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Daß es ihn geben soll, ist unbestritten, aber wie soll er aussehen, der steirische herbst?

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Der „steirische herbst“ hat, wie jeder Herbst, beinahe unmerklich begonnen. Ziemlich bald nach dem Zweiten Weltkrieg waren, dem neuen Trend zu Festspielen folgend und von den Engländern befürwortet, die in ihrer Besatzungszone auch so etwas Schönes haben wollten wie die Amerikaner in Salzburg, die „Grazer Sommerspiele“ gegründet worden, die anfangs sogar noch „Grazer Festspiele“ geheißen hatten. Sie konnten weder so recht leben noch sterben, zogen vor allem nicht die erhofften Fremden an. Dann hatte eine vorbildliche Ausstellung an jene Zeit erinnert, da Graz durch die Zufälle habsburgischer Erbfolge und Erbteilungen zur Haupt- und Residenzstadt Innerösterreichs geworden war, ein knappes halbes Jahrhundert übrigens nur.

Folge dieser Erinnerungen war „Tri-gon“, eine „Dreiländerbiennale“, die einen Überblick über die Entwicklung der bildenden Künste in eben diesem Raum des ehemaligen Innerösterreich geben' sollte und deshalb auf Österreich, Italien und Jugoslawien be schränkt war. Zuletzt sollte die „Steirische Akademie“, eine Vortragsveranstaltung, die alljährlich bekannte Gelehrte, Politiker, Künstler und Publizisten nach Graz brachte, die Steiermark als „Land der Begegnung“ ausweisen. Vor jetzt etwas mehr als zehn Jahren wurden diese drei Komplexe zu einem großen vereinigt: eben den „steiri-schen herbst“.

Dabei berief man sich ausdrücklich darauf, daß dieser steirische Herbst durch die heimatliche Dichtung zu einer „Qualitätsmarke“ geworden sei. Tatsächlich war diese heimatliche Dichtung, so weit sie über die Grenzen des Landes hinaus Bedeutung gewonnen hatte - Max Meli, Franz Nabl - anfangs noch im „steirischen herbst“ vertreten. Dieser sollte ebenso die Leistungen des Landes präsentieren wie dieses Land mit den Entwicklungen und Strömungen jenseits seiner Grenzen bekannt machen.

Das Motto der „Steirischen Akademie“, die Steiermark als „Land der Begegnung“, wirkte in diesen Vorstellungen noch nach. Wo immer der „steirische herbst“ diesen ersten Grundgedanken noch treu blieb, war er unbestritten. Zu seinen größten Publikumserfolgen zählten zum Beispiel die Personalausstellungen bedeutender Alter wie etwa Silberbauer. Wo man von diesen Grundgedanken abging, begann das Zweifelhafte eher als das viel zitierte „Wagnis“. Die in einem Anfall von Profilneurose vorgenommene Beschränkung auf die „Avantgarde“ brachte die endgültige Wende zum Schlechteren.

Auch so mancher Verantwortliche für dieses „Festival der Avantgarde“ ist sich darüber klar, daß sich diese für mindestens einige, Zeit erschöpft hat, daß sie nicht mehr so fruchtbar ist, jedes Jahr ein ganzes Festival bestreiten zu können.. So mußte man, da das „Avantgardistische“ nun einmal das erste Kriterium war, auf das weit wichtigere des Niveaus und der Qualität weithin verzichten. Trotzdem mußte man sich von Seiten meist bundesdeutscher Kritiker die mit malitiösem Lächeln nebenbei hingeworfene Bemerkung, das oder jenes, was da mit viel Geschrei angeboten wurde, „sei ja gar nicht mehr avantgardistisch“ - so zum Beispiel Claus Henning Bachmann über Wolfgang Bauers „Gespenster“ -immer wieder gefallen lassen. Trotzdem weicht man jeder Definierung des Wortes „Avantgarde“ peinlich aus, wie denn überhaupt das Aufhören der Debatten um den „steirischen herbst“ zu den beklemmendsten Zeichen für seine endliche Sterilität zählt.

