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Willkommen im freien Markt

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Hoffnungen und Sorgen bringt die EU auch für die Angehörigen der freien Berufe. Mit dem geschützten Markt ist es vorbei.

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Hoffnungen und Sorgen bringt die EU auch für die Angehörigen der freien Berufe. Mit dem geschützten Markt ist es vorbei.

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Werden nach dem österreichischen EU-Beitritt ausländische Rechtsanwälte mit geringerer Qualifikation - in Deutschland zum Beispiel gibt es keine eigene Rechtsanwaltsprüfung - zu einer fragwürdigen Konkurrenz werden? Können in einigen Jahren sogar tschechische oder ungarische Tierärzte ihre Dienste den österreichischen Bauern zu besonders günstigen Honoraren anbieten? Solche Sorgen werden bei nicht wenigen Freiberuflern laut.

In den zuständigen Kammern und in der Bundeskonferenz der freien Berufe hält man solchen Befürchtungen entgegen, daß die Liberalisierung dieser Dienstleistungen ohnedies schon durch unsere Mitgliedschaft beim Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gegeben ist. Der geschützte Markt, den die Angehörigen der freien Berufe bisher vielfach genießen konnten, sei somit hinfällig. Aber bei unserem hohen beruflichen Niveau fürchte man sich nicht vor einer fairen Konkurrenz, und gegen unlauteren Wettbewerb gebe es Barrieren.

ÜBERRASCHENDE KONKURRENZ

In Zukunft dürfte zum Beispiel ein Steuerberater aus Rosenheim oder Passau auch für eine Salzburger oder oberösterreichische Firma die vorgeschriebene Buchhaltung führen, denn der Vorbehalt für österreichische Staatsbürger ist aufgrund des EWR-Abkommens weggefallen. Wenn es aber um die Vertretung eines Klienten bei den Behörden, etwa beim Finanzamt, geht, dann ist dies nur aufgrund einer Eignungsprüfung möglich, die ein EU-Ausländer ebenso für eine ständige Berufsausübung in Österreich auf sioh nehmen muß. Den Notaren hat Brüssel wegen ihrer berufsbedingten Behördenbefugnis eine Ausnahme von der freien Tätigkeit über die Grenze zugestanden, hingegen nicht den Ziviltechnikern oder den Wirtschaftstreuhändern, weil deren behördliche Befugnis nicht den Beruf an sich betrifft, sondern nur eine allfällige Funktion.

Einer Eignungsprüfung werden sich auch deutsche, italienische oder französische Arzte zu unterziehen haben, die nicht nur im Einzelfall, sondern ständig in Österreich tätig sein wollen. Damit scheinen die Sorgen vor einer unfairen Konkurrenz praktisch ausgeräumt zu sein.

Was aber, wenn ein solcher Arzt älteren Jahrgangs sich in Österreich niederlassen und dann - aufgrund der EWR-Regelung über die Anrechnung der gegenseitigen Versorgungsansprüche - von seiner österreichischen Kammer die Pension beziehen will? Das könnte vor allem die kleineren Kammern der Ärzte (beziehungsweise auch der Anwälte) in Tirol oder Kärnten finanziell weit überfordern. Durch ein Nachtragsabkommen mit Brüssel konnte im März zunächst eine Ausnahme von der gegenseitigen Anrechnung der Pensionsansprüche erreicht werden.

Die offenen Grenzen bieten umgekehrt österreichischen Freiberuflern neue Betätigungsmöglichkeiten. Der hohe fachliche Stan-j dard unserer Architekten, die dann auch bei öffentUchen Aufträgen im EU-Raum chancengleich auftreten können, natürlich auch der Wirtschaftsanwälte, Ärzte, Ziviltechniker schafft gute Voraussetzungen für das Operieren im großen Europa. Wirtschaftstreuhänder weisen darauf hin, daß Bereiche wie die Unternehmenskooperation, die Treuhandtätigkeit oder Erstellung von ÖkoBilanzen nicht nur bei uns, sondern erst recht im hoch entwickelten Westeuropa mteressante Arbeitsmöglichkeiten eröffnen können.

Die Europa-Abkommen der EU mit Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Polen (noch nicht Slowenien) sehen freilich die Freizügigkeit vor, wonach Angehörige der freien Berufe aus diesen Ländern künftig im europäischen Markt tätig sein können (und umgekehrt). Das könnte auch für österreichische Tierärzte oder Steuerberater eine überraschende Konkurrenz über die Grenze bringen. Doch diese heuer in Kraft getretenen Brüsseler Abkommen enthalten Übergangsfristen von zehn Jahren, in denen sich noch manches einspielen oder ändern kann.

Akuten Lösungsbedarf sehen hingegen die Ärzte für ihre Praxen in Touristengebieten. Für die dort tätigen Kollegen ist die Betreuung von Gästen ein wesentlicher Einkommensfaktor, doch werden sie künftig nicht mehr die höheren ausländischen Kassenhonorare, sondern nur die viel niedrigeren Tarife der österreichischen Gebietskrankenkassen verrechnen können; das könnte nach Ansicht der Ärztekammer die Gefahr einer „Landflucht" solcher Ärzte und damit eine schlechtere medizinische Versorgung der heimischen Bevölkerung nach sich ziehen. Die Politiker sollten sich dafür eine Lösung einfallen lassen, wird gesagt. Womit die nicht wenigen „Haus-

autgaben" angeschnitten wären, die im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt auch für die freien Berufe zu bewältigen sein werden. Einige Anpassungsgesetze vmrden schon erlassen.

Bei den Zahnärzten wird es eine Umstellung des Studiums geben, das dann nicht mehr die volle allgemein-medizinische, (iafür aber eine ganz spezielle zahnärztliche'Ausbil-dung (zum Dr. med. dent.) enthalten wird! Das EWR-Abkommen sieht deshalb eine Übergangsfrist bis 1999 vor; bis dahin wird es bei den Zahnärzten keine Niederlassungsfreiheit geben.

Die Architekten sehen das eigentliche Problem darin, daß nach unserer eigenen Gesetzgebung künftig auch Baumeister in bestimmten Fällen als „gewerbliche Architekten" auftreten dürfen, womit der vom Stand her geschützte Markt bereits hinfäüig wurde. Für die Tierärzte wiederum hegt das eigentliche Problem im erwarteten Rückgang der herkömmlichen Landwirtschaft. Nur eine Stärkung auf bestimmten, wettbewerbsfähigen Gebieten könnte diesem für die Veterinäre so wichtigen Berufsstand die Zukunft sichern.

Zugleich wird es zusätzliche Aufgaben geben, etwa die verstärkten Veterinärkontrollen an jenen österreichischen Grenzen, die nun zu Außengrenzen der EU werden, sowie in der Seuchenbekämpfung. Junge Tierärzte streben mehrheitlich von der Nutztierpraxis zu den Heimtieren, deren Betreuung mit wachsendem Bevölkerungswohlstand zunimmt und gute Honorare bringen kann. Das könnte gute Aussichten im EU-Raum (natürlich noch nicht in den Oststaaten) eröffnen.

ÄRCTE WOLLEN ZAHLUNGEN

Der Drang vieler Berufsgruppen, von den Bauern und der Nahrungsmittelindustrie bis zu den Spediteuren, österreichische Ausgleichszahlungen für tatsächliche oder behauptete Einbußen zu verlangen, ist auch bei den Ärzten zu erkennen. Sie müssen mit einer Umstellung von der jetzigen Mehrwertsteuer-Regelung (volle Steuerpflicht) auf das EU-System der „unechten Steuerbefreiung" (keine Mehrwertsteuerpflicht, aber auch kein Vorsteuerabzug) rechnen. Deshalb sind sie schon an den Finanzminister herangetreten, um als Ausgleich für geringeren Verdienst vielleicht eine Steuerpauschalierung zu erreichen; sonst hätte ja der Fiskus von ihnen ein Körberlgeld, sagen sie.

Zwar würde die ganze Neuregelung erst Anfang 1997 wirksam werden, so daß noch gute zweieinhalb Jahre Zeit blieben, aber die Ärzte wollen schon vor der Volksabstimmung vom 12. Juni eine Zusage haben.

Die Kammern der Freien Berufe haben in Brüssel eine eigene Vertretung errichtet, die dieser Tage eröffnet werden wird.

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