6738514-1966_31_16.jpg
Digital In Arbeit

Vorarlbergs Industrie gerüstet

Werbung
Werbung
Werbung

Viele Tausende von Fremden kommen Sommer und Winter in das mit Naturschöniheiten reich gesegnete Vorarlberg. „Vom Bodensee zum Gletschereis“, wie das vielseits bereits bekannte Schlagwort lautet, bietet dieses Grenzland jedem Urlauber mannigfache Erholung, am Wasser, bei der Talwanderung, im Mittel- und Hochgebirge. Wenn die Bregenzer Festspiele im Sommer einen erlesenen Genuß auf kulturellem Gebiet darstellen, bietet der winterlich verschneite Arlberg, der Bregenzerwald und das Montafon dem Skisportler und Sonnenanbeter einmalige Gelegenheiten gesunder und erfreulicher Betätigung.

Der Gast mag woihl verwundert sein, in der Hotelhalle zwischen den Zeitschriften und aufliegenden Büchern immer wieder auf die Industrie Vorarlbergs und deren Exportzahlen hingewiesen zu werden. Vielleicht hat er noch wenig davon gewußt, oder noch weniger gesehen? Sie präsentiert sich dem Durchreisenden kaum, weil sie in ihrer Gründungszeit vor 100 und 150 Jahren am Rande des Gebirges oder gar in versteckten, waldigen Tälern die letzten Gefällsstufen der Bergbäche zu ihrem Antrieb gesucht hat und dort verblieben ist. So findet man, daß eine Firma oft fünf bis sechs kleinere Betriebe zerstreut liegen hat. Diese Dezentralisation ist wohl Verkehrs- und frachtmäßig gesehen ein Nachteil und zusätzlicher Kostenfaktor, auf der anderen Seite erfaßt er von der Aiibeitskraftseite gewisse, ernst rein bäuerliche Wohngebiete, die durch kinderreiche Bauernfamilien eine willkommene Quelle für zusätzliche Mitarbeiter bedeutet. Man beschreitet heute einen ähnlichen Weg, nach dem neuen Grundsatz, den Betrieb an die Arbeitskräfte heranzuführen, nicht umgekehrt. Was durch Betriebsgründungen im Wald- oder Mühlviertel und im Burgenland erreicht werden soll, ist hier in erhöhtem Maße in den letzten Jahren in den Alpentälem praktiziert worden, von wo früher Pendler in Omnibussen geholt wurden. Nun können sie in ihrer Heimat bleiben.

Diese Zweigbetriebe, deren Stammfirmen im Walgau und im Rheintal liegen, bemühen sich, diese neue Gründungen so der Landschaft anzupassen, daß sie den Bergdörfern oft zum Schmuck gereichen und in Verbindung mit Werkküche und Aufenthaltsräumen auch anderen Zwecken der Dorfgemeinschaft in der Freizeit dienen können. Aber auch damit wird das Auslangen noch nicht gefunden. Und so wurden in der letzten Zeit etwa 2000 Gastarbeiter ängeworbenr.um das unserer Industrie fehlende Potential der zu Zeiten 7000 Grenzgänger nach Liechtenstein, Schweiz und Deutschland einigermaßen zu kompensieren. Dazu kommt noch, daß diese Grenzgänger diesen Ländern nicht nur ihre Arbeitskraft und einen Teil der Steuern zur Verfügung stellen, sondern daß durch sie auch noch der ohnehin knappe Wahnraum blockiert wird.

Der Feriengast wird sich also wundern, wenn er erfährt, daß Vorarlberg das reichst industrialisierte Bundesland Österreichs ist und daß von dieser Industrie etwa 30 Prozent der Beschäftigten in der Textilbranche Beschäftigung finden. Wenn man bedenkt, daß in Vorarlberg keinerlei Bodenschätze gewonnen werden können, so ist es verwunderlich, wenn dieses kleine Land jährlich Industriegüter im Wert von 6,5 Milliarden Schilling Bruttoproduktionswert herstellt, wovon wieder etwa 65 Prozent auf die Textilindustrie fallen. Davon sind etwa 16.000 Tonnen verschiedene Garne, fast 65 Millionen Meter Gewebe, 15,4 Millionen Quadratmeter bedruckte Gewebe, 7,5 Millionen Meter