Man beruft sich auf steigende Besucherzahlen, die erst in den letzten Jahren von bis dahin ziemlich stabilen 50.000 auf mehr als 70.000 angewachsen seien. Aber erstens handelt es sich dabei natürlich nicht um „Besucher“, sondern um „Besuche“, die natürlich mit der Zahl der Veranstaltungen zunehmen. Zweitens geht der Löwenanteil dieser Steigerung auf die vor einigen Jahren erfolgte Gründung des „open house“ zurück, das sich hauptsächlich an die Jugend wendet und diese durch ein sehr vielfältiges, zuweilen auch aggressives, manchmal ideologisch eingefärbtes Programm in der Tat erreicht. Doch: mindestens die Hälfte dieser Veranstaltungen sind alles eher als „avantgardistisch“. Fremde sonder Zahl lockt übrigens alles Bemühen um die Avantgarde auch nicht an.

Doch auch als Information der Einheimischen, als Begegnung des Landes mit internationalen Erscheinungen und Strömungen hat der „steirische herbst“ seinen Sinn. Als faszinierendste dieser Begegnungen ist mir die „Steirische Akademie“ 1977 in Erinnerung, als unter dem Generalthema „Gesundheit“ die Verkünder einer neuen Vererbungslehre den noch dominierenden Vertretern der Umwelttheorie gegenüberstanden. Es war der größte Publikumserfolg einer wissenschaftlichen Veranstaltungsreihe seit Jahrzehnten, eine Auseinandersetzung von brennendem, aktuellstem Interesse. Sie war, denkt man an die Stimmung, die bei den Vorträgen etwa von Viktor E. Frankl oder Elisabeth Kübler-Ross herrschte, durchaus ein „Festival“. Sie hatte nur einen Fehler: sie war nicht avantgardistisch. Hingegen ist, um nur ein Beispiel zu nennen, „Trigon“ seit Jahren zwar vielleicht avantgardistisch, aber weder ein Fest, noch auch nur von geringstem Interesse.

Wer nicht monoman oder verbohrt überlebten Ideen nachhängt - und die Avantgarde hat sich überlebt - der könnte aus dieser einwandfreien Gegenüberstellung erkennen, wo ein Weg für den „steirischen herbst“ weiterführt. Daß er bestehen bleiben müsse, darüber sind sich alle einig.

Kein Zweifel, der „steirische herbst“ ist in den zehn Jahren, seit Hanns Koren ihn begründet hat, zu einem äußerst wichtigen Forum der Gegenwartskunst geworden. Vieles, was man das übrige Jahr hindurch in der kommerziell orientierten Routine des österreichischen Kulturalltages vergeblich sucht, wird im „steirischen herbst“ nachgereicht. Das „Musikprotokoll“, die „Trigon“-Ausstel-lungen, die Literatur-Symposien sind längst zu international beachteten Faktoren dieser alljährlichen steirischen Dokumentation der internationalen Moderne geworden.

Dies alles ist jedoch trotz der organisatorischen Struktur des „steirischen herbstes“ gelungen und nicht wegen dieser. Die Erfolge und die Präsenz dieser steirischen Kultur-Jahreszeit zählen zu jenen österreichischen Wundern, die der Idealismus einiger weniger allen widrigen Milieubedingungen zum Trotz zustandebringt.

Und das Milieu, in dem dieser „steirische herbst“ sich alljährlich zu ereignen hat, ist äußerst unwirtlich. Ich denke da weniger an die immer wieder bedauerte konservative Grundeinstellung des steirischen Kunstpublikums, ich denke da vor allem an die finanziellen und organisatorischen Bedingungen, unter denen diese Veranstaltungen geplant und durchgeführt werden müssen.

