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Bodenplanung statt Bodenpolitik

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Die sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft untersuchte in Gemeinschaftsarbeit den Fragenkomplex der Bodenreform in Oesterreich. Sie mißt diesem Problem allgemein-staatliche Bedeutung bei, stellt es über eine engere Parteipolitik und sieht ein bedeutendes Problem der Agrar- und Wirtschaftspolitik. Dieser von einer hohen Verantwortung getragene Standpunkt begründet schon allein den Wert der Untersuchung. Durch die Ausscheidung des Waldbesitzes aus der Untersuchung gewinnt sie wohl an Ueber-sicht, gleichzeitig wird aber die Einheit des die ganze Urproduktion umfassenden Problems zerstört. In einem überwiegenden Teile Oesterreichs herrscht eine untrennbare Gemeinschaft der Land- und Forstwirtschaft. Dies ermöglicht erst das Bestehen der bäuerlichen Betriebe. Der Bergbauer ist ein Waldbauer. Eine geschlossene Forstwirtschaft im engsten Sinne liegt beim Bergbauern vor, auch in der Frage der Bodenreform. Von den 6278 land- und forstwirtschaftlichen Großbetrieben sind 1813 reine Forstbetriebe. In einem ähnlichen Verhältnis ist die Verteilung bei den bäuerlichen Betrieben. Dies unterstreicht die Einheit der Land- und Forstwirtschaft.

Auf Grund der land- und forstwirtschaftlichen Betriebszählung 1951 gab es:

Zwergbetriebe (unter 2 ha).......................105.213, d. s. 24% sämtlicher Betriebe

Kleinbäuerliche Betriebe (2 bis unter 5 ha).......... 102.687, d. s. 24%

Mittelbäuerliche Betriebe (5 bis unter 20 ha)........ 158.421, d.s. 37% „ „

Großbäuerliche Betriebe (20 bis 100 ha)............ 60.249, d. s. 14%

Großbetriebe (100 ha und mehr).................. 6.278, d. s. 1% _„ zusammen 432.848

Bei dieser Betriebsaufstellung sind alle Betriebe aufgezählt. Es wird nicht Rücksicht darauf genommen, ob die Betriebsangehörigen nur vom Ertrag des Bodens leben oder ob sie, wie bei den Zwergbetrieben behauptet wird, noch über andere Einkommensquellen verfügen. Die Betriebsangehörigen fast aller Betriebsstufen haben zum Teil ein nichtlandwirtschaftliches Nebeneinkommen.

Für Maßnahmen der Agrar- und Wirtschaftspolitik ist es nicht gleichgültig, ob der durch diese Maßnahmen Betroffene ein hauptberuflicher Landwirt, ein krisenfester Industriearbeiter, ein bodenbesitzender Industrieller oder ein Kleingärtner ist. Der eine kann um seine Existenz gebracht werden, bei dem anderen nur das Nebeneinkommen beschnitten, werden. Die Bodenverteilung muß schon jene begünstigen, die hauptberuflich vom Boden leben, wobei die Betriebsgröße nicht so entscheidend sein darf wie die Sicherung der Existenz.

Die Betriebe mit einer Fläche über 100 ha umfassen in Oesterreich 3,522.504 ha, davon sind forstlich genutzte Flächen 2,486.888 ha, von diesen gehören 1,900.538 ha zu reinen Forstbetrieben. Weiter gehören in Oesterreich 9186 ha der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe juristischen Personen. Es handelt sich meist um Betriebe über 100 ha. Wenn man die Verteilung betrachtet, kann man feststellen, daß es in Vorarlberg, Tirol und Salzburg keine landwirtschaftlichen Großgrundbesitzer gibt, Oberösterreich hat einen, in Kärnten und Steiermark existieren Großgrundbetriebe im Zusammenhang von Großwaldwirtschaften. Nur im östlichen

Niederösterreich und im Burgenland befinden sich landwirtschaftliche Gutsbetriebe, wovon einer als Latifundie zu bezeichnen ist. Es käme also eine Auflösung des Großgrundbesitzes bestenfalls im östlichen Teil Niederösterreichs in Frage.

