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Das „steinreiche“ Land

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Dort, wo der Alpenbogen seine größte Tiefe erreicht, liegt das heute nur noch 12.&47 Quadratkilometer umfassende „steinreiche“ Land Tirol. Durch die Abtretung Südtirols auf Grund des Friedensvertrages vom 10. September 1919 hat Tirol mehr als die Hälfte seines Gebietes verloren. Flächenmäßig ist Tirol allerdings auch heute noch das drittgrößte Bundesland Österreichs. Von dieser Fläche sind aber 27 Prozent unproduktives Ödland und 33 Prozent forstwirtschaftlich genutzte Fläche. Wenn auch 40 Prozent noch als landwirtschaftlich genutzte Fläche zu bewerten sind, so sind von der Gesamtfläche des Landes nur etwa 3,8 Prozent Ackerland und etwa ebensoviel Wiesenland. Diese geringe produktive Fläche ernährt recht und schlecht etwas mehr als 25.000 landwirtschaftliche Betriebe, wobei allerdings 17 Prozent unter 2 Hektar, 26 Prozent zwischen 2 und 5 Hektar, 38 Prozent zwischen 5 und 20 Hektar und nur 19 Prozent mehr als 20 Hektar groß sind.

Rund 75.000 Menschen von den 462.476 Einwohnern Tirols sind auf den bäuerlichen Betrieben als Betriebsinhaber, familieneigene und fremde Arbeitskräfte tätig. Nicht einmal ein Fünftel der Bevölkerung gehört somit dem Bauernstand an, und dennoch ist dieser nicht nur politisch, sondern auch für die Charakterisierung des Landes von ausschlaggebender Bedeutung. Die Bauern sind es, die mit ihren Siedlungen bis in die entlegensten Seitentäler dem Land das Gepräge geben und dafür Sorge tragen, daß die Vielzahl der Gebirgstäler Tirols nicht nur zu Jagdrevieren für begüterte Jagdherren wird. Sie sind es, die aus dem kargen Boden einen Großteil der Ernährung des Landes sicherstellen und die durch Grundbesitz und Bodenbearbeitung am meisten mit dem Land verbunden sind und daher im Not- und Kriegsfall — wie es in den vergangenen Jahrhunderten zu ersehen war — mit größten Opfern ihre Heimat zu verteidigen entschlossen sind. Moderne landwirtschaftliche Geräte, Materialseilbahnen, Güter- und Forstwege erleichtern allerdings heutzutage die Arbeit schon beachtlich. Durch den Anschluß auch höchstgelegener Bergsiedlungen an das elektrische Stromnetz wurde nicht nur das Wohnen behaglicher und die Haushaltführung rationeller, sondern werden vor allem viele im Bauernhof anfallenden Arbeiten von Maschinen übernommen.

Die Landwirtschaft kann auch beachtliche Exportleistungen, insbesondere hinsichtlich der Zuchtviehausfuhr und bei Milchprodukten, aufweisen (1960 rund 140 Millionen Schilling).

Während das Abwandern von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft für die bäuerlichen Betriebe zu einer echten Sorge wurde, bedeutete dies für die Industrie das Vorhandensein einer sehr zu begrüßenden Arbeitskraftreserve. Nicht übersehen werden darf schließlich, daß die Pflege des Fremdenverkehrs auf einer so breiten Basis, wie sie sich in den letzten Jahren in Tirol eingespielt hat, ohne die Mitarbeit der Bauern nicht denkbar wäre, für die anderseits willkommene zusätzliche Einnahmen entstehen.

Eng verbunden mit der Landwirtschaft ist die Forstwirtschaft. Im Jahre 1960 betrug das Einschlagergebnis 813.458 Einheitsfestmeter. Von dieser Holzproduktion entfallen 75 Prozent auf Nutzholz und 25 Prozent auf Brennholz. Für die Sägeindustrie mit ihren 519 Betrieben bedeutet dies eine neue Höchstproduktion von 5 50.000 Kubikmeter Schnittholz, wovon 453.000 Kubikmeter exportiert wurden.

