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Problematischer Gesundbrunnen

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Der Gesundbrunnen, von dem hier die Rede ist, ist die Landwirtschaft — oder vielmehr das Bauerntum. In einer /.eit, in der die moderne Industriegesellschaft nur noch durch juristische Vertragsverhältnisse rein ökonomischer und daher sekundärer Sozialformen zu-ammengehalten wird, deren Hauptmerkmale die Entfremdung und Unsicherheit des Individuums sind, repräsentiert das Bauerntum noch immer eine Einheit als Produktionszelle und

Familienverband, aus der die Nation biologisch und psychisch immer wieder neue Kräfte schöpfen kann. Die Verteidiger des Bauerntums erklären, daß es daher um jeden Preis — das heißt, auf Kosten der übrigen Gesellschaftsschichten — erhalten, geschützt und gefördert werden muß, da diese 'an seiner Existenz als sozialer Typus zuvörderst interessiert sein müßten. Dem halten die Vertreter der Arbeiterschaft entgegen, daß die Landwirtschaft in Österreich nur 16 Prozent der Bevölkerung vereinigt und daß die Tage des Bauerntums als eines aus einer früheren, patriarchalischen Produzentenära stammenden, sozialen Typus gezählt seien. Die Erfahrung der kommunistischen Länder, in denen die „soziale Industrialisierung“ des Bauerntums am konsequentesten, allerdings durch Zwangskollektivierung, vorangetrieben wird, erweisen einen permanenten Widerspruch (dessen nur äußeres Symptom die andauernde Krise in der Lebensmittelversorgung dieser übrigens strukturell immer noch vorwiegend agrarischen Länder ist). Es ist ein Widerspruch mit dem Charakter und inneren Sinn des Bauernlebens, seiner Beziehung zur Natur und der sich daraus ergebenden Selbstbezogenheit und Selbständigkeit. Diesen sozialen Charakter zu erhalten und das Bauerntum dennoch ökonomisch rentabel im gesamtstaatlichen Sinne zu machen, ist das Problem und die Aufgabe, welche die demokratischen Länder (und de facto auch die anderen) lösen müssen. In einer pluralistischen Gesellschaft kann das nicht anders als auf dem Wege langandauernder Kämpfe, Auseinandersetzungen und Kompromisse in bezug auf alle Maßnahmen geschehen, die sich bei der Wahrung der Interessen der einen wie der anderen im Alltag ergeben.

Wie die Einordnung der Landwirtschaft in die Anforderungen der modernen Gesellschaft hinsichtlich der agrarischen Produktivität versucht und erkämpft wird, davon wurden im vorigen Artikel („Furche“ Nr. 33/1962) über die Produktionssektion II des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft einige Beispiele aufgezeigt. Sind somit der Leiter des Ministeriums, Ing. Hartmann, und der Chef der Produktionssektion II, Dr. Leopold, die Strategen der Landwirtschaft und des „Grünen Plans“ zu deren Adaption in der neuen Zeit, so ist der Leiter der „Vermarktung s“-Sektion III, Dr. Erich P u 11 a r, ihr Taktiker. Die Aufgabe seiner Sektion ist es, die landwirtschaftliche Handels- und- Verkehrspolitik den oft sehr schnell wechselnden Gegebenheiten anzupassen.

So wird zum Beispiel die Vieh- und Milchwirtschaft, obwohl eigentlich dem Aufgabenbereich der Produktionssek-iion II zugehörig, von der Vermarktungssektion betreut, weil in diesen Produktionszweigen Verkehrs-, handels-und preispolitische Momente eine besonders große Rolle spielen.

Vieh und Fleisch sind mit einem Betrag von 730 Millionen Schilling die stärkste Exportleistung der Landwirtschaft. Die Gesamteinnahme aus der Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte (ohne Holz) beträgt 1630 Millionen Schilling. Davon gehen allein in die EWG-Länder Ausfuhren für 1260 Millionen. Man versteht das besonders große Interesse agrarischer Kreise Österreichs an einer Regelung unseres Verhältnisses zu den „Sechs“.

Ein Beispiel für die in den „Grünen Plan“ staatlicher Förderung der Landwirtschaft verwobenen markt-, Verkehrs- und handelspolitischen Maßnahmen (es ist unmöglich, hier ihre Gesamtheit darzustellen) ist die sogenannte Rindermastaktion, die übrigens schon vor mehreren Jahren angelaufen und unterdessen zur normalen Praxis geworden ist.