Die Entwicklung der Betriebsgrößen, wie sie die Untersuchung aufzeigt, geben kein Bild. Doch wurde festgestellt, daß die Kleinstbetriebc und die großbäuerlichen Betriebe sich in ihrer Zahl vermehren („Furche“ 1955/17, Seite 6: „Das Dorf im Umbruch“). Die Grenzbetriebe zwischen diesen beiden Größenklassen werden im rein landwirtschaftlichen Gebiet Oesterreichs zerrieben und zur Bildung der genannten verwendet. Auch der landwirtschaftliche Großgrundbesitz gab zu dem Zweck Bodenflächen ab.

Verpachtungen kommen in den forstlichen Betrieben selten vor. Einzeluntersuchungen zeigen aber, daß im Realteilungsgebiet Oesterreichs die Verpachtung einen doch bedeutenden Umfang annimmt. Es ist agrarpolitisch nicht gleichgültig, wer als Verpächter auftritt. Ein Landwirt, der ein ungünstig gelegenes Grundstück vorübergehend verpachtet, ist agrarpolitisch und vom Standpunkte einer Bodenpolitik anders zu beurteilen als ein Verpächter, der keine Beziehung zum Boden hat, ja oft sein Grundstück nicht kennt. Nach meiner Meinung kann man einem hauptberuflichen Landwirt im Rahmen einer „Bodenreform“ nur dann einen Teil seines Besitzes nehmen und damit seine Betriebsstätte einschränken, wenn alle landwirtschaftlich fremden Bodenbesitzer „reformiert“ sind. Daß außerdem Industrie- und Siedlungsgelände notwendig ist, steht außer Zweifel.

Die Kleinbetriebe sind nicht nach ihrer Größe zu begrenzen, sondern ihr Ausmaß ändert sich nach Produktionsgebiet, Klima und Bodenverhältnisse. Ein Waldbetrieb mit 5 ha ist ein Zwergbesitz, ein Weingartenbetrieb mit 5 ha ein Großgrundbesitz. Die Kleinbetriebe in Oesterreich haben durch Verlust ihrer Nebenerwerbsquellen schwer gelitten. Sie mußten sich einen Ausgleich suchen und suchten ihn in der Industrie. Die ideale Umwandlung der Kleinlandwirtschaft zum Industriebetrieb scheint in Vorarlberg stattgefunden zu haben. Im östlichen Oesterreich und in der Umgebung der Industriezentren ist das nicht der Fall, hier gibt es noch ein Kleinbauernproblem. Die Kleinbauerribetriebe wurden Veredlungsbetriebe auf futterfremder Grundlage in einem oft gewerblichen Ausmaß. Die Vergleiche mit den nordischen Staaten sind insofern unzutreffend, daß in den nordischen Ländern einerseits durch eine hohe Niederschlagsmenge eine intensive Bodenausnützung ermöglicht wird und daß anderseits die deutsche und englische Industriebevölkerung nahegelegene Abnehmer darstellt. Das fehlt in Oesterreich.

Der bäuerliche Betrieb ist durch seine Bodenverbundenheit das staatserhaltende Element. Dort wo die Kolchose den Bauernbetrieb ablöst, geht die Bindung mit dem Boden verloren. Der Einzelmensch wird zur Nummer. In den Siedlungsgebieten Amerikas hat der kapitalistische Bodenausnützer, der Farmer, im wahrsten Sinn des Wortes heute schon teilweise einem Farmerbauern Platz gemacht, der in der Bodenerhaltung nicht mehr ein Geschäft, sondern einen Auftrag von Gott und seinem Volke sieht. Nur Bauern werden den Boden erhalten können, nur Bauern werden der Schutzwall gegen den Kollektivismus sein.

