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Der österreichische Siedlungsplan

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Gleich den Erdbewegungen und Bergstürzen, die von den geschwollenen Wildwässern nach schweren Regengüssen hervorgerufen werden, pflegen großen und langen Kriegen immer wieder gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwälzungen zu folgen. Tiefen Erschütterungen der politischen und sozialen Struktur entsprangen auch die unter dem Titel der Bodenreform eingeleiteten weitreichenden Verschiebungen der Bodenbesitzverhältnisse, die sich schon nach dem ersten, in noch ausgedehnterem Maße nach dem zweiten Weltkriege in Rußland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechoslowakei, Ungarn und Rumänien vollzogen. Eine sozial ungesunde Lagerung des Bodeneigentums bildete den Ausgang der Reformbewegung, die lawinenhaft aufsprang und sich ein immer breiter werdendes Bett schuf, aber auch Ausmaße annahm, die nicht selten auch den volkswirtschaftlichen Interessen von Land und Volk widersprachen.

Heute sind in Ungarn alle großen Besitzeinheiten aufgeteilt; es gibt jetzt dort nur Kleinst- und verhältnismäßig wenige Kleinbetriebe. Der Produktionsrückgang ist sehr erheblich. Es kann heute noch nicht vorausgesehen werden, wann Ungarn seine Stellung als eines der bedeutendsten Agrar-exportländer Europas wieder einnehmen wird. Polen, einst ebenfalls eine Kornkammer Europas, hat durch die Bodenreform „eine Katastrophe in landwirtsdiaft-licher Hinsicht“ erfahren, wie H. D. Walston in der parteilosen, wenn auch linksgerichteten englischen Wochenschrift „Spec-tator“ (Nr. 6128) mitteilte. Der Londoner „Economist“ gab eine Schilderung über die Bodenreform „östlich der Elbe“, die „in einer etwas rauhen Form“ durchgeführt worden sei und in den seinerzeitigen „modernsten Getreide- und Kartoffelfabriken“ eine „Herabsetzung der Kapazität“ für die Versorgung mit Markterzeugnissen zur Folge hatte. In der Tschecheslowa-k e i wurden viele zehntausende landwirtschaftliche Betriebe im Zuge der Nationalisierung deutschsprachigen und ungarischen Besitzes beschlagnahmt und neuen Besitzern zugeteilt. Diese Bodenreformen waren teils auf soziale, selten auf wirtschaftliche und oft auf politische und nationale Motive zurückzuführen.

Wie liegen die Verhältnisse in Österreich? Im großen gesehen, besteht hier eine Bodenbesitzverteilung ohne Extreme; nicht zu vergleichen etwa mit jener in Ungarn oder der Tschechoslowakei. Rund sechs bis sieben Prozent der Ackerfläche entfallen auf Betriebe über hundert Hektar, ein Anteil, der von allen angeführten Ländern weit überschritten wurde. Oberösterreich, aus Flach-, Hügel- und Bergland bestehend, weist die beste Bodenbesitzverteilung auf. Es überwiegt der mittel- und großbäuerliche Betrieb. Auch der kleinbäuerliche Betrieb, zu dem die Heimstätten der zahlreichen Forstarbeiter im Berglande gehören, ist angemessen vertreten. Großbetriebe bestehen vorwiegend aus Wald. Hier wirkt noch die bajuwarische Siedlungsform der vereinsamten Einzelhöfe nach, die eine Aufteilung oder Zusammenziehung von Besitzungen er-sdiwerte. Die heutige Besitzverteilung weidit nicht viel ab von jener zur Zeit der Besiedlung. In Steiermark überwiegt der mittelbäuerliche Betrieb, auch der Kleinbetrieb ist verhältnismäßig stark. Der landwirtschaftliche Großbetrieb ist ohne Bedeutung. Ähnlich' ist die Besitzverteilung in Kärnten. Da hier der Weinbau fehlt, ist der Kleinbesitz schwächer, der Großbesitz entsteht aus vorwiegenden Anteilen an Alpen und Weiden. Tirol und Vorarlberg sind reine Bauernländer . ohne Großgrundbesitz. Beide Länder weisen keine Bodenreserven aus, so daß weder

Neusiedlungen noch Anliegersiedlungen durchgeführt werden können. Dasselbe Bild ergibt sich im Lande Salzburg. In Niederösterreich und im nördlichen Burgenlande tritt hingegen der Großgrundbesitz augenfällig in Erscheinung, durch das pannonische Klima begünstigt. In diesen Gebieten ist eine Verbesserung in den bestehenden Bodenbesitzverhältnissen am Platze. Aus ernährungs-wirtsdiaftlichen und volkspolitischen Gründen soll jedoch nach dem vorliegenden staatlichen Plane eine Anzahl gutwirtschaftender Großgrundbesitze, die vorzüglich Getreide und Zuckerrüben bauen, erhalten werden.

