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Wirklich Feinkostladen Europas?

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Größeres Angebot, billigere Preise: So machte man den EU-Beitritt für Osterreich schmackhaft. Und wie schmecken nun EU-Kost und Heimisches im Vergleich?

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Größeres Angebot, billigere Preise: So machte man den EU-Beitritt für Osterreich schmackhaft. Und wie schmecken nun EU-Kost und Heimisches im Vergleich?

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Vor dem 12. Juni 1994 war die Alpenrepublik gespalten: Die einen ahnten mit der EU das Lebensmittelparadies voraus, in dem das Angebot wachsen und die Preise sinken würden. Die anderen befürchteten den Niedergang der Qualität österreichischer Lebensmittel. Vor lauter Blutschokolade und Preisträumereien war eine seriöse Diskussion über die Auswirkungen des EU-Beitritts auf den österreichischen Mittagstisch kaum wahrzunehmen. Dafür sorgte nicht zuletzt F-Obmann Jörg Haider, als er vor laufenden Fernsehkameras ein spanisches Joghurtprodukt hervorzauberte und behauptete, daß sich darin Schildläuse verbergen würden. Tatsächlich hat Nicht-Chemiker Haider den harmlosen Lebensmittelfarbstoff Cochenille aufgespürt, der wegen seiner natürlichen Herkunft auch von namhaften Naturfarbenherstellern eingesetzt wird.

Seither haben sich die EU-Wogen in Österreich zwar etwas geglättet, die Auswirkungen des Beitritts auf die Lebensmittelregale wurde aber von vielen mit Spannung erwartet. EU-Staatssekretärin Brigitte Ederer versprach den Österreichern noch im Dezember, zukünftig 1.000 Schilling pro Monat und Haushalt einzusparen. Seit dem 1. Jänner hat sich vor allem in den Kühlregalen der Supermärkte einiges getan.

Überall locken EU-Preisschildchen die Konsumenten in die Supermärkte. Denn die Preise für landwirtschaftliche Produkte fielen schlagartig auf EU-Niveau, in manchen Fällen sogar darunter. So war ein Kilo Mehl plötzlich anstatt um 14,90 um 4,90 Schilling zu haben. Dies hat seinen Grund darin, daß für diese Produkte in Österreich vor dem 1. Jänner geschützte Preise gezahlt wurden, die weit über dem EU-Niveau lagen.

Marktbeobachter bezweifeln aber, daß allein die geänderten Rohstoffpreise für den Preissturz verantwortlich waren. Gerade bei Milch war der Effekt nach Meinung von Bauern Vertretern zu fast 100 Prozent hausgemacht. Die österreichischen Anbieter hätten sich mit Lockangeboten laufend gegenseitig unterboten. Mit der Drohung, gegebenenfalls auch in anderen EU-Ländern den Bedarf zu decken, konnten Molkereien und Handelsketten die Preise in den Keller fallen lassen.

Die Verlierer in diesem Preiskampf sind die Bauern. Sie sind in diesem freien Spiel der Kräfte „erpreßbarer” geworden, da ihnen alternative

Absatzmärkte im EU-Ausland nicht wirklich zur Verfügung stehen. Sie erhalten heute laut offiziellen Angaben der Agfarmarkt Austria (AMA) mit durchschnittlich 4,1 Schilling für einen Liter Milch um fast zwei Schilling weniger als noch vor einem Jahr. Zur Linderung des Einkommensausfalls erhalten sie im Gegenzug lediglich 82 Groschen überwiesen.

Nicht unschuldig an dieser Entwicklung scheint das des-aströse österreichische Lebensmittel-Marketing in der EU zu sein. Denn viel zu spät wurde versucht, österreichische Marken und Produkte in der EU zu etablieren. Karl Kollmann, bei der Arbeiterkammer für Konsumentenpolitik zuständig, zollt dem früheren Landwirtschaftsminister und jetzigen Agrarkom-missar Franz Fischler zwar zu, sehr früh vom „Feinkostladen Europas” geschwärmt zu haben. Konkrete Anstrengungen zur Verbesserung des Images österreichischer Lebensmittel seien aber über weite Strecken ausgeblieben.

Das hat den Effekt, daß EU-Lebensmittel fleißig nach Österreich eingeführt werden, heimische Waren in Europa aber weitgehend unbekannt sind. Wenn auch das dazu eingerichtete Eurofit-Pro-gramm hier keine Abhilfe schaffen kann, drohen den Bauern in Bälde weitere Einkommensverluste. Bichard Franta vom Fachverband Lebensmittelhandel der Wirtschaftskammer Österreich sieht schon die nächsten Turbulenzen voraus, die mit, der Getreideernte 1995 einsetzen könnten. Denn auch dort können die Bauern nicht mit Solidaritätspreisen der Lebensmittelindustrie rechnen.

Abgesehen von landwirtschaftlichen Produkten war es mit der eigenständigen österreichischen Lebensmittelpolitik aber bereits durch den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) am 1. Jänner 1994 vorbei. Seither galt nämlich auch für Lebensmittel das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Dieses besagt nichts anderes, als daß Lebensmittel, die in einem EWR-Land in Verkehr gebracht wurden, automatisch in allen anderen verkauft werden dürfen. Vorbei sind die Zeiten, als der österreichische Lebensmittelcodex - eine der strengsten diesbezüglichen Vorschriften der Welt - noch alleine vorschrieb, was verkauft werden darf und was nicht.

Dieser gilt zwar nach wie vor für österreichische Hersteller, für Produzenten anderer Länder sind diese Vorschriften aber nicht viel mehr als ein österreichisches Kurio-sum. Strenggenommen gibt es noch einige Überbleibsel wie etwa das Bestrahlungsverbot, die auch für EU-Lebensmittel eingehalten werden müssen, aber hier ist wohl die aufwendige Kontrolle der Schwachpunkt.

Inzwischen kündigen sich bereits Auseinandersetzungen über die Zukunft der österreichischen Lebensmittelvorschriften an. Wirtschaftskämmerer Bichard Franta hält es für sinnvoll, über Änderungen nachzudenken, wenn das Marketingargument „Österreichische Qualität” nicht greift. Denn vieles wäre in Österreich nicht strenger, sondern nur anders geregelt. „Qualität ist subjektiv. Entscheiden muß schließlich der Konsument.”

Etwas differenzierter ist die Sache für Karl Kollmann. Denn die Grundidee des Codex war es schließlich, auch den sozial Schwachen eine hohe Qualität zuzusichern. „Bei einem Spiel nach dem Motto, den Armen das Schlechte, den Reichen das Gute' machen wir sicher nicht mit.” Schließlich würde dies auch die Bevölkerung nicht verstehen. Schützenhilfe erhält die AK von der Bundesregierung - zumindest auf dem Papier. In ihrem EU-Weißbuch findet sich eine ganze Liste von Maßnahmen zur Sicherung der Lebensmittelqualität, die sie in der EU verwirklichen will.

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