Die günstigste Größe eines Bauernbetriebes, der heute nur noch als Familienbetrieb geführt werden kann, ist einheitlich schwer anzugeben. Klima, Boden, geistige Fähigkeiten des Betriebsführers, Marktlage und Betriebsform entscheiden die Größe des Besitzes. Der bäuerliche Besitz muß aber krisenfest sein, seinem Besitzer einen entsprechenden Lebensstandard ; sichern. Bei der Marktleistung muß in Betracht gezogen werden, daß es heute kaum mehr eine Selbstversorgung im engsten Sinne des Wortes gibt; einer überhöhten Produktion eines Produktes steht der Bedarf der anderen Produkte gegenüber. Das beste Beispiel sind die reinen Weinbaubetriebe

Bedarf an Boden besteht nicht nur von Seiten der Landwirtschaft, sondern auch der Wohnsiedlungen, Wirtschaftsunternehmungen, Straßenbauten und Sportanlagen. 3000 bis 5000 ha Boden gehen jährlich der Landwirtschaft verloren. Eine Rekultivierung findet nicht statt. Wie beschämend wirkt die Straße von Wr. Neustadt bis Wien mit ihren Industrieruinen, Ziegelteichen und Oedland. Der Landwirtschaft wurde der Boden entzogen und heute ist er brach. Sein Ertrag geht der Volkswirtschaft verloren.

Der Bedarf von Boden für landwirtschaftliche Zwecke sollte für die Bildung neuer Bauernhöfe dienen. Wenn man dabei aber bedenkt, daß täglich 30 Bauernkinder und fünf Landarbeiter das Land verlassen, so wird es kaum möglich sein, Siedler für neue Höfe zu finden, abgesehen davon, daß die Kosten eines neuen Bauernhofes mit einer Größe von 15 ha rund eine Million Schilling betragen. Ein einzelner wird kaum diese Mittel aufbringen können und die öffentliche Hand nicht gewillt sein, die hiefür notwendigen Beträge zu kreditieren oder zu schenken. Es kommt daher in erster Linie der anfallende Boden für die Aufstockung bestehender Höfe in Frage. Hiebei wurde die Beobachtung gemacht, daß nicht der Kleinbetrieb, auch nicht der großbäuerliche Betrieb seinen Boden fordert, sondern daß die Besitzer jener Betriebe einen echten Bodenhunger zeigen, welche nicht das Ausmaß der Ackernahrung erreicht. Die Mechanisierung ruft aber neuerlich einen erhöhten Wunsch nach größeren Betriebsgrößen hervor, da die angeschafften Maschinen besser ausgenützt und auch besser amortisiert werden.

Die Frage, aus welchen Quellen Boden anfällt, läßt sich, wenn man die Gedanken einer Bodenreform durch den Gedanken einer Bodenpolitik ersetzt, verhältnismäßig leicht lösen. Unter Bodenreform wäre eine Enteignung und Zerschlagung des Großgrundbesitzes zu verstehen. Die Bodenreformen der letzten Jahrzehnte waren nie wirtschaftlicher, sondern meist politischer Natur. Unter Bodenpolitik versteht man die Lenkung des anfallenden Bodens zur Existenzsicherung des bodenbebauenden Berufsstandes und zur Schaffung von Siedlungs- und Arbeitsstätten der übrigen Bevölkerung.