Da in Österreich 94 Prozent des Ackerbodens Bauern- und nur 6 Prozent Großgrundbesitzland sind, fehlen — wird für den Rahmen der geplanten Reform ins Treffen geführt — die Voraussetzungen für Bodenverteilung großen Umfanges. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf strebt an, die in den einzelnen Ländern bestehenden Mängel in der Verteilung der Ackerkrume durch schon erprobte Maßnahmen zu beheben. So wird die Schaffung von lebensfähigen Bauernanwesen durch Neusiedlung vorgesehen die Bildung von Heimstätten für land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und ländliche Handwerker zu ihrer Seßhaftmachung, Vergrößerung und Stärkung von ungenügenden Bauern- und Häusleranwesen durch Anliegersiedlung, Neubesiedlung entsiedelter Baüernanwesen im Berglande. Sicherung von Bauern- und Häusleranwesen im Bergland, die von der Ent-siedlung bedroht sind, durch Ordnung der Rechtsverhältnisse und durch wirtschaftliche Vorkehrungen, die das Ausmaß allgemeiner Förderungsmaßnahmen übersteigen, langfristige Verpachtung oder Übereignung nicht voll ausgenützter Alp- und Weideflächen an Agraigemeinschaften und Weidegenossenschaften. Vor allem aber sollen alte Grundpachtverhältnisse in Eigentum umgewandelt werden, vorerst im Wege freiwilliger Übereinkommen und, wo diese nicht erreichbar sind, durch behördliche Umwandlung von Pacht in Eigentum. Die Enteignung muß jedoch volkswirtschaftlich gerechtfertigt sein, etwa wenn die Selbstbewirtschaftung durch den Eigentümer nicht möglich oder nicht bald zu erwarten ist. Sie ist auch nur vorzunehmen zur Sicherung der Lebens- und Leistungsfähigkeit der Pachtliegenschaft. Die Enteignung soll die Arrondierung des Restgutes nicht stören und keine unbillige Härte für den Verpächter nach sich ziehen. Zur Vermeidung einer Zersplitterung muß auch nicht-angeforderter, sonst aber entwerteter Boden mitübernommen werden. Bei Vorhandensein öffentlich-rechtlicher Lasten und Pflichten, wie von Kunst- und Naturdenkmälern öffentlichen Interesses, deren Erhaltung notwendig, aber durch die Enteignung gefährdet würde, ist Vorsorge zu treffen, daß die Erfüllung dieser Verpflichtung dem Restgute ermöglicht und der neue Grundeigentümer gegebenenfalls zur Mittragung herangezogen wird. Eine Sdiädi-gung der Angestellten und Arbeiter des Boden abgebenden Gutes darf nicht stattfinden.

Es dürften für die versdiiedenen Siedlungszwecke zunächst auch ohne Enteignung ziemlich ausgedehnte Bodenflächen zur Verfügung stehen. Mehr als 5 0.0 00 Hektar land- und forstwirtschaftlich genutzter Boden wurde während des Krieges für ni c h 11 a n d w i r t s c h a f 11 i c h e Zwecke (Truppenübungsplätze, Flu gp lätz e, Barackenanlagen usw.) herangezogen Diese Bodenverschwendung muß durch eine möglichst rasche Wiederbesiedlung gutgemacht werden. Auch wird die Behebung der land-wirtschaftlidien Kriegsschäden, das Nachholen jahrelang unterbliebener Investitionen und schließlich die bevorstehende Vermögensabgabe Kapitalbeträge erfordern, die manche Landwirte zu freiwilligen Bodenabgaben veranlassen werden. Es wird also Land ausreichend zur Verfügung stehen. Soweit das so gewonnene Land für die geplanten Siedlungen aber doch nicht ausreicht und aus sozialen, bevölkerungspolitischen und ernährungswirtschaftlichen Gründen in einem bestimmten Siedlungs-raume weiter Siedlungsboden notwendig ist, können Großgrundbesitzer, deren Eigentum ohne Einrechnung der Alpflächen eine landwirtschaftliche Nutzfläche von mehr als 500 Hektar umfaßt, zu einer einmaligen Landabgabe bis zu dieser Höchstgrenze im Enteignungswege verhalten werden.

