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Das österreichische Buch

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Die Voraussetzung eines eigenständigen, lebensfähigen österreichischen Buchgewerbes, das über Schulbucherzeugung und Gebrauchsschrifttum hinausgeht, war und ist der deutsche Markt. Die Schweiz wie Österreich drucken ihre schöngeistige und wissenschaftliche Literatur nicht in der heimischen Mundart, sondern in der deutschen Sprache. Im Unterschied etwa zu Holland brauchen ihre Bücher darum nicht erst in eine Weltsprache übersetzt zu werden, sondern erscheinen gleich in einer solchen.

Vor dem Jahre 1938 fanden etwa 75 Prozent des österreichischen Schrifttums wissenschaftlicher oder schöngeistiger Natur ihren Absatz in Deutschland, etwa 15 Prozent gingen ins übrige deutschsprachige Ausland (vorab Schweiz und Tschechoslowakei). Nur etwa 10 Prozent der wissenschaftlichen und belletristischen Bucherzeugung konnten in Österreich selbst, vorab Wien, placiert werden. Dieses perzentuelle Verhältnis verschob sich zugunsten des inländischen Marktes nur bei solchen Verlegern, die Schulbücher, spezielle Heimatliteratur, juristisches, kommerzielles oder sonstiges auf österreichische Verhältnisse zugeschnittenes Gebrauchsschrifttum, Reiseführer usw. herausbrachten oder die niit Hilfe von Buchgemeinden, Buchgaben in Verbindung mit Zeitschriftsabonnements oder ähnlichen Absatzabsprachen sich einen periodisch gesicherten Absatz in Österreich verschafften. Um welche Größenverhältnisse es sich handelt, geht etwa aus dem Beispiel Salzburgs hervor. Die drei Salzburger Buchverlage verzeichneten im Jahre 1937 und im ersten Vierteljahr 1938 einen Buchexport in Höhe von rund zwei Millionen GoldschiMing.

Die heutige Krise des österreichischen Buchmarkts ist darum, wie sich aus gesagtem unschwer ergibt, keine bloß funktionelle, vielmehr eine strukturelle. Es fehlt der Hauptmarkt, der 75 Prozent der Produktion aufnahm. Ja. auch die übrigen Absatzländer, die einst zirka 15 Prozent bestritten, fallen meist aus. Man kann beispielsweise nach Holland Bücher exportieren, aber die Erlöse werden weder transferiert noch kompensiert. Ähnlich ist es mit allen übrigen Ländern, abgesehen von dem Papierkrieg, der mit jedem, auch mit dem Minimalexport verbunden ist. Weiter hat sich im Lauf der Hitlerzeit an verschiedenen kapitalkräftigen Weltplätzen eine Zusätzliche deutschsprachige Verlagsproduktion etabliert, die den Weltmarkt mit aktuellen Titeln oder gewichtigen Standardwerken beschickt, so in Stockholm, Amsterdam, Zürich, Bern, London, New York. Diese Häuser haben sich um die kurzfristige Verfemung der deutschen Sprache nicht gekümmert, sondern inzwischen neue gute Geschäfte in aller Welt gemacht und beliefern jetzt mittels ihrer Zweigfirmen unter anderem auch — Österreich, ein Land, das nächst Deutschland den größten geschlossenen deutschsprachigen Markt besitzt. Unser Land wäre darum auch für den schweizerischen Verleger a la longue ein begehrenswerter Part-’ ner. Das ginge aber wiederum auf Kosten des österreichischen Verlagsgewerbes. Einzig mit der Schweiz besteht übrigens ein Bücherhandelsabkommen, jedoch nur im schmalen Rinnsal eines speziellen Clearings. An allem übrigen Schrifttum hat sie selbst übergenug.

Wie man also die Sachlage betrachtet und prüft — die Aussichten für eine österreichische Literatur, die im eigenen Haus erscheinen soll, sind gering. Es sei denn, der deutsche Markt würde sich öffnen. Um dieses Ziel wird schon lange gerungen. Aber nicht einmal die kleine Annexquote, die dem österreichischen Buch im Rahmen des Handelsvertrags mit der Bizone eingeräumt ward, kommt zustande. Denn dieser Vertrag ist bislang nicht ratifiziert.

Was wäre zu tun? Vor allem gilt es, den innerösterreichischen Markt besser zu erschließen und dem Buch den Charakter des Luxusartikels zu nehmen, den es seit der Währungsreform angenommen hat. Die österreichische Buchwoche wirkt in diesem Sinn. Sie soll eine freundlichere Atmosphäre für das heimische Buchschaffen hervorrufen. Es sind doch, zumal im heurigen Jahr, zahlreiche gute Bücher in Österreich erschienen, wissenschaftliche wie schöngeistige, neues und altes, dazu in schmuckem Gewand.

