Steirischer Herbst und Sturm Graz

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Peter Oswald, Intendant des "steirischen herbstes", über das Zeitlose und das Aktuelle des diesjährigen Leitthemas "Fremdkörper", über "herbst"-Nostalgiker und die notwendige Neupositionierung von Graz sowie die Pläne für das Kulturhauptstadtjahr 2003.

Die Furche: Herr Oswald, Sie sind seit 2000 Intendant des steirischen herbstes. Was sind Ihre Ziele, was bedeutet der herbst für Sie?

Peter Oswald: Der steirische herbst ist für mich, erstens, eine notwendige, unverzichtbare Plattform für eine zweite Moderne, die sich den großen heroischen Avantgarden verpflichtet weiß. Zweitens hat der herbst die Chance, dass er aufgrund seiner Definition als Mehrspartenfestival Querverbindungen zwischen Sparten herstellen kann, die normalerweise unter den Tisch fallen: zwischen Musik, Literatur, Architektur, Bildender Kunst, Tanztheater, Schauspiel usw. Ein ganz essenzieller Punkt ist für mich, dass nach Jahren der inhaltlichen Resignation, des anything goes der Postmoderne jetzt doch wieder eine Moderne antritt, die sich verstärkt einer inhaltlichen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit stellt: ob das jetzt Exklusionsmechanismen sind, ob das Rassismus ist, ob das Globalisierungsfragen oder Fragen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in seiner ganzen Ambivalenz sind - dem wollen wir auch eine entsprechende Plattform geben.

Die Furche: Womit wir beim diesjährigen Thema sind: "Fremdkörper". Wie wird denn dieses Thema angegangen?

Oswald: Neue Kunst wurde von der Gesellschaft immer schon als Fremdkörper identifiziert, auch ausgegrenzt, neue Kunst musste sich immer wieder in der Reibung mit dem Etablierten behaupten, sie konnte also nicht im Affirmativen aufgehen und hat von daher ihr notwendiges Widerstandspotenzial bezogen. Dazu kommt, dass die Thematisierung des Fremden durch Rechtspopulisten, durch rassistische Strömungen in den letzten Jahren unglaublich an Brisanz gewonnen hat. Aus diesen beiden Komponenten ergab sich für uns der Ansatzpunkt zu sagen: Wir akzentuieren dieses Thema, wir geben ihm einen großen inhaltlich-künstlerischen Platz.

Die Furche: Der steirische herbst war ja in Graz, in der Steiermark oft auch ein Fremdkörper. Ist Graz eigentlich ein guter Ort, um das zu unternehmen, was sie vorhaben?

Oswald: Hier hat sich die gesellschaftspolitische Situation sehr stark verändert. Auf der einen Seite ist Graz ein guter Ort, auf der anderen Seite ist Graz nicht mehr der Ort, wo Sie mit einer Präsentation eines neuen Inhalts per se schon Aufmerksamkeit erreichen, wie das noch vor 15 oder 20 Jahren der Fall war. Es gibt ja oft diese retrospektiven Beteuerungen, früher sei der steirische herbst provokant gewesen, früher habe er die Leute zur Weißglut getrieben usw. Dazu ist zu sagen, dass es in Wirklichkeit nur vier oder fünf Mal wirklich zu einem Skandal gekommen ist - und dass solche Behauptungen auch von einem falschen Skandalbegriff ausgehen, denn nur den Skandal um des Skandals willen zu erregen, wäre zu wenig. Außerdem hat sich die Situation in den letzten Jahren massiv verändert. Es gibt einen Paradigmenwechsel in den Metropolen: Es hat sich Wien in kulturpolitischer Hinsicht wahnsinnig verändert, es hat sich Ljubljana stark verändert - und in diesem Spannungsfeld muss sich Graz heute behaupten. Das ist auf jeden Fall schwieriger, als vor 10, 15 oder gar 20 Jahren. Ich kann das deswegen beurteilen, weil ich vor 12 Jahren hier ein Festival gemacht habe, das musikprotokoll, und weil ich von daher die gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen schon kenne.

Die Furche: Ist die Gesellschaft jetzt toleranter geworden oder gleichgültiger?

Oswald: Gleichgültiger!

Die Furche: Aber das Festival ist nicht braver geworden?

Oswald: Das Festival ist auf keinen Fall braver geworden. Die Gesellschaft ist insgesamt gleichgültiger geworden und die Schwelle, ab der Sie die Gesellschaft wirklich reizen können - auch wenn das jetzt nicht das vordringlichste Ziel ist -, die ist natürlich höher geworden. Und das ist ein Problem, mit dem sich alle Kunstschaffenden, alle Kulturproduzierenden auseinandersetzen müssen.

Die Furche: Wie funktioniert denn der Austausch des Festivals mit der gesamtsteirischen Kulturszene?