Als Enteignungspreis ist der Ertragswert festzusetzen. Bei dieser Entschädigungsart erübrigen sich Gesetze und Richtlinien über die Berechnung dieser Entschädigungen, wie dies bei den umfangreichen früheren Bodenreformgesetzen der Nachbarstaaten der Fall war. Die Agrarlandesbehörde nimmt entweder selbst oder durch die Agrarbezirksbehörden die erforderlichen Erhebungen und Schätzungen vor. Der Eigentümer des zu enteignenden Grundstückes wird verständigt, daß das Enteignungsverfahren eingeleitet wird, wenn nicht innerhalb einer bestimmten angemessenen Frist ein Übereinkommen über die freiwillige Abtretung des Grundstücks nadigewiesen wird.

Der Wald im großen scheidet bei einem Siedlungsverfahren aus. Wald, einer unserer größten Natursdiätze, kann erfahrungsgemäß nur im großen bewirtschaftet werden. Je größer der Betriebsumfang, desto geordneter, rationeller und intensiver die Bewirtschaftung, das Altersklassenverhältnis, der Anstieg des Durchschnittszuwachses. Die Erfahrungen mit verstaatlichten Forsten in den letzten 20 Jahren in den Nachbarstaaten reizen fürwahr nicht zur Nachahmung.

Zu diesen Grundsätzen für das landwirtschaftliche S'iedlungswesen haben die Bundesländer die Ausführungsgesetze zu beschließen. Diese länderweise Durchführung der Siedlung, verfassungsrechtlich begründet, will den Ver-sdiiedenheiten der Länder in Bodenbeschaffenheit und Bodenverteilung Rechnung tragen.

DerEntwurfläßterkennen, wie sehr er sich die Ergebnisse der in den letzten 20 Jahren durchgeführten Bodenreform in den Nachbarstaaten zunutze gemacht hat; auch die Bestimmungen für den Erfolg der Besiedlung und für die ausschlaggebende Auswahl der Siedler deutet darauf hin. Der Siedler muß die Gewähr für die erfolgreiche Bewirtschaftung des neuen oder vergrößerten Anwesens erbringen; um sein Interesse fester mit dem neuen Erwerb zu verknüpfen, soll er neben dem notwendigen Inventar mindestens 15 Prozent, beziehungsweise 25 Prozent ' des gesamten Kostenaufwandes der Siedlung selbst bestreiten.

Spekulanten werden auf diese Weise ausgeschaltet. Für die ungedeckten Kosten der Siedlung sind die normalen Kreditmöglichkeiten bei Hypothekenanstalten und Sparkassen auszuschöpfen. Die zweitrangigen Kredite gewährt zu zwei Prozent der landwirtschaftliche Siedlungsfonds als Träger der Siedlungsmaßnahmen. Er kann auch nichtrückzahlbare Beträge zur Deckung des verlorenen Aufwandes gewähren. Dieser Siedlungsfonds macht die anderwärts eingeschalteten Siedlungsgesellschaften, die das Verfahren verteuerten, überflüssig. Bei Siedlungsmaßnahmen gibt es kein Schema. Nie dürfen dabei, soll nicht allgemeiner Schaden entstehen, wirtschaftliche, soziale und volkswirtschaftliche Grundsätze konsequent verfolgt werden. Alle Betriebsgrößen haben ihre wirtschaftliche Daseinsberechtigung und Bedeutung. Österreich braucht ein starkes Bauerntum und eine zufriedene und sozial wohlbedachte Landarbeitersdiaft. Der unparteiische Beobachter, der seine Kritik nicht aus politischer Schau absteckt, mag an dem Entwürfe noch diese oder jene Kontur mehr herausgearbeitet wünschen, aber er wird die soziale und wirtschaftliche Planmäßigkeit der verfolgten Reform anerkennen. Kein Zweifel dieses Unternehmen verspricht in seiner Reife aus gestärkter Bodenverbundenheit dem österreichischen Volkstum neue Kraft zuzuführen.

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