Obwohl heute schon jedem Winkelagenten, der Kunst und Künstler vermittelt, klar ist, daß Spitzenkräfte, in welcher Sparte sie auch tätig sein mögen, mindestens zwei bis drei Jahre im voraus verpflichtet werden müssen, lebt man in Graz zum überwiegenden Teil noch von der Hand in den Mund. Dies vor allem deshalb, weil Bund, Stadt und Land die Budgetierung des „steirischen herbstes“ jährlich neu beschließen müssen und weil sich eben jeder Veranstalter hütet, durch langfristige Vertragsabschlüsse finanzielle

Verpflichtungen einzugehen, die er dann am Ende nicht einhalten kann.

Weiters wird die Planungstätigkeit für den „steirischen herbst“ durch dessen Struktur erheblich erschwert. Für die diversen Veranstaltungen zeichnet nämlich in deren wesentlichen Punkten nicht das immerhin sechsköpfige Beamten-Team im Büro des „steirischen herbstes“ verantwortlich, sondern ein vierköpfiges Direktorium. Dieses Direktorium wieder setzt sich aus den Leitern der wichtigsten steirischen Kulturinstitutionen - Vereinigte Bühnen Graz, ORF-Studio Steiermark, Neue Galerie, Forum Stadtpark - zusammen.

Besagte Institutionen bringen in das Programm des „steirischen herbstes“ die von ihnen überwiegend autonom geplanten und selbst organisierten Hauptblöcke wie „Trigon“, „Musik-protokoll“, Literatursymposium, Schauspiel- und Opernpremieren ein.

Das personell reich ausgestattete Büro des „steirischen herbstes“ veranstaltet in der Hauptsache das „Open House“.

So organisieren an diesem „steirischen herbst“ mindestens fünf Institutionen frisch fröhlich nebeneinander her. Daß es da immer wieder zu peinlichen Termin-Kollisionen kommt, daß da organisatorisches Potential üppig vergeudet wird, liegt auf der Hand.

So kommt es, daß die für die gute Sache des „steirischen herbstes“ ohnedies zu karg bemessenen Mittel, durch den Zwang zu kurzfristiger Planung und durch immer wieder auftretende schwere Koordinierungsmängel nicht einmal optimal genützt werden können.

Warum dies so sein muß, weiß keiner.

Zum Glück wissen aber alle, die es angeht, daß es den „steirischen herbst“ geben soll.

Und so gibt es ihn eben. Trotzdem.

Neue Theaterstücke, so solche überhaupt auf deutschsprachigen Bühnen auftauchen, beschäftigen sich zunehmend mit den privaten Miseren jener Gesellschaft, die diese Theaterstücke konsumiert: Mit den intellektuellen Wehwehchen des gehobenen Mittelstandes. Die zeitgenössische Musik verzeichnet als vorherrschenden Trend die Abkehr von allem, was in den vergangenen beiden Jahrzehnten in Donaueschingen und Darmstadt so heiß diskutiert, so eifrig gepflegt wurde. Nicht mehr die serielle, postserielle oder aleatorische Phase ist es, nicht mehr das abstrakte Materialspiel, sondern die Schaffung von Klangräumen herrscht vor, deren deklarierte Absicht es ist, sinnlich, schön zu sein. Und die bildende Kunst hat sich schon seit längerem aufgemacht, entweder neue Wirklichkeiten, oder phantastische Realitä-

ten, oder überdimensionierte Realitätsausschnitte abzubilden. Und dann gibt es noch, jenseits konventioneller Einteilung in die guten alten Kunstsparten, vor allem aus den USA importiert, die Performance-Künste mit all ihren Spielarten. ,

Dieser (sicher einengenden, sicher unvollständigen) Katalogisierung, der noch die Literatur mitsamt ihrem Innerlichkeits-Trip beizufügen ist, diesem Ist-Zustand unseres zeitgenössischen Kulturlebens steht ein Festival gegenüber, das es sich seit über zehn Jahren zur Aufgabe gemacht hat, aktuelle zeitgenössische Kunst aller Sparten zu präsentieren, eigene, heimische Produktion den internationalen Standards gegenüberzustellen, damit zur Diskussion anzuregen, das heimische Geistesleben zu befruchten: Das einzige österreichische Festival, das sich ausschließlich der Gegenwart widmen möchte, der „steirische herbst“.