Oswald: Das ist ein sehr guter Austausch. Wir haben sowohl in der Bildenden Kunst als auch im Schauspiel zu sehr vielen Institutionen sehr gute Kontakte: zu Deutschlandsberg - die machen seit Jahren exzellente Politik, da habe ich mich überzeugen können, das ist wirklich toll, was dort mit Jugendlichen passiert, das ist für mich das, was man als elementare Jugendarbeit definieren kann; Mürzzuschlag macht in einer nicht einfachen, aber gesellschaftspolitisch sehr wichtigen Region ein sehr interessantes Mehrspartenprogramm in den Bereichen Bildende Kunst, Schauspiel, Musik, das ich für unverzichtbar halte. Das wären die zwei wichtigsten Orte, bei denen sich durch Jahre hindurch eine große Kontinuität entwickelt hat, die sehr stark in die Region hineinwirkt, wobei man nicht in der Region produziert, um in Wirklichkeit international zu punkten, sondern um in der Region etwas zu verändern und damit im Idealfall vielleicht internationale Aufmerksamkeit zu erregen.

Die Furche: Und mit der österreichweiten und internationalen Ausstrahlung des herbstes sind Sie zufrieden?

Oswald: Damit bin ich im letzten Jahr zufrieden und im vorletzten Jahr sehr zufrieden gewesen. Wir haben vorletztes Jahr eine Resonanz gehabt, die war von den überregionalen Medien her so groß wie die von Sturm Graz - das waren die beiden meistgenannten Institutionen. Bei uns war es halt die Neue Zürcher Zeitung oder die New York Times, bei Sturm Graz war es die Bild-Zeitung - mit unterschiedlichen Gewichtungen. Ich glaube, bei der Bild-Zeitung war es 17:0 für Sturm Graz, bei der Neuen Zürcher Zeitung war es 33:2 für den steirischen herbst. Letztes Jahr war durch den 11. September die Aufmerksamkeit gut, aber natürlich nicht sehr gut. Das haben wir klar zu spüren bekommen und das ist auch verständlich.

Die Furche: Wie wird sich der herbst in die Kulturhauptstadt Graz im Jahr 2003 einklinken?

Oswald: Sehr stark. Wir planen einen ganz großen szenischen Schwerpunkt zusammen, der wird mit Graz 2003 koproduziert; das ermöglicht uns Produktionen, die wir sonst nicht machen könnten. Und das kann ich jetzt einmal verraten: Wir werden - wenn ich ein großes Wort wagen darf - eine Hauptstadt des neuen Musiktheaters sein: mit einem neuen Stück von Beat Furrer, mit einem visionären, für mich unglaublich mutigen und musikalisch phänomenalen Werk von Bernhard Lang, "Theater der Wiederholungen" - beides wird mit der Ruhrtriennale von Gerard Mortier koproduziert - , und mit dem neuen Musiktheater von Olga Neuwirth, "Lost Highway". Ich glaube, das ist eine Trias, die sich weltweit wird sehen lassen können.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

steirisc[:her:]bst 2002

24. Oktober bis 24. November

Thema "Fremdkörper"

www.steirischerbst.at

info@steirischerbst.at

0316-81 60 70

Anwalt einer Zeitgenossenschaft der Kunst

Peter Oswald, 1953 in Hohenems (Vorarlberg) geboren, ist seit 2000 Intendant des Avantgarde-Festivals steirischer herbst. Er folgte in dieser Funktion auf Christine Frisinghelli, die Herausgeberin der Fotografie-Zeitschrift camera austria; sein Vertrag, der ursprünglich bis 2004 lief, wurde eben bis 2007 verlängert. Oswald studierte in Wien Pharmazie sowie Theater- und Musikwissenschaft; ab 1984 leitete er die Promotionsabteilung der Universal-Edition und betreute in diesem Zusammenhang unter anderem Pierre Boulez, Luciano Berio, Rolf Liebermann, Wolfgang Rihm, Beat Furrer und Friedrich Cerha. 1987 wurde Oswald Musikreferent der Wiener Festwochen. 1989 führte ihn sein Weg in die Steiermark, wo er die Leitung der ORF-Musikabteilung übernahm. Bis 1991 zeichnete er auch für das musikprotokoll verantwortlich, ehe er nach Wien zurückging. Dort agierte er bis 1992 als Fernseh-Musikchef des ORF, wo er unter anderem mit der Entwicklung neuer Sendeformen und -formate beschäftigt war. Als Geschäftsführer des Klangforum Wien, von 1993 bis 2000, baute er den Klangkörper kontinuierlich aus: Hatte das Orchester vor seinem Eintritt noch 2,5 Millionen Schilling Budget und zehn Auftritte im Jahr, so konnte Oswald zuletzt über 35,5 Millionen Schilling verfügen und organisierte 75 Auftritte pro Jahr.

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