Zu geradezu überragender Bedeutung entwickelte sich in Tirol in den letzten Jahren der Fremdenverkehr. Die einmalige Schönheit unserer Berglandschaft, die Vielgestaltigkeit der Hunderte von Tälern, die Einsamkeit des Hochgebirges, die Ruhe und die vielen Wandermöglichkeiten in den Wäldern und Almgebieten ziehen von Jahr zu Jahr immer mehr ausländische Gäste in unser Land. Die günstige Verkehrslage zwischen Deutschland und Italien mag das übrige dazu beitragen. Der Weitblick führender Männer des Tiroler Gast- und Beherbergungsgewerbes hat schon vor Jahren die einmaligen Möglichkeiten erkannt, die der Fremdenverkehr Tirol bietet, und so wurden systematisch neue Hotel- und Gastbetriebe geschaffen, die bestehenden modernisiert und erweitert sowie durch eine Vielzahl von Seilbahnen und Sesselliften das mühelose Erreichen von schönen und schönsten Aussichtsplätzen und Skiabfahrten gesichert. Da die Sommersaison allein zu kurz ist und das Brachliegen vieler Betriebe für zu lange Zeit bedeuten würde, wurde mit Zähigkeit am Ausbau der Wintersaison gearbeitet. Die Erfolgsbilanz ist einmalig: In der ersten Hälfte dieses Jahres wurde ein Deviseneingang von 4264 Millionen Schilling festgestellt, das ist eine Mehreinnahme von 700 Millionen Schilling gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres. Vom 1. November 1959 bis 31. Oktober 1960 war aber bereits ein Rekordjahr mit 10,296.557 Ausländerübernachtungen das sind mehr als 40 Prozent des gesamten Ausländerfremden verkehrs in Österreich. Wenn man berücksichtigt, daß gemäß den Ausweisen der Österreichischen Nationalbank im Jahre 1960 der Schillinggegenwert der im Reiseverkehr eingegangenen Devisen 6032 Millionen Schilling betrug, so brachte Tirol durch seinen Fremdenverkehr Österreich fast 2,5 Milliarden Schilling an Devisen ein. Besonders erfreulich ist dabei, daß dieser „Export“ sich bisher völlig unbeeinflußt von den Auseinandersetzungen zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken EWG und EFTA zeigte, während zum Beispiel der landwirtschaftliche Export in Tirol fast zur Gänze in die Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geht und daher über ihm stets das Damoklesschwert einer allfälligen Diskriminierung in der Zukunft schwebt. Am eindrucksvollsten wird jedoch die Bedeutung des Fremdenverkehrs in Tirol klar, wenn man bedenkt, daß die vorerwähnten 2,5 Milliarden Schilling Deviseneingänge einen höheren Betrag darstellen als die Exportleistung sämtlicher Wirtschaftszweige Tirols. Eine Fahrt in die Dörfer Tirols zeigt ferner, wie viele Neubauten gerade durch diesen Fremdenverkehr errichtet werden konnten.

Im Mittelalter brachten die Bergwerksbetriebe in Tirol unserem Land einen beachtlichen Reichtum. Ich brauche nur an die Knappenstadt

Schwaz mit ihren Silberbergwerken erinnern. Nach dem Aufhören dieses Bergsegens schienen tatsächlich nur die Steine unserem Lande zu verbleiben. Wenn auch Eisen-, Metall- und Kohlevorkommen in Tirol fehlen, so sind von den Rohstoffvorkommen in den letzten Jahren besonders die Magnesit- und Mergelvorkommen von Bedeutung geworden. Dazu kommt die ständig im Ausbau begriffene Stromerzeugung. In Tirol sind zirka acht Milliarden Kilowattstunden ausbauwürdige Wasserkräfte vorhanden, davon entfällt infolge des gebirgigen Charakters des Landes ein hoher Prozentsatz auf Speicherenergie. Die bestehenden Kraftwerksanlagen weisen eine Leistung von 1,8 Milliarden Kilowattstunden auf, was einen Produktionswert von rund 410 Millionen Schilling bedeutet; rund 400 Millionen Kilowattstunden werden dem Export zugeführt mit einem Gegenwert von zirka 100 Millionen Schilling.

Das in Bau befindliche Kaunertalkraftwerk niit Gepatschspeicher (140 Millionen Kubikmeter Nutzinhalt) wird voraussichtlich im Herbst 1964 mit einem Teilbetrieb beginnen. Im Frühsommer 1966 soll der volle Betrieb aufgenommen werden.

Das Kaunertalkraftwerk Prutz wird dann eine Regeljahrerzeugung von zirka 570 Millionen Kilowattstunden, davon 59 Prozent Winter energie, aufweisen. In einer späteren Ausbaustufe (Riffelsee) werden die Kaunertalanlagen eine Regeljahrerzeugung von insgesamt 860 Millionen Kilowattstunden, mit einem Winteranteil von 57 Prozent, erreichen. Tirol rastet daher auch auf diesem Gebiet keinesfalls.

Die Anfänge einer bescheidenen Industrie in Tirol reichen bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts zurück. Insbesondere seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ging jedoch die Leistungskurve der Industrie steil aufwärts. So hat Tirols Industrie ihren Beschäftigtenstand gegenüber dem Jahre 1936 mehr als verdreifacht, während die gesamtösterreichische Industrie eine Verdoppelung noch nicht erreichen konnte. Die drei wichtigsten Grundlagen sind einige Rohstof fvorkommen, so die bereits erwähnten Magnesit-, Mergel- und Steinvorkommen, die reiche und günstige Stromdarbietung im Land und schließlich der bis in die letzte Zeit vorhandene Überschuß an Arbeitskräften aus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Entscheidend aber war das Auftreten von Unternehmerpersönlichkeiten, deren Initiative und Weitblick es gelang, Finalindustrien mit Spezialerzeugnissen aufzubauen, die Weltgeltung genießen, so die Swarovski-Werke in Wattens und die Hartmetall- und Sintermetallwerke am Plansee.

