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Vom Pferd bis zur Schnecke

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Die Grazer Herbstmesse ist auch heuer wieder ausverkauft. Am Samstag, dem 28. September 1968, um 10 Uhr öffneten sich die Tore der Grazer Herbstmesse dem Besucherstrom aus der Steiermark, aus den übrigen österreichischen Bundesländern und aus dem Ausland. Nicht von ungefähr, meint man in der Steiermark, eröffnete gerade Bautenminister Dr. Kotzina diese Ausstellung, die bis 6. Oktober, also neun Tage lang, dauern wird. Denn auch im heurigen Jahr dominiert wieder die Baumesse, und wenn man Gerüchten Glauben schenken darf, wird Graz bald im Vorfrühling als erste österreichische Stadt eine eigene österreichische Baumesse eröffnen. (Messedirektor Vizebürgermeister Stöffler zur „Furche“: „Wir müssen nur noch die entsprechenden heizbaren Hallen fertiggestellt haben, dann können wir diesem Projekt näherrücken.“)

Von den Ostkrisen unbeeinflußt dürfte auch heuer wieder der Besucher- und Käuferstrom aus dem südlichen Nachbarland Jugoslawien sein. Schon das erste Wochenende zeigte es, daß man auch im Herbst 1968 wie bei der heurigen Frühjahrsmesse wieder mit rund 100.000 Besuchern aus Jugos'awien wird rechnen können. Die polemischen Auseinandersetzungen mit anderen Ostblockstaaten haben die Kauflust der südlichen Nachbarn auf der Grazer Herbstmesse kaum eingedämmt. Den Namen „Tor zum Südosten“ hat sich die Grazer Messe mit diesem starken jugoslawischen Besuch zu Recht verdient, und man tut in der Messedirektion in Graz alles, um noch mehr Käufer und Besucher aus Agram, Laibach und auch aus südlicheren Gebieten Jugoslawiens anzulocken.

So wurden an Vorbereitungen der Herbstmesse 68 allein in Jugoslawien wieder sechs Pressekonferenzen vom Werbeteam abgehalten. Jugoslawien hat auch wieder seinen eigenen Pavillon, der größte übrigens, den dieses Land auf einer österreichi-

sehen Messe betreibt. Vom Fertighaus bis zur Industriemaschine, von Lebensmitteln und Südfrüchten bis zu Lederwaren ist dort auf 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche ein Querschnitt durch die jugoslawische Produktion zu sehen. Dazu kommt

noch eine jugoslawische Weinkost im Messeschloß.

Zahl der Aussteller hat sich wieder erhöht

Obwohl man auf der Grazer Messe seit Jahren unter Platzmangel lei

det und bereits Wochen im voraus alles ausverkauft ist, hat sich die Zahl der Aussteller auf dem 142.000 Quadratmeter großen Areal gegenüber der Frühjahrsmesse wieder erhöht. Von 1776 Ausstellern kommen 1065 aus Österreich, 711 aus 29 europäischen und überseeischen Ländern. 12 der 29 . Staaten haben daneben noch eine eigene Kollektivausstellung. Die Halle 10, im Frühjahr Ausstellungsraum für die Eisenmesse, ist im Herbst traditionsgemäß „Halle der Nationen“.

Erstmals die Bundesrepublik Deutschland

In der Halle der Nationen ist erstmals die Bundesrepublik Deutschland mit einer Kollektivausstellung des Bundesministeriums für Wirtschaft aus Bonn Unter dem Motto „Heizungstechnik im Haus“ vertreten. Nebenbei wird ebenfalls Fremdenverkehrswerbung für die BRD betrieben. Mit 255 Firmen hat die Bundesrepublik Deutschland überhaupt das stärkste Ausländerkontingent bei der Grazer Südostmesse aufzuweisen. In der Direktion der Grazer Messe argumentiert man, dieses große Kontingent aus Deutschland sei nicht nur auf die Tatsache zurückzuführen, daß man in Deutschland die Grazer Südostmesse als interessante Basis im Südostteil des deutschen Sprachgebietes schätze, sondern vor allem darauf, daß im Rahmen der großen Exportoffensive der Bundesrepublik man hier auch den östlichen und südöstlichen Markt Europas stärker erreichen wolle. Hatte die Bundesrepublik Deutschland bis zum zweiten Weltkrieg in die Oststaaten 20 Prozent exportiert, so hat der deutsche Außenhandel derzeit nur rund fünf Prozent seines Volumens an die Oststaaten bringen können.

Konjunkturaufschwung hob Interesse

Der nach der vorjährigen Rezession auch in Österreich wieder eingetretene Konjunkturaufschwung hob natürlich auch das Interesse der Deutschen am österreichischen Markt, wo man eine noch aufnahmefähige Käuferschicht für die heimischen Produktionsbetriebe wittert.

Ungarn repräsentiert mit einem eigenen Spezialitätenrestaurant; die Sowjetunion versucht ihr Image mit

Volkskunsterzeugnissen aufzubessern. Polen informiert über Brennstoffe. Rumänien wirbt weiter für alle seine auf allen europäischen Messen gezeigten Stilmöbel. Die CSSR zeigt ähnlich wie in Wien hervorragende Leistungen auf dem Sektor der Glas- und Keramikwaren.

