen diskriminiert wären. Die jetzigen Marktvorteile kämen nicht mehr zum Tragen und letztendlich würde sich die Marktmacht der internationalen Großkon-zeme durchsetzen.

Wie sich selbstgestrickte innerösterreichische Handelsbeschränkungen bereits jetzt auswirken, zeigen die nachstehenden Betrachtungen:

Aufgrund der stetig voranschreitenden Internationalisierung, insbesondere seit der Öffnung der Grenzen im Osten, ist auch die niederösterreichische Exportwirtschaft gezwungen, eine Neupositionierung vorzunehmen. Rein von der geographischen Lage her ergeben sich für Handel und Export eine ganze Reihe von Vorteilen. Als Angelpunkt zwischen Ost und West bietet sich der Standort Niederösterreich ja geradezu an, erfüllt er doch quasi eine Drehscheibenfunktion. Positiv gesellen sich dazu noch die vielfältigen historischen Bindungen, vor allem auf regionaler Ebene. Einst zusammengehörige Gebiete, Grenzregionen im Wein- und Waldviertel und der CSFR, besinnen sich wieder ihrer gemeinsamen Wurzeln. Gefördert und getragen wird dieser Prozeß von dem intellektuellen Bewußtsein eines gemeinsamen Mitteleuropas. Die Handelskammer Niederösterreich war in den letzten Jahren immer wieder bemüht, dieses gemeinsame Verständnis, das Miteinander mit den Nachbarn im Osten zu fördern. Regelmäßig finden Kontaktgespräche, Informationsaustausch und Veranstaltungen mit den Vertretern der Reformstaaten statt.

Bereits seit 1990 absolvieren Jugendliche aus der Slowakei, Tsche-chei und Ungarn eine Fremdenverkehrslehre in niederösterrefchischen Betrieben. Die deutsche Sprachausbildung erhalten sie im Wirtschafts-förderungsinstitut. Ebenso sollen die bis 1993 in Zusammenarbeit mit dem Land Niederösterreich in Gmünd, Mistelbach und Gänsemdorf errichteten Wirtschaftsförderungsinstitute zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen beitragen. Alle diese Aktivitäten, angefangen von Kontakten bis hin zur aktiven Nachbarschaftshilfe, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es noch eine Reihe von Problemen beim Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zu bewältigen gibt. So vor allem im Bereich der Verkehrspolitik.

Während in der Öffentlichkeit das Transitproblem (Tirol) heftigst diskutiert wird, übersieht man zumeist, daß nahezu der gesamte Straßengütertransport über die Grenze österreichischen Beschränkungen unterliegt. Auch der sogenannte Werkverkehr unterliegt gegenüber den Reformländern einer Genehmigungspflicht (darunter ist praktisch jeder Verkehr, den ein Betrieb mit seinen Produkten durchführt, zu verstehen). Das heißt, in bilateralen Abkommen wird mit dem jeweiligen Nachbarstaat die Höchstzahl der grenzüberschreitenden Transporte festgelegt.

Nun könnte man meinen, dies entspricht durchaus einer ökonomisch orientierten Verkehrspolitik. Dabei wird übersehen, daß die Situation im Osten im Gegensatz zum Westen Österreichs völlig anders gelagert ist.

Hier gilt es, die historische Chance der Grenzöffnung zu nutzen, verlorenes Terrain aufzuholen, aufzubauen, kurzum Grenzregionen wieder mit neuem (wirtschaftlichen) Leben zu versehen. In diversen Gesprächsrunden mit Vertretern der Reformstaaten kommt immer wieder klar zum Ausdruck, daß diese österreichischen Transportbeschränkungen das Zustandekommen von Joint Ventures behindern. So wären die Nachbarstaaten durchaus bereit, ihr Transportkontingent aufzustocken. Dies wird aber von österreichischer Seite kategorisch abgelehnt. Mangels anderer Transportmöglichkeiten ergeben sich in der Praxis aufgrund der fehlenden Genehmigungen für den Straßengüterverkehr aber oft die größten Probleme. Die Wirtschaft will arbeiten, Aufträge gäbe es genug, nur können sie oft nicht ausgeführt werden.

Beispiele, zum Teil auch recht kuriose, gibt es leider genug. So konnte etwa ein niederösterreichischer Tischlereibetrieb seine Erzeugnisse nicht auf einer Ausstellung in der CSFR präsentieren. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, diese zu zerlegen und per Kleintransporter in mehreren Fahrten (!) über die Grenze zu bringen. Ebenso läßt sich etwa der Werkverkehr mit einer weiteren Betriebsstätte jenseits der Grenze kaum bewerkstelligen. Es liegt auf der Hand, daß damit der Aufbau von kontinuierlichen und derzeit durchaus möglichen, sinnvollen Wirtschaftsbeziehungen (Grundstoffproduktion jenseits der Grenze, Verarbeitung in Österreich) behindert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht wird. Angesichts kilometerlanger Trabikolonnen ist es auch irgendwie verständlich, wenn den Wirtschaftstreibenden der tiefere ökologische Sinn dieser Verkehrspolitik verborgen bleibt.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die niederösterreichische Exportwirtschaft der Politik ein gutes Stück voraus ist. Schließlich ist sie bereits im gemeinsamen Europa. Um die neue Standortqualität Niederösterreichs noch attraktiver zu gestalten, bemüht sich die Handelskammer Niederösterreich, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe noch weiter zu verbessern.

Angefangen von Exportberatungen, von Technologie- und Innovationsberatungen in allen Bezirken, bis hin zu den diversen Aktivitäten der Wirtschaftsförderungsinstitute und der Arbeitergründerzentren spannt sich dabei der Bogen.

All die Anstrengungen bringen aber nur den gewünschten Erfolg, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Die Internationalisierung unserer Gesellschaft ist ein Faktor, dem wir uns nicht verschließen können. Es wäre lächerlich, einer „Festung Europa" die „Festung Österreich" entgegenzustellen. Vielmehr sollten wir danach trachten, im Interesse der Wirtschaft und damit in unserem ureigensten Interesse schon jetzt daranzugehen, das gemeinsame Haus Europa mitzubauen.

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