Die Textil- und Bekleidungsindustrie erbringt fast ein Viertel des industriellen Produktionswertes, und zwar im Jahre 1960 rund 970 Millionen Schilling, und beschäftigte mit 7140 Personen mehr als ein Viertel der insgesamt in der Industrie tätigen Arbeiter und Angestellten. Der

Exportwert dieser Industrie beträgt mehr als 151 Millionen Schilling. Die eisen- und metallverarbeitende Industrie hat derzeit mit ihrem Produktionswert (1960 rund 1072 Millionen Schilling, davon 298 Millionen Schilling Export) die Textilindustrie bereits überflügelt. Die übrigen Zweige der Tiroler Industrie sind an der industriellen Gesamtproduktion mit rund 2026 Millionen Schilling beteiligt, so daß sich ein Gesamtproduktionswert der Industrie von etwas mehr als vier Milliarden Schilling im Jahre 1960 ergeben hat, wobei die Exportintensität etwas mehr als 25 Prozent und somit mehr als eine Milliarde Schilling betrug. Dieser Anteil ist um so höher zu werten, als es sich hierbei durchweg um hochwertige Finalprodukte und nicht um Grundstoffe und Halbfabrikate handelt, die sonst eine bedeutende Rolle im österreichischen Export spielen. Unter den als „sonstige Industrie“ zusammengefaßten Produktionszweigen verdient besonders hervorgehoben zu werden der exportintensive Magnesitbergbau in Hochfilzen und Mayrhofen, die chemische Schwerindustrie (Phenolerzeugung in Schaftenau und Karbiderzeugung in Landeck), die Heilmittelindustrie (Penicillin und Antibiotika in Kundl), die hochwertige Papierindustrie in Wattens sowie die Zement- und Glasindustrie. Der durchschnittliche Gesamtbeschäftigtenstand der Tiroler Industrie beträgt in diesem Jahr fast genau 26.000 Arbeitskräfte.

Im Handwerk ist ein Rückgang der Betriebe festzustellen, der sich jedoch durchweg auf Kleinstbetriebe beschränkt. So hat sich die Zahl der zur Sektion Gewerbe gehörigen Betriebe von 8839 im Jahre 1959 auf 8692 bis Ende 1960 verringert. Unzweifelhaft hat der Großteil der gewerblichen Unternehmen gleichfalls Anteil an der herrschenden Hochkonjunktur. Dies gilt natürlich in erster Linie von allen Gewerbezweigen, die direkt oder indirekt mit dem Schlüsselgewerbe Bauwesen verbunden sind. Die stürmische Entwicklung auf diesem Gebiet in den letzten Jahren bringt es mit sich, daß mit aller Energie darangegangen werden muß, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, daß in Hinkunft, und zwar bereits 1962, eine ausreichende Zahl ausländischer Bauarbeiter eingesetzt werden kann, soll das Bau- und Baunebengewerbe seinen Aufträgen nach- kommen können. Das Vorgehen des Sozialministeriums, die Kontingente für ausländische Arbeiter so spät festzulegen, daß sie für den Großteil der Unternehmer praktisch wertlos sind, darf sich in Zukunft nicht wiederholen.

Auch im Gast- und Schankgewerbe bereitet der Personalmangel ernstliche Sorgen.

Die Exportleistung des Handwerkes konnte sich erfreulicherweise von 48 Millionen Schilling im Jahre 1959 auf 65 Millionen Schilling, inj Jahre 1960 erhöhen.

Die Zahl der Handelsbetriebe ist im Jahre 1960 auf 9032 angestiegen. Die Einzelhandelsumsätze konnten im Jahre 1960, ähnlich dem Vorjahr, eine durchschnittliche Steigerung von sechs bis acht Prozent aufweisen.

Die Eröffnung der 29 Innsbrucker Messe fällt daher in eine Zeit des beständigen wirtschaftlichen Aufschwunges. Sie fällt aber auch in eine Zeit des Rekordtiefstandes der Arbeitslosigkeit, da mit Ende August dieses Jahres in Tirol nur noch 1302 Arbeitsuchende gemeldet waren. Es ist zu hoffen, daß auch eine gewisse Preissteigerungstendenz, die sich in diesem Jahre zeigt, gemeistert wird, damit für die gesamte Bevölkerung, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, der Erfolg österreichischen Fleißes und österreichischen Arbeitseifers gesichert ist.

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