Aber die Preise! Gewiß, wir alle haben nicht viel Geld und brauchen das wenige für die Bedarfsartikel, die wir so lange entbehren mußten. Aber, warum wird bei diesen Erzeugnissen so wenig streng auf den Preis geschaut? Man nehme irgendeine Ware, etwa aus der Textil- oder Lederbranche; sie kostet das Sechs- bis Zehnfache des Friedenspreises. Die Bücher aber sind nur um das Drei- bis Dreieinhalbfache gestiegen. Auch ist zu bedenken, daß die Bücherzeugung einen ganzen Kranz arbeits- und kapitalintensiver Gewerbe mit versierten Facharbeitern beschäftigt: Setzer, Drucker, Chemographen, Buchbinder usw. Das Buch ist ein gewichtiger volkswirtschaftlicher Faktor, der zehntausenden fleißigen und erfahrenen Menschen das Brot, gibt.

Ein weitere wichtige Hilfe, die das Publikum dem an lebensgefährlicher Raumenge leidenden österreichischen Verlagswesen angedeihen lassen kann, wäre in einem gesteigerten Sinn für Qualität gelegen. Auch hiezu soll die Buchwoche mitwirken. Die Jahre 1945 bis 1947 haben einen argen Wildwuchs gebracht. Eine Inflation der Mittelmäßigkeit; oft auch Minderwertigkeit, hat sich’ in Büchern und Broschüren über das von geistiger Gleichschaltung befreite Land ergossen. Die Währungsreform hat diese Überproduktion, die besonders die US-Zone zierte, gestoppt. Der verbliebene und hauptsächlich im Sortiment angestaute „Überhang” blockiert jetzt freilich die Aufnahme der meist ungleich wertvolleren Neuproduktion. Besonders aus Wien hört man hierüber laute Klage. Angesichts dieses höchst nachteiligen „Embargos” greifen verschiedene Verleger zur Selbsthilfe und bedienen unmittelbar die Privatkundschaft —, die seit Generationen eingespielte buchhändlerische, „Ver- kehrsordnung” erleidet so einen empfindlichen Einbruch, Auch der neugegründete Jugendbuchklub, so gut er gemeint ist und sosehr er die Reichweite des wertvollen Jugendbuchs verbreitern will, durchkreuzt das Gefüge der buchhändlerischen Marktordnung.

Standessorgen? Ja, aber , mehr als das! Der Buchhandel, ob erzeugend oder verteilend, ist kein bloßes Gewerbe neben anderen Gewerben. Er verwaltet einen Großteil des kulturellen Kapitals eines Landes. Dazu aber muß er existenzfähig bleiben. Eines ausgesprochenen Schutzes sogar bedarf er heute. Nach innen wie nach außen. Insonderheit der Verlegerberuf, vordem einer der kenntnis- und wagnisreichsten, war in der Zeit seit 1945 fast eine’ ungelernte, jedermann zugängliche Branche geworden. Die Selbstbereinigung des Berufsstandes ist im Gang, nicht zuletzt wirkt die geänderte Marktlage in dieser Richtung. Der Schutz nach außen fehlt aber weithin.; Beispielsweise leidet da bodenständige freie Verlagsschaffen stark unter Regiekonkurrenz. Ämter und Kammern sollten verwalten, nicht verlegen. Oft kann der Verleger eine erlesene literarische Produktion nur dadurch finanzieren, daß er Gebrauchsbücher mit gesichertem und breitestem Absatz führt. Diese dürfen ihm aber nicht von Behörden oder Kammern weggenom-. men werden. Die Verlegung zum Beispiel eines Kochbuchs ist nicht Amtssache. Die altösterreichische Inkompatibilität von Dienst und Geschäft würde nicht zuletzt dem genuinen Verlegerschaffen zugute kommen. Eine weitere wichtige Hilfe für ein lebensfähiges österreichisches Schrifttum läge in der Stützung der wissenschaftlichen Publikationen, besonders der geisteswissenschaftlichen. Eine eigenständige und hochwertige österreichische Buchproduktion ist nicht weniger wichtig als ein öffentliches Theater, welch letzteres heute allgemein als subventionswürdig gilt. Nur, daß die Intensität der Wirkung beim Buch vielleicht bleibender ist. In Österreich müßte eine ähnliche Einrichtung wie die seinerzeitige „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft” erstehen, die sowohl dem wissenschaftlichen Nachwuchs wie dem seriösen Verlagswesen, vor allem der Verbilligung der betreffenden Bücherpreise, zugute käme. Auch die Bibliotheken sollten planmäßiger auf dem österreichischen Buchmärkt einkaufen können und nicht sosehr auf billige Gelegenheiten, wie beispielsweise jetzt auf die deutschsprachigen Buchbezüge aus der Tschechoslowakei (!) angewiesen sein.

So könnte noch manche Anregung ausgesprochen werden, die über die Fachsorgen der buchschaffenden Betriebe hinausgeht und der Not der österreichischen Verlagsproduktion steuern will. In summa bleibt die Aufforderung, die auch der Buchwoche innewohnt: es handelt sich nicht um momentane Schmerzen eines komplizierten und konjunkturempfindlichen Gewerbes, vielmehr geht es um einen gefährdeten konstitutiven Bestandteil Österreichs als eines Kulturstaats.

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