Der Großgrundbesitz hat durch die Kriegsschäden einen Großteil seines umlaufenden Betriebskapitals verloren. Er mußte, um wieder Vieh, Maschinen und Saatgut anschaffen zu können, einen Teil seines Bodens abstoßen. Von ihm wäre derzeit kein bedeutender Bodenanfall zu erwarten. Durch gesetzliche Maßnahmen könnten aber jene Landflächen, die sich, laufend verpachtet, in Händen von Großpächtern befinden, für die Aufstockung der umliegenden Bauernbetriebe gewonnen werden. Ebenso müßte ein Entstehen neuer Großgrundbesitze gesetzlich verhindert.werden. Von den bäuerlichen Betrieben werden in den nächsten Jahren eine größere Anzahl ohne Unternehmer sein, Sie werden zur Aufstockung der umliegenden Betriebe verwendet werden können. Untersuchungen haben ergeben, daß im Marchfeld 15 bis 20 Prozent der bestehenden Betriebe als auslaufende Höfe zu bezeichnen sind, daß im politischen Bezirk Bruck an der Leitha 187 Höfe in dieser Generation zur Aufstockung der verbleibenden Höfe verwendet werden können. 15 bis 20 Prozent der

Bodenfläche befindet sich in Händen berufsfremder Personen, die ihren Landbesitz nur noch als Rentenquelle betrachten.

Einen weiteren Bodenanfall stellen die nun durch den Staatsvertrag in das Eigentum der Republik Oesterreich übergegangenen Truppenübungsplätze und USIA-Retriebe dar. Hiebei müßten in erster Linie die rechtlichen Voraussetzungen geklärt werden, der Bedarf des Bundesheeres sichergestellt • und über diesen Boden erst im Rahmen einer weitgehenden Bodenplanung verfügt werden. Als besondere Maßnahme der Bodenpolitik wäre die Flurbereinigung weiter durchzuführen. In Oesterreich sind rund 1,200.000 ha zusammenzulegungsbedürftig. Die Einforstungs- und die agrargemeinschaftlichen Besitzrechte sind besonders zu sichern. Gefährdete Bergbauernhöfe zu festigen, in gewissen Ausnahmefällen verlassene Bergbauernhöfe neu zu besiedeln. Insbesondere wäre aber der Grund-veikehr so zu regeln, daß eine weitere Grundzersplitterung hintangehalten wird, der Boden jenen Personen zufließt, die ihn bebauen und von ihm leben. Die Schaffung eines Höfe- und Anerbenrechtes müßte die Besitzgrößen sichern. Aufgelassenes Industrieland sollte rekultiviert werden, durch Staat, Verbände und Genossenschaften im Rahmen eines modernen Boden-und Besiedlungsrechtes eine Neubesiedlung vorgenommen werden können.

Zusammenfassend ergibt sich, daß in Oesterreich nicht eine Bodenreform im landläufigen Sinne, im Sinne einer Aufteilung von Großbetrieben, angezeigt ist, sondern vielmehr eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Besitz- und Bewirtscnaf-tungsverhältnisse. Die vordringlichsten wären: Schaffung eines Sicdlungsgesetzes, Beschleunigung der Flurbereinigung, Schaffung eines einheitlichen Grundverkehrsgesetzes, eines Hof- und Anerbenrechtes, die Aufstockung der Höfe im Realteilungsgebiet und Schaffung von zusätzlichen Erwerbsmöglichkeiten für Kleinbetriebe.

Die Agrarpolitik muß von der Bodenreform zur Bodenpolitik weiterschreiten. Die Bodenpolitik muß den Bodenbesitz, die Benützungsund Bewirtschaftungsverhältnisse den modernen Erfordernissen anpassen. Es gilt hiebei grundsätzlich:

1. Das österreichische Bauerntum zu erhalten und in seiner Existenz zu stärken, und zu sichern, wozu Erleichterungen der Arbeit durch Zusammenlegen verstreuter Felder und Maßnahmen, die ein Aufsplittern lebensfähiger Höfe verhindern ebenso gehören wie Aufstockungen und die Bildung neuer Hofstätten;

2. die Versorgung der Konsumenten mit Nahrungsmitteln zu sichern und zu verbessern;

3. die Fruchtbarkeit der Böden zu erhalten und womöglich zu steigern, um den Produktionsausfall, der dadurch eintritt, daß der Landwirtschaft für nichtlandwirtschaftliche Zwecke Boden entzogen wird, möglichst wettzumachen.

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