Dem Ist-Zustand der Künste und der Kunst-Diskussion steht ein anderer Ist-Zustand gegenüber: Jener der kulturpolitischen Situation der Steiermark, die bestimmend ist für die Programmierung, auch wenn man sich den Anspruch der Internationalität umhängt, auch wenn man sich bewußt ist, daß dieser „steirische herbst“ österreichisches Unikum ist und daher ein - gesamtösterreichisches Anliegen sein sollte. Als im achten „steirischen herbst“ die Blut- und Boden-Reaktion sich aufmachte, unter dem Vorwand einiger moralgefährdender blanker Busen im Grazer Schauspielhaus (anläßlich der Premiere von Wolfgang Bauers „Gespenster“) gegen den „steirischen herbst“ Stürm zu laufen, da re^ signierte damals Hanns Koren, Präsident, Schöpfer und geistiger Motor nicht nur des „steirischen herbstes“. Die Politiker zogen sich in ein Präsidium zurück, einer Art Auf sichtsrat, in dem man die Verantwortung für die Programmgestaltung los war, in dem man aber sehr wohl, sollte es wieder einmal brenzlig werden, auf dem Umweg über die Finanzierungsfrage Unbeliebtes verhindern kann. \ JicadußhU n/s . ■wimx.-.jjcMl-AiiS.

Die Programmhoheit liegt seitdem in den Händen eines Direktoriums, das sich aus vier ehrenwerten Männern zusammensetzt, die auch sonst das ganze Jahr über wesentlich die kulturelle Szenerie der Steiermark bestimmen. Und diese haben längst herausbekommen, wozu der „steirische herbst“ am besten geeignet ist: Man kann unter diesem Titel zusätzlich kräftige Finanzspritzen bekommen. Man macht nicht viel anderes als das ganze Jahr über, aber man hat mehr zum Investieren. Wenn im kommenden Herbst der Leiter der Grazer Neuen Galerie, Skreiner, Peisonalausstellungen Mar-cello Morandini und Hans Hollein widmet, dann bleibt nur die Feststellung, daß hier sicher hohes Niveau gewährleistet ist, aber der Innovationswert gering bleibt, da ähnliche Ausstellungen das ganze Jahr über in Graz zu sehen sind. Das Gleiche gilt für das landeshauptstadt-eigene Kulturhaus: Fritz Wotruba und Bruno Gironcoli sind in der Kunstszene nicht erst zu entdeckende Größen.

Jene vorsichtige Programmierung kennzeichnet auch die Vereinigten Bühnen: Intendant Nemeth, auch einer der „herbsf'-Direktoren, bringt heuer wieder ein Stück von Gerhard Roth heraus (das in seiner Privatheit durchaus der gesamten Theatertendenz entspricht) und die Oper eines Kompositionsprofessors an der Grazer Musikhochschule, dessen Werke bislang durch ihre unbedarfte Tonalität auffielen: aber das ist ja auch „in“. Und das Musikprotokoll wird in diesem Jahr so tun, als wäre Alexander Skrjabin ein Komponist, den man erst ausgraben müsse.

Die zeitgenössische Kunst also auf dem Rückzug? Selten haben sich die internationalen Trends so gefällig und angenehm unprovozierend den vor allem um Ruhe bemühten Verantwortlichen des „herbstes“ angeboten. Wie es um die Qualtität dann im einzelnen stehen wird, bleibt vorläufig noch offen. Bleibt übrigens noch das Schwerpunktprogramm „Nonverbales Theater“. Was sich dort tun wird, ist noch nicht offiziell. Immerhin wenigstens ein Grund auf den nächsten „steirischen herbst“ neugierig zu sein.

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