Triikotstoffe, 16,4 Millionen Stück Unterwäsche, 2,9 Millionen Meter gewirkte und gestrickte Öberkleider, 21,7 Millionen Paar Strümpfe und last not least Stickereien im Werte von 560 Millionen Schilling. — Dies sind nur einige Zahlen über die Produktion. Der Export betrug 1965 1,4 Milliarden Schilling, davon stellt allein die Stickerei etwa 45 Prozent, 400 Millionen betreffen Gewebe und 200 Millionen Garne und Zwirne.

Es ist daher nicht zu verwundern, daß Kommerzialrat Hermann Rhomberg mit einigen anderen Textilindustriellen bereits 1949 die Idee einer Textilmesse in Dornbirn erwog und diese auch gründete. Durch 16 Jahre vereinte sie eine Besuchermenge von Hunderttausenden aus aller Welt und war ein taugliches Instrument gemeinsamer Werfoe- und Verkaufsmöglichkeiten. In diesem Jahre ist, hauptsächlich aus Gründen einer besseren Termdnlage, für die Kollektionserstellung und auch die Lage zu anderen großen Messeveranstaltungen, eine Änderung geplant durch die Veranstaltung der Domlbimer ÖTEX, die eine ausgesprochene Fachmesse für Meterware der Baumwoll-, Woll-, Seiden-, Triko- tage- und Jerseyindustrien werden soll. Damit ist die Dornbimer Export- und Mustermesse, die ihre Veranstaltungen im Sommer weiterhin behalten wird und jeweils durch besondere Spezialausstellungen attraktiv erhalten bleilben soll, durch ein Unternehmen ergänzt, das vorzüglich für textile Werbung und Verkaufsförderung hauptsächlich in Blickrichtung erhöhten Exportes dienlich sein wird. Alle Bemühungen auf diesem Gebiet gehören zu den Vorbereitungen des Startes für die Assoziierung Österreichs an die EWG, die Vorarlberg die angestammten Märkte Deutschland, Frankreich und Italien, wohin der Ekport mehr und mehr diskriminiert wird, wieder frei eröffnen soll. Dazu bedarf es außerdem großer Investitionen für modernste und rationellste Arbeitsweisen, um konkurrenzfähig zu werden und zu toleiben, die Vollbeschäftigung und damit die Arbeitsplätze aufrechterhalten zu können. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang die Verabschiedung längst fälliger und nötiger .Wirtschaftsgesetze von seiten des Staates zur Ermöglichung dieser dringlichen Wünsche und Forderungen.

An der privaten Initiative und Risikofreude fehlt es fürwahr in Vorarlberg nicht. Die Wirtschaft des Landes ist gekennzeichnet durch das fast gänzliche Fehlen der Aktien- und anderer anonymen Gesellschaften. Die privaten Unternehmer, bei Großbetrieben meist mehr als 120 Jahre alter Familiengesellschaften, zeichnen sich durch soziales Verständnis für ihre seit Generationen angestammten, braven Mitarbeiter aus, sie tragen in Schicksalsgemeinschaft mit ihren Werksangehörigen Verantwortung und Risiko. Und so ist es auch im kleinen Heimibetrieb der so erfolgreichen Stickerei, wo sich die Familienmitglieder bienenfleißig in die vier- undzwanzig Stunden der Tages- und Nachtarbeit teilen! Ein hohes Lohnniveau, leistungsbetont, bedeutende freiwillige Sozialleistungen geben Zeugnis eines guten und sachlichen Klimas auf Sozialpartnerebene.

Professor Ferdinand Ulmer (Universität Innsbruck) faßt die Erkenntnisse in einem Satz zusammen, daß Verderb oder Gedeih der Vorarlberger Textilindustrie nicht die Frage des Wohlstandes von ein paar Unternehmern sei, sondern, daß das Schicksal des Volkes und Landes Vorarlbergs daran hänge.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung