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Blick nach Sudosten
Wieder steht die Eröffnung einer Grazer Messe bevor: es ist die zehnte Frühjahrsmesse der Nachkriegszeit, die Landesverteidigungsminister Ferdinand Graf am 26. April 1958 eröffnen wird.
Vor 52 Jahren hat die Grazer Messe das Licht der Welt erblickt. An ihrer Wiege stand die Ueberzeugung, daß einer Verkehrsisolierung der steirischen Landeshauptstadt durch die Eröffnung der neuen österreichischen Alpenbahnen auf irgendeine Weise entgegengewirkt werden müsse, soll die Stadt nicht einer hoffnungslosen Zukunft überantwortet werden. Am besten könne dies durch eine Belebung der Wirtschaft geschehen, die im Zuge einer allmählichen Umwandlung der Pensionistenstadt in eine geschäftstüchtige und verkehrsreiche Metropole von selbst eintreten müßte, besonders dann, wenn diese Stadt es verstünde, Massen von ver-und einkaufsfreudigen Menschen anzuziehen. Pate standen aber auch Unternehmerpersönlichkeiten mit Mut, Energie und Risiköfreude, die, rückblickend auf die handelspolitische Bedeutung, welche die Grazer Märkte als Vorläufer der Messe schon vor Jahrhunderten besaßen, nicht einsehen wollten, warum Graz nun auch selbst die Rolle eines Pensionisten übernehmen und sich auf den Lorbeeren seiner einstigen merkantilen Betätigung ausruhen sollte. Sie waren vielmehr der Ansicht, daß es nur neuer Ideen und einer gesunden Planung, daß es nur der Arbeit und des Fleißes, der Geduld und Zähigkeit bedürfe, Graz wieder jenen Rang zu erkämpfen, welcher der zweitgrößten österreichischen Stadt zukommt. Leute dieser Ueberzeugung waren es, die am 6. Juni 1906 zur Gründungsversammlung des Vereines „Grazer Herbstmesse“ zusammentraten und die Grazer Kaufmannschaft sowie die Gewerbetreibenden aufforderten, dem neuen Verein beizutreten. Ihr Appell fand ein lebhaftes Echo, viele erwarben die Mitgliedschaft und beteiligten sich auch fleißig an den Vorbereitungsarbeiten für die erste Grazer Herbstmesse, die am 29. September 1906 eröffnet werden konnte.
Waren die Aussteller der Messe erst nur jGrazer Geschäftsleute, so kamen in der Folge %ald auch Gewerbetreibende, Industrielle und Firmen, die landwirtschaftliche Maschinen und Geräte erzeugten, aus der ganzen Steiermark und den anderen Bundesländern hinzu; mit einem Wort, die Grazer Messe entwickelte sich allmählich zu einer Universalmesse, die aus allen Sparten der in- und ausländischen Wirtschaft reich beschickt wurde.
Es ist mehr als einmal die Frage aufgeworfen worden, warum denn die Grazer Messe sich nicht auch zu einer Spezialmesse entwickeln wolle, wie es zum Beispiel die Messen in Dorn-birn und Klagenfurt getan haben. Die Frage ist leicht zu beantworten. Graz ist die Hauptstadt des zweitgrößten österreichischen Bundeslandes, hier rauchen die Schlote einer riesigen Stahl-und Eisenindustrie, hier dehnen sich die Anlagen großer Papierfabriken aus, hier liegen die West- und obersteirischen Kohlenreviere, hier erzeugen Großbrauereien die guten steirischen Biere, und daneben gibt es noch unzählige andere mehr oder minder bedeutende Industriebetriebe. In der Mittel- und Südsteiermark herrscht eine hochentwickelte Landwirtschaft vor, und kleinere oder größere gewerbliche Unternehmungen überziehen wie ein Netz das ganze Land. Alle diese Arbeitsstätten zusammen beschäftigen rund 300.000 Arbeiter und Angestellte, zu denen noch die stattliche Zahl der Selbständigen, und zehntausende Hausfrauen, Rentner und Pensionisten stoßen. Sie alle repräsentieren ein Reservoir von Menschen, das jede Grazer Messe zu speisen und damit zu erhalten vermöchte; denn die meisten von ihnen sind seit eh und je daran gewöhnt, auf der Grazer Messe alles zu finden, was zur Deckung ihrer persönlichen oder betrieblichen Bedürfnisse dient. Die Messe muß daher den Charakter einer Universalmesse tragen, sie muß diesen Charakter auch als Südostmesse haben, weil die Einkäufer aus den südosteuropäischen Ländern nicht so sehr einen Spezialartikel auf der Grazer Messe, sondern Waren aller Art aus Oesterreich oder aus dem in Graz ausstellenden Ausland suchen, an denen sie in ihren Heimatländern Mangel leiden.
Eine zweite Frage lautet: Warum zwei Grazer Messen im Jahr? Diese zweimalige Beanspruchung bürde den ausstellenden Firmen finanzielle Lasten auf, die kaum mehr erträglich und eher dazu angetan seien, eine Messemüdigkeit hervorzurufen. Solche Behauptungen mögen da und dort begründet sein, aber solange die Grazer Messe die Ansuchen dutzonder, oft sehr angesehener Firmen um Zuteilung von Plätzen mit größtem Bedauern ablehnen muß, weil einfach kein Platz mehr zur Verfügung steht, wäre es “wohl unverständlich, wenn die Leitung der Grazer Südostmesse zum Beispiel auf die Abhaltung der Frühjahrsmesse verzichten wollte, um so unverständlicher, als bisher noch jede Frühjahrsmesse einen guten Abschluß zu verzeichnen hatte.
Im Jahre 1953 nahm die Grazer Messe den Titel „S ü d o s t m e s s e“ an. Sie tat es, um die von ihr eingeschlagene Blickrichtung auch äußerlich zu dokumentieren und damit der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die nach Heiligen benannten Grazer Märkte als Vorläufer der Messen bereits nach dem Südosten tendierten und daß sie schon im 13. Jahrhundert von Verkäufern aus Kroatien und Slowenien besucht wurden. Nach der Verdrängung der Türken aus den alten Gebieten der österreichisch-ungarischen Monarchie kamen auch Krainer Bauern mit Südfrüchten und die Gottscheer Händler zum Grazer St.-Aegydi-Markt, um dort zu verkaufen, gleichzeitig aber auch größere Einkäufe zu tätigen. Graz war ja die am weitesten nach Osten vorgeschobene Stadt des geschlossenen deutschen Sprachraumes, ihre geographische Lage bestärkte die Väter der Stadt in ihrem steten Bestreben, Graz zum Zentrum des Handels mit dem Südosten zu machen.
Besonders stark trat dieses Streben nach dem zweiten Weltkrieg in Erscheinung. Kein Mensch hätte es damals für möglich gehalten, daß sich trotz der grundverschiedenen Wirtschaftssysteme doch ■ bald Möglichkeiten eines, wenn auch beschränkten, gegenseitigen Warenaustausches zwischen Oesterreich und Jugoslawien ergeben würden. Es war der steirischen Handelskammer und der Leitung der Grazer Messe vorbehalten, hier eine Pioniertätigkeit zu entfalten und der Herstellung freundlicher Beziehungen zwischen den beiden Ländern zunächst auf wirtschaftlichem Gebiet vorzuarbeiten. Dies geschah in der Erkenntnis, daß auf dem Wege wechselseitiger Geschäftsbeziehungen auch das menschliche Näherkommen gefördert wird. Bald gab es zwischen den Leitungen der Zagreber und der Grazer Messe Besuche, die in sehr gastfreundlicher Atmosphäre verliefen. Auch mit der Laibacher Handelskammer wurden Beziehungen angeknüpft und jeder der österreichischen Besuche in Zagreb oder Laibach wurde dazu benützt, in Erinnerung an die große wirtschaftliche Bedeutung des kroatisch-slowenischen Raumes für die steirische Wirtschaft immer wieder darauf hinzuweisen, welch große Vorteile beide Staaten aus einem intensiven Handelsverkehr über die beiderseitigen Grenzen hinweg ziehen und wieviel sie durch die geringe Entfernung voneinander allein an Transportkosten ersparen könnten.
Der Erfolg war, daß Jugoslawien schon 1950 zum erstenmal mit einer Kollektivschau auf der Grazer Messe erschien und daß der Export österreichischer Waren nach Jugoslawien, der 1946 nur sechs Millionen betrug, 1952 fast schon eine halbe Milliarde Schilling erreichte. Jugoslawien kommt seither zu jeder Grazer Messe mit einer Sonderausstellung, und die gegenseitigen Kontingentvereinbarungen sicherten einen zusätzlichen Absatz, dessen Wert in viele Millionen Schilling ging.
Auch den Bestrebungen, die Handelsbeziehungen mit den übrigen Staaten im Südosten und Osten wieder aufzunehmen, blieb der Erfolg nicht versagt; denn bald erschienen neben Jugoslawien auch Ungarn und Rumänien mit Sonderschauen, eine Tatsache, die zeigte,wie richtig die Worte des steirischen Landeshauptmannes bei der Jubiläumsmesse 1956 waren, mit denen er die Aufgabe der Grazer Messe skizziert hatte, eine wirtschaftliche Brücke zu Jugoslawien und zu den Ländern hinter dem eisernen Vorhang zu werden. Darüber hinaus erschienen auf den Grazer Messen auch Aussteller aus der Türkei und Griechenland, besonders viele aber aus Deutschland und fast allen west- und nordeuropäischen Ländern, so daß der zähe Kampf der Grazer Südostmesse um internationale Anerkennung nur verständlich erscheint.
Zum Schluß soll die nicht hoch genug einzuschätzende Bedeutung der Grazer Messe für den Fremdenverkehr erwähnt werden; denn gerade die Messe ist es, die jedes Jahr Hunderttausende von Besuchern in die steirische Hauptstadt zieht. Viele von ihnen, besonders die aus den anderen Bundesländern und aus dem Ausland, verlängern ihren Aufenthalt oft weit über die Dauer der Messe, um auch das Land Steiermark, seine Landschaft und seine Kulturdenkmäler kennenzulernen. Daß die Grazer Messe durch ihr ansehnliches Bauprogramm noch jährlich hunderten Arbeitern Brot und Verdienst gibt, sei noch am Rande vermerkt.
Damit scheinen Aufgaben und Charakter der Grazer Messe hinlänglich gekennzeichnet. Die Messe repräsentiert eine universale Leistungsschau der heimischen Wirtschaft, zeigt aber auch viele Erzeugnisse ausländischer Herkunft und ist tatsächlich eine Wirtschaftsbrücke nach dem Südosten mit der zusätzlichen Aufgabe, auf wirtschaftlichem Wege eine Völkerverständigung herbeizuführen.
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