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Licht & Schatten nach dem Beitritt

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Die EG-Diskussion in der Tiroler Wirtschaft ist keineswegs nur von Euphorie geprägt. Man weiß, daß mit der Schaffung des Binnenmarktes sicher nicht die Fortschreibung des vielleicht ganz passablen Status quo möglich ist. Es werden neue Verhältnisse geschaffen. Diesen muß man, heißt es in Tirol, aktiv entgegentreten.

Zusammenfassend läßt sich die Stimmung in den einzelnen Branchen folgendermaßen beschreiben:

Fremdenverkehr: Einen verstärkten Einfluß des Auslandes befürchtet diese Branche nicht. Es können jetzt schon ausländische Hotel- oder Reisebürokonzerne im Lande Niederlassungen etablieren, was auch bereits geschieht.

In Sachen Arbeitskräfte wird sich, heißt es, die Situation hingegen eher verschlechtern, da das gängigste Herkunftsland für Gastarbeiter, Jugoslawien, nicht der EG angehört beziehungsweise ihr nicht angehören wird. Gleichzeitig wird jedoch mit einer Abwanderung von gut ausgebildeten österreichischen Fachkräften ins benachbarte Ausland gerechnet.

Bei einem Draußenbleiben Österreichs könnten die Grenzformalitäten an den Außenmauern der EG verstärkt beziehungsweise relativ umständlich werden. Für viele Gäste ein Argument, auf das Passieren der Grenze EG-Österreich lieber gänzlich zu verzichten. Veranstalter von Gruppenreisen oder Wochenendtouren streichen vielleicht Österreich überhaupt aus ihrem Programm, weil sie an unseren Grenzen zuviel Zeit verlieren. Gewerbe: Die Klein- und Mit-

telbetriebe des Tiroler Gewerbes sind seit vielen Jahren in steigendem Ausmaß mit ihren Produkten und Dienstleistungen über die Grenzen hinaus gegangen. Besonders im benachbarten Bayern haben viele Branchen (zum Beispiel Baugewerbe, Tischler, Schlosser…) mit Erfolg Märkte aufgebaut. Diese Märkte sind auch jetzt schon latent gefährdet. Montagetrupps für eine Bauernstube beispielsweise haben insoferne Schwierigkeiten, als bei einer Überschreitung der sehr knapp bemessenen Aufstellungszeiten im Nachbarland die dortigen strengen arbeitsrechtlichen Vorschriften für Ausländer zum Tragen kommen. Sogar Verhaftungen von Gesellen und Lehrlingen sind nicht selten, weil mit der Montage einige Stunden länger gebraucht wurde als vorgesehen. Diese Hürde, so wird befürchtet, würde im Falle eines Nichtbeitrittes Österreichs noch höher werden. Das bedeutet, daß Tirols Gewerbe zwar mit Produkt, Preis und Qualität konkurrenzfähig ist, die Waren aber nicht liefern kann, weil handwerkliche Arbeiten eben nicht wie Fabriksware „folienverschweißt zur Selbstmontage“ abgegeben werden können. Die wachsame Konkurrenz im

Ausland würde zudem wohl jeden rechtlichen Ansatz ins Spiel bringen, der dem Tiroler Gewerbe Probleme bereiten könnte. Für einen EG-Außenseiter gäbe es auch vermutlich mehr als genug solcher rechtlicher Probleme.

Handel: Der Handel im Grenzland Tirol muß seit jeher mit dem Ausland konkurrieren. Dabei muß er sich nicht nur gegen ein - bei vielen Waren beispielsweise - niedriges Preisniveau behaupten, sondern auch weit liberalere Ladenöffnungszeiten hinnehmen.

Im Handel ist in den letzte Jahrzehnten nicht nur weltweit, sondern auch in Österreich ein sehr harter Ausleseprozeß abgelaufen, der sicher noch nicht abgeschlossen ist. Die Wirtschaftspolitik, klagen die Tiroler, hat hier seit langem fast immer dem günstigsten Preis für den Konsumenten um den Preis der Vernichtung einer flächendeckenden Struktur von einheimischen Familien- beziehungsweise Klein- und Mittelbetrieben im Handel den Vorzug gegeben. Was zerstört werden konnte, lauten diesbezügliche Argumente, ist fast zerstört. Der Handel hat deshalb von der EG nicht viel zu befürchten.

Auf der anderen Seite werden durch die Herstellung von Chancengleichheit (zum Beispiel Ladenöffnungszeiten, Mehrwertsteuer, internationaler Einkauf zu gleichen Bedingungen) neue Möglichkeiten gesehen. Speziell für Tirol bieten sich Chancen, an der Dynamik der starken Wirtschaftsräume Norditalien und Süddeutschland mitzunaschen beziehungsweise eine gewisse Drehscheibenfunktion zu bekommen.

Industrie: In

Tirol gibt

(zum Unterschied von Ostösterreich) kaum eine durch die Staatsgrenzen geschützte Industriesparte. Sich international zu behaupten, gilt für Tirols Industriebetriebe daher ohnehin schon lange. Paradebetriebe wie das Metallwerk Plansee sind längst mit festen Standbeinen im Ausland verankert.

Die Tiroler Textilindustrie hat sich auch schon „gesundgeschrumpft“ und fühlt sich deshalb innerhalb der EG durchaus konkurrenzfähig.

Auch die Brauereien sehen einem verstärkten Wettbewerb eher gelassen entgegen. Für sie zählt die Chance, nun beispielsweise im bayerischen und Südtiroler Raum ebenfalls leichter Fuß fassen zu können.

Im Güterverkehr hingegen gibt es derzeit europaweit Beschränkungen im Sinne von Schutzmaßnahmen für die jeweils heimischen Betriebe (Länderkontingente für Transportgenehmigungen). Die einschlägigen Tiroler Betriebe haben sich aber einen überdurchschnittlichen An

teil am europäischen Transportgut gesichert. Ob sie den auch in der EG halten könnten, ist für sie fraglich. Außerhalb der EG ist die Chance dafür allerdings noch geringer. Es läßt sich schwer sagen, mit welchen Methoden in Zukunft das zu transportierende Güteraufkommen innerhalb des Binnenmarktes auf die Transporteure der einzelnen Länder aufgeteilt werden soll (falls das überhaupt beabsichtigt ist).

Im Personenverkehr leiden derzeit zum Beispiel die Autobusunternehmer darunter, daß zwar Österreich sehr großzügig ist, wenn ausländische Busunternehmen Gäste bringen - und im Land selbst transportieren. Den österreichischen Busunternehmern sind im Ausland hingegen viel engere Grenzen gesteckt. Man erhofft sich deshalb durch einen EG-Beitritt Chancengleichheit.

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