Eines der Hauptprobleme der 122.000 österreichischen Bergbauern bestand in früheren Jahren darin, was sie mit den während des Sommers auf den Almen geborenen Jungrindern im Herbst anfangen sollten. Es gab nie genug Futter, um das Jungvieh weiter zu halten, und so verursachte dessen Massenverkauf im Herbst meist große Preisstürze, und der Bergbauer kam nie auf seine Kosten und erlitt große Verluste. Hier schaltete sich nun der Staat ein und ermutigte durch Begünstigungen verschiedener Art die landwirtschaftlichen Betriebe der Ebene, die im Herbst über große Futtervorräte verfügen, den Bergbauern ihr Jungvieh entweder selbst oder durch Vermittlung zu festgesetzten Preisen abzukaufen, es bei sich einzustellen, aufzumästen und dann entweder im Inland oder ins Ausland zu verkaufen. Die Begünstigungen bestehen in verbilligten Frachttarifen für den Transport, in Zinsenbeihilfen für Ankaufkredite und in Exportprämien bei der Ausfuhr des Viehs. Durch diese Aktion werden derzeit rund 30.000 Stück Jungvieh alljährlich abgenommen. Ihrer hohen rassischen Qualitäten wegen werden allein 2000 Stück in das Rinderland Schweiz ausgeführt.

Umgekehrt wirken sich die Ermäßigungen der Bahnfrachtgebühren für die Zufuhr von Streustroh und inländischem Futtergetreide aus den östlichen in die alpinen Bundesgebiete aus, zumal letzteres im Wert von rund einer Milliarde Schilling aus dem Ausland bezogen werden muß. Das Wesentliche an solchen Maßnahmen ist jedoch, daß durch sie verschiedene Produktionsgebiete dazu angehalten und ermutigt werden, sich auf jene Produktionszweige zu spezialisieren, die ihre eigentliche Stärke ausmachen:Zuchtvieh in den alpinen und Getreide in den Gebieten der Ebene. Auf Grund solcher Maßnahmen ist Österreich zu einem internationalen Einkaufszentrum für Zuchtvieh geworden und unsere Auktionen in Ried, Wels und anderen Orten werden von ausländischen Einkäufern so stark aufgesucht, daß man schon Maßnahmen erwägt, um den Ausverkauf von Zuchtvieh zu verhindern.

Neben solchen merkurialen Maßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft gibt es natürlich auch so fundamentale Aktivitäten wie die der Wasserwirtschaft, für welche die Sektion IV des Ministeriums verantwortlich ist. Es gibt eher zuviel als zuwenig Wasser in Österreich, tatsächlich sind es rund 323.000 Hektar Land, die der Entwässerung bedürfen. Dem Städter fällt es nicht auf, aber wir haben recht ausgedehnte Moore, wie zum Beispiel die sogenannten Moore von Ilm, Leopoldskron und Zell, die Ennsmoore und die des Gailtales. Ein eigenes, dem Ministerium unterstehendes Institut für Kulturtechnik und technische Bodenkunde beschäftigt sich mit der Projektierung von Wasserbauten und unserem ganzen Wasserhaushalt ebenso wie das Hydrographische Zentralbüro in Wien mit den Niederschlägen.

Größere Gebiete, die der Bewässerung bedürfen, befinden sich im Marchfeld und im Burgenland und im Leiibnitzer Feld. Bewässerung wird heute schon in großem Maße als künstlicher Regen durch Besprengung nicht nur von Rasen und Gemüsebeeten, sondern auch von Feldern durchgeführt. Hierbei gilt es — wie zum Beispiel im Marchfeld — darauf zu achten, daß der Grundwasserstand nicht durch zu große Wasserentnahme gefährdet werde. Die saftigen Almen Tirols lassen kaum ahnen, daß dieses Bundesland das bewässerungsbedürftigste Österreichs ist, und daß dort schon seit Jahrhunderten Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt worden sind. Deshalb hat denn auch Kaiserin Maria Theresia Tiroler Bauern aus Imst und Nassereith ins trockene Steinfeld bei Wiener Neustadt kommen lassen, damit sie das neugegründete Theresienfeld kolonisierten und bewässerten. Damals kannte man noch nicht zwei Gefahren: Erosion und giftige Industrieabwässer, die zu bekämpfen gleichfalls zu den Obliegenheiten der Sektion IV gehört.

Leider ist er in den letzten Jahrzehnten statt auf- eher abgebaut worden. Es ist fast ein Wunder — und kein Wirtschaftswunder — daß wir noch immer das an Wald drittreichste Land Europas sind. Freilich sind wir auch mit dem Verkaufen von Holz das sechste Land auf dem Weltmarkt — nach Kanada, Schweden, Finnland, der UdSSR und den USA. 40,5 Prozent der 83.850 Quadratkilometer Gesamtfläche Österreichs sind mit Wald bedeckt: rund 3,35 Millionen Hektar. Somit kommt auf jeden Österreicher ein halbes Hektar Wald. Wem gehört er aber wirklich? Die Besitzverhältnisse sind (laut Aufnahme von 1952 bis 1956):

Staatswald (Bundesforste) 483.000 Hektar (14,2 Prozent),

übriger Wald in öffentlicher oder gemeinwirtschaftlicher Hand 225.000 Hektar (6,7 Prozent),

Gemcindewald 205.000 Hektar (sechs Prozent).

Großprivatwald (mehr als 200 ha Einzelbesitz) 705.000 Hektar (21 Prozent),

Kleinprivatwald (weniger als zweihundert Hektar) 1,733.000 Hektar (52,1 Prozent).

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