Stark vertreten sind auch heuer wieder die Oststaaten

Die Käufer aus dem Osten dagegen — und hier hauptsächlich die Jugoslawen — interessieren sich für Haushaltsmaschinen, Küchengeräte, landwirtschaftliche Maschinen und Industriemaschinen, Uhren, Gold- und Silberschmuck sowie nicht zuletzt auch für Kosmetika.

Bis zu 30 Prozent Überhang verzeichnet die restlos ausverkaufte

Grazer Herbstmesse vor allem auf dem Sektor der Baumesse. Stellt sie doch als einzige derartige Messeveranstaltung im südosteuropäischen Raum prominente Aussteller aus acht Staaten sowie bekannte Unternehmen der heimischen Baumaschinen und Baustoffindustrie auf einer rund 15.000 Quadratmeter großen — damit eigentlich viel zu kleinen — Ausstellungsfläche vor. Die Grazer Baumesse zeige ein universelles Angebot, sagten Fachleute, und obwohl die Bauwirtschaft derzeit über Auftragsmangel und Krise jammert, rechnet man hier auf der Grazer Messe mit einer Belebung des krisenbeschatteten Marktes und damit auch des Geschäftes bei der Baumesse.

Auf dem landwirtschaftlichen Sektor ist ebenfalls wieder eine große Schau von Maschinen für den Acker-, Obst- und Weinbau sowie für die Stall- und Hauswirtschaft zu sehen. Investitionsmöglichkeiten aller Arten für den bäuerlichen Betrieb stehen somit im Mittelpunkt der Landwirtschaftsausstellung auf der Grazer Herbstmesse.

Das echte Reitergefühl

Eine große Jubiläumspferdeausstellung ergänzt auf dem landwirtschaftlichen Sektor diesmal das Angebot. Der steiermärkische

Pferdezuchtverband veranstaltete diese Schau erstmalig nach langjähriger Unterbrechung. Rund 100 Pferde, vom Noriker über den Haflinger und Traber bis zum Pony, sollen einen Querschnitt durch den Stand der steirischen Pferdezucht geben. Reitergruppen, die am Wochenende Vorführungen zeigten, zählten ebenso wie Ponys, auf denen Kinder reiten konnten, zu den großen Attraktionen der diesjährigen Grazer Messe.

Fremdenboom macht sich bemerkbar

Ebenso macht sich auch der heuer erfolgte Aufschwung auf dem Sektor Fremdenverkehr stärker bemerkbar, und die zehn Prozent höheren Einnahmen des ersten Halbjahres 1968 wirkten sich bereits in den

ersten Tagen der Grazer Herbst-

messe dahingehend aus, daß das Interesse an Gasthauseinrichtungen, Küchenmaschinen und -anlagen, Möbel für den Fremdenverkehrsbetrieb und ähnlichem zunahm.

Überhaupt scheint Österreich derzeit von der dritten Einrichtungswelle nach dem zweiten Weltkrieg erfaßt zu werden. Denn die Nachfrage in der Monstermöbelschau der Grazer Herbstmesse, die heuer um 200 Quadratmeter erweitert wurde, vor allem nach Gebrauchs- und Stilmöbeln war enorm. Vor allem Speisezimmer-, Wohnzimmer- und Schlafzimmereinrichtungen, aber auch Accessoires, wie Spiegel, neue Beleuchtungskörper, Teppiche und Vorhänge, zählten zu den gefragtesten Gegenständen der Grazer Herbstmesse.

Über wenig Interesse konnten sich aber auch die übrigen Teile der Grazer Messe nicht beklagen. Weder die Sonderausstellung für das Kind mit einer eigenen Schau „Kind und Schule“, schon gar nicht die Ausstellung von Uhren, Gold- und Silberschmuck und die Kosmetiksonderschau. Und auch bei den Modeschauen und im Pelzsalon fand man Interessenten aus Jugoslawien dicht gedrängt neben österreichischen Besuchern. Ja sogar die von den österreichischen Stickstoffwerken gestaltete Sonderausstellung „Chemie braucht jeder" wurde von Besuchern viel frequentiert.

Gastronomische Spezialitäten

Wer nach einem langen Messebummel müde geworden war, erholte sich entweder im ungarischen Restaurant oder in der französischen Schneckenbar, wo neben Champagner, französischen Weinen und Spirituosen auch Austern aus der Bretagne genossen werden konnten.

Die Grazer Südostmesse ist noch keineswegs am Ende ihrer Expansion angelangt. Schon heute plant man weitere Grundstückkäufe zur Erweiterung des Geländes, und das größte Bauvorhaben der Grazer Messe mit einem Kostenpunkt von 140 Millionen Schilling, die Errichtung einer Großhalle mit 10.000 Quadratmeter, ist bereits ziemlich weit gediehen. Dieser Mehrzweckbau soll nicht nur für Ausstellungszwecke, sondern auch für die Abhaltung von Kongressen geeignet sein. In mehreren Etappen wird der Bau fertiggestellt. Bis zum Frühjahr 1969 wird man jedenfalls schon den ersten Teil der Halle für Ausstellungszwecke zur Verfügung haben.

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