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Vorarlberg fur ganz Osterreich

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Mehr als 950 Aussteller der Dornbirner Messe 1960, die vom Freitag, den 5., bis Sonntag, den 14. August, stattfindet, legen diesmal ihre Warenmuster auf. Sie stammen aus Österreich, das mit allen,, seinen Bundesländern in Dornbirn vertreten sein wird, aus Deutschland, Schweiz, Liechtenstein, Italien, Benelux, Frankreich, Skandinavien, Tschechoslowakei, England, Amerika und anderen Staaten. Der internationale Charakter dieser Messe verleiht dem Geschäftsverlauf seine spannenden Akzente. Bemerkenswert ist die starke Beteiligung der Wiener Wirtschaft, woraus ersichtlich ist, daß die Reichweite dieses Handelsplatzes einen solchen Kosteneinsatz lohnt. Es wäre allerdings eine Fehlinvestition gewesen, hätte man 1949 in Dornbirn eine Messegründung aus Not — Wien lag damals hinter der Demarkationslinie — oder aus Prestige vollzogen. Solche Affekthandlungen hätten keine lange Lebensdauer, zumal nach dem Abzug der Besatzungen, gehabt. Vielmehr beruht die Stärke der Dornbirner Messe auf ihrer Lage inmitten eines breiten industriellen Hinterlandes. Die Technik der Messeorganisation allein verlangt viel Erfahrung und Improvisation, die man nur Leuten zutrauen kann, denen der Umgang mit wirtschaftlichen Dingen von Jugend auf vertraut ist. Der Vorarlberger wächst im echten ökonomischen Milieu auf und handhabt dann die Intsrumente der Wirtschaft mit jener Rou'ine, die den Erfolg, also den Ertrag und den Gewinn, zu realisieren vermag. Andere mögen auch fit in der Konzeption sein, jedoch verlangt dies eine Realisierung im Alltag, und hier sind die Vorarlberger Wirtschafttreibenden zweifellos in der Produktion wie im Verkauf überlegen. Man hat die Dornbirner Messe einmal ein Risiko genannt, aber diese Vorhersage hat sich als falsch erwiesen.

Man bedenke, daß dieses kleine Bundesland mit nur 220.000 Einwohnern gegenwärtig 76.000 Gehalts- und Lohnempfänger zählt. Jeder dritte Vorarlberger ist Mitarbeiter eines Firmeninhabers, deren es rund 10.000 in allen Zweigen der Wirtschaft einschließlich Handwerk gibt. Die Industrie selbst gibt nahezu 30 000 Personen eine sichere Existenz, sie könnte noch mehr beschäftigen, gingen nicht 5500 Menschen täglich nach dem grenznahen Ausland auf Arbeit Der Bruttoproduktionswert dieser Industrie ist mit 4222 Millionen Schilling, im Vorjahr nach dem Verhältnis der Einwohnerzahl höher als in jedem anderen Bundesland. Vorarlberg hat inzwischen auch Wien mit der Kopfquote an Steuern übertroffen, es ist für die Bundesfinanzen ein aktiver Faktor.

Von diesem Bruttoproduktionswert entfielen 1959 nicht weniger als 2983 Millionen Schilling oder 70 Prozent auf die Textilindustrie und weitere vier Prozent auf die Bekleidungsindustrie, womit auch alles über die dominierende Stellung der Textilwirtschaft, die auch den größten Exporterlös von allen Branchen hervorbringt, gesagt ist. Während der Anteil des Landes an der Gesamtbevölkerung der Republik nur 3,1 Prozent beträgt, stellt es dei österreichischen Wirtschaft ein Warenvolumen zur Verfügung, das fünf Prozent des Bruttoproduktionswertes aller Bundesländer ausmacht. Trotz des Status einer höchsten Industrialisierung hat Vorarlberg, das sei noch in diesem Zusammenhang kurz gestreift, mit 22 Geburten je tausend Einwohner die höchste Geburtenfreudigkeit, während der Bundesdurchschnitt nur 17 Promille beträgt.

Die Vorarlberger Textilindustrie, die auf eine lange Entwicklung zurückblickt, ist im ganzen Rheintal bis zum Bodensee verstreut. Das hat den Vorteil, daß Vorarlberg keine Großstadt aufweist, die Industrie nicht zur Massierung von Menschen führt und das Wohngebiet aufgelok-kert bleibt. Zahlreiche Finnen sind seit ihrer Gründung im Besitz ein und derselben Familie. Daher kennt Vorarlberg unter 578 Industriefirmen aller Branchen nur elf Aktiengesellschaften. Die meisten Firmen sind reine Familienbetriebe geblieben was ebenfalls für die Wirtschaft charakteristisch ist. Der soziale Arbeitsfriede wurde äußerst selten durch kurze Streiks gestört, die praktisch hierzulande ein unbeliebtes Kampfmittel sind. Man zieht die direkte Verständigung zwischen den Sozialpartnern einer kämpferischen Auseinandersetzung fast immer vor. Um die Krisenanfälligkeit zu vermindern, verfügen viele Firmen über Produktionsabteilungen verschiedener Branchen, um bei einem Absatzrückgang in der einen Branche eine Ausweichmöglichkeit zu haben. So haben einige Betriebe in den letzten Jahren neue Abteilungen, beispielsweise eine Strumpffabrik, eine eigene Stickerei und eine Wäscheerzeugung angegliedert. Ebenso gibt es Stickereifabriken, die auch eine Wäschekonfektion oder eine Tuchfabrik betreiben. Wenn die Vorarlberger Textilindustrie 1958 von der internationalen Rezession nur am Rand gestreift wurde, dann verdankt sie diesen Erfolg ihrer vielschichtigen Gliederung, ihren anerkannten Qualitätserzeugnissen, ihren durch eineinhalb Jahrhunderte gesammelten unschätzbaren Erfahrungen auf den Märkten und einer bewährten Absatzorgähisation.

Wenn wir nun in dieser Betrachtung wieder zum Messethema zurückkehren, darf als charakteristisch angeführt werden, daß in Dornbirn vorwiegend Erzeuger ausstellen. Von einer reinen Industriemesse kann man nicht sprechen, weif gerade heuer wieder, nach vierjährigem MBlL aiJSLv ne große Landeshandwerksschau angeschlossen ist und natürlich auch ^Handelsagenturen teilnehmen. Dornbirn ist aber im Wandel der Entwicklung die Messe für den Großhandel- und Detailkaufmann geblieben, im textilwirtschaftlichen Sektor sogar zu einem regelrechten Neuheitenplatz geworden. So legen hier die Baumwollfabriken, Wirkereien und Strickereien und die Seidenweber erstmals ihre nächstjährigen Muster auf den Tisch, ein für alle Fachkreise prickelndes Ereignis, an dem auch die Konsumenten Anteil nehmen, weil sie hier erfahren, was man 1961 trägt.

Der 1949 gegründeten Dornbimer Messe ist es somit gelungen, sich effektvoll in die internationale Textilwirtschaft einzuschalten, womit auch die Verpflichtung verbunden ist, diesen äußerst interessanten Sektor ihrer Warenschau auszubauen. Das Ziel einer gutsortierten Fachmesse wurde erfolgreich in den letzten Jahren angestrebt, als die Textiisparten endgültig in modernen Neubauten am Messegelände untergebracht werden konnten. In baulicher Hinsicht dürfte Dornbirn heute kaum noch einen Wunsch offenlassen, denn die dritte Neubauhalle, die 1958 eröffnet wurde, ist in beiden Geschoßen und in der mittleren Umlaufgalerie sehr zweckmäßig, erlaubt eine vornehme Kojengestaltung mit zentraler Publikumswirkung und einen zügigen Geschäftsverkehr auch bei stärkstem Andrang der Käufer. Damit kam die Messegesellschaft dem verständlichen Anliegen der Aussteller nach mehr Freiheit für die Dekorateure entgegen. Die Dornbirner Messekojen gelten auch im Ausland als Musterbeispiele einer neuzeitlichen Werbekunst. Diese Erfordernisse wurden schon früher bei der Projektierung und Ausführung der anderen Hallenobjekte berücksichtigt. Seitdem nun auch die Messekanzlei selbst in ihre neuen Räume in ein Bürohochhaus direkt am Gelände übersiedeln konnte, ist eine rationelle Geschäftsleitung auch jahrüber gewährleistet.

In der Entwicklung der Messe läßt sich Dornbirn von dem Gedanken leiten, daß sie innerhalb der Kleinen Freihandelszone eine Chance wahrnehmen muß, die ihr durch die in zwei Räumen erfolgende Integration zufällt. In der Kleinen Freihandelszone gibt es außer einem kleinen Textilmesseplatz in Herning (Dänemark) keine andere der gesamten Textilwirtschaft gewidmete Messe als jene in Dornbirn. Das wird als Vorteil betrachtet, den auszunützen Dornbirn bereit ist. In der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft haben sich für das Textilfach die Interstoff in Frankfurt als Messe für Meterwaren, die MITAM in Mailand und MTI in Paris durchgesetzt. Von ihnen unterscheidet sich Dornbirn nicht allein durch seine geographische Lage im Raum der Kleinen Freihandelszone, sondern auch durch den Verzicht auf geschlossene Interessententage.Die Messe ist jedermann zugänglich. So können also die Aussteller gleichzeitig eine breite Konsumentenwerbung durchführen, was für den Handel eine Verkaufshilfe bedeutet.

Von den Ausstellern aller Branchen nehmen ungefähr 65 Prozent an der Textilfachmesse teil, die all Kern der Messe zu betrachten ist. Auch das Tagungsprogramm der textilwirtschaftlichen Fachverbände während der Messe unterstreicht diese Ausrichtung. Ebenso erfreuen sich die Modeschauen einer starken Beachtung. Sie sind eigentlich ausdrucksvoll arrangierte Materialschauen in der Modellverarbeitung durch Wiener und ausländische Salons der Haute Couture und also Mehrzweckveranstaltungen — eine Dornbirner Spezialität. Interessant ist ferner auch die Tatsache, daß in Dornbirn alle österreichischen Bundesländer vertreten sind und ihr Warenangebot also gesamtstaatliche Bedeutung hat, wenn auch die nichttextilen Anbotsteller in erster Linie den regionalen Kunden aus Vorarlberg und den benachbarten deutschen, schweizerischen und Liechtensteiner Gemeinden erwarten können. Die Textilmesse selbst verzeichnet alljährlich Aussteller und Kunden hauptsächlich aus dem mitteleuropäischen' Wirtschaftsraum einschließlich Deutschland und Schweiz. Das Dornbirner Messegelände verfügt über 46.057 Quadratmeter Fläche, davon 27.273 Quadratmeter unter Dach. Die Messegesellschaft ist eine Gesellschaft m. b. H., in deren Aufsichts-rat auch der Verein der Baumwollspinner und Weber Österreichs, die Vereinigung österreichischer Seidenweber, der Fachverband der Bekleidungsindustrie Österreichs und das Bundesgremium des Handels mit textilen Rohstoffen, Textilwaren und Bekleidung vertreten sind. Auch diese Zusammenarbeit bedeutender Fachverbände beweist, wie ernst Dornbirn seine Aufgabe einer Förderung des textilwirtschaftlichen Umsatzes am Binnenmarkt und im Exporthandel im Zeitalter der Integration nimmt.

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