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Ziel und Zweck

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Ich möchte an dieser kulturpolitisch so wichtigen Stelle keineswegs die Gedanken und Perspektiven wiederholen, welche voriges Jahr anläßlich der Beendigung des ersten Dezenniums der Festwochen in der Zweiten Republik nicht nur von mir, sondern auch von anderer berufener Seite aufgezeigt worden sind. Daher soll heute nicht über die Geschichte deT Wiener Festwochen gesprochen werden, nicht über Genesis und Entwicklung, sondern vielmehr über Ziel und Zweck dieser Festwochen und damit über die Zukunft.

Es ist kein Zweifel, daß in Europa eine allgemeine Inflation an Festspielen und Festwochen ausgebrochen ist. Jede Stadt fast hat den Ehrgeiz, irgendein Festival zu veranstalten, und oft gründet sich dieser nicht nur auf kulturelle Aspekte, sondern er wird auch oft von rein wirtschaftlichen Momenten und vor allem vom Fremdenverkehr genährt. Das ist an sich begreiflich, aber es liegt in diesen Tendenzen auch eine große Gefahr. Da nun einmal nur eine beschränkte Anzahl hervorragender und international anerkannter Künstler, Orchester und Ensembles zur Verfügung stehen, jede Festspielstadt aber den Ehrgeiz hat, zu übertrumpfen, um nicht selbst übertrumpft zu werden, so entwik- kelt sich eine gewisse Uniformierung der Festspiele beziehungsweise der Festwochen, und gerade das ist der Anfang vom Ende des echten und wahren Festspielgedankens. Es ist selbstverständlich, daß das Ungesunde und Pleonastische mit der Zeit abgestoßen wird nach den alten Gesetzen der Selektion in dieser Welt. Aber um so mehr haben jene Städte, welche durch ihre Tradition, durch ihre besondere Aufgabe oder Idee berufen und verpflichtet erscheinen, Besonderes in der Kunst zu leisten, auch die heilige Verpflichtung, .nicht nur routinemäßig die besten Stars, Orchester, Ausstellungen und dergleichen wahllos zusammenzustellen, womit die Gefahr eines Jahrmarktes drohen würde, sondern sie haben Besonderes zu schaffen, vor allem aber auch Neues, und auf diese Weise den Festspielgedanken zu rechtfertigen. Wir waren uns seit einigen Jahren der Tatsache bewußt, daß es für Wien, das ja jahraus und jahrein hervorragende theatralische und musikalische Darbietungen aufzuweisen hat, nicht genügen könne, nur eine gewisse Steigerung und Konzentration während der Wiener Festwochen sozusagen als Höhepunkt der Saison zu eneichen.

Es ist das nicht nur ein Problem Wiens, sondern jeder Großstadt, die Festivals veranstaltet, bei denen die eigenen Orchester, Theater, Kon- zertvereinigungen, Verbände der bildenden Künste usw. zur Mitwirkung aufgerufen werden.

Solchen Festspielen oder Festwochen müßte von Mal zu Mal eine Grundidee gegeben werden, der sich alle mitwirkenden Institutionen unterzuordnen hätten. Dazu ist es notwendig, Experimente zu wagen, selbst auf die Gefahr hin, daß das eine oder andere auch einmal danebengelingt.

Ich verweise hier besonders in den heurigen Festwochen auf die Aufführung der Gurrelieder von Arnold Schönberg in der Stadthalle, womit das Experiment gewagt wird, der seriösen Musik die Stadthalle zu erobern. Damit soll keineswegs der Irrweg beschritten werden, daß die tausendfach bewährten und traditionsgesättigten Konzertsäle Wiens zurückgedrängt werden. Kein vernünftiger Mensch würde die Neunte Beethovens oder die Achte Bruckners in der Stadthalle aufführen wollen. Diese Werke gehören in den Musikverein oder in das Konzerthaus. Aber gerade solche Werke, die infolge besonderer Ansprüche an Orchester, Chor und dergleichen im normalen Konzertbetrieb schwer unterzubringen sind, Werke, für welche auch in der vorgeschriebenen Aufführung Klangkörper auf- geboten werden müssen, die den Rahmen unserer Konzertsäle etwa sprengen, müssen aus der Routine herausgenommen werden und in den Rahmen der Festwochen gestellt werden. Dies ist der Grund, aus dem heuer die Gurrelieder in der Stadthalle aufgeführt wurden. Zugleich soll dieses Werk auch, im Gegensatz zu der Welturaufführung des Oratoriums „Die Jakobsleiter“ von Arnold Schönberg, den historischen Werdegang dieses großen Österreichers demonstrieren.

Die Aufführung der „Graner Festmesse“ von Franz Liszt in einer normalen Kirche in der liturgischen Form eines Pontifikalamtes ist kaum möglich, weswegen hier auch der Weg in die Stadthalle eingeschlagen wurde. Ich möchte nebenbei bemerken, daß diese Idee unabhängig von meinen seinerzeitigen Bemühungen um die Akustik deT Stadthalle von Herrn Intendanten Dr. Hilbert stammt und sich mit meinen Auffassungen über die Heranziehung dieses neuen Hallenkomplexes durchaus deckt.

Aber unabhängig von der „Jakobsleiter“ werden auch sonst interessante Werke der neuen und neuesten Musikliteratur gerade bei den Festwochen dargeboten werden. Dies mag nicht immer eine sehr dankbare Aufgabe sein und sicher wird der Zuspruch von vornherein geringer sein als bei einer Beethoven- oder Brahms-Symphoniet Aber hier ist der Weg des Experiments berechtigt, vielmehr sogar verpflichtend. Ein Durchblättern des Programms der Wiener Festwochen 1961 zeigt, wieviel Modernes und Neues geboten wird. Wir müssen der Konzerthausgesellschaft und ihrem rührigen Generalsekretär Dr. Seefehlner aufrichtig danken, daß sie durch ihre „Internationalen Musikfeste“ in zäher, mühevoller und oft nicht bedankter Arbeit „der Moderne“ auch in der Musik in Wien zum Durchbruch verhalfen. Gerade das „X. Internationale Musikfest“ scheint mir gegebener Anlaß zu sein, diesen Dank auch auszusprechen.

Es wurde in den letzten Jahren wiederholt kritisch bemerkt — und dies nicht ganz zu Unrecht —, daß es den Wiener Theatern zu den Festwochen an einem Konzept fehle und daß auf dem Gebiet des Sprechtheaters die Wiener der Meinung Ausdruck verliehen, daß man gerade in Wien und gerade zu den Festwochen eigentlich europäisches Theater machen sollte. Ich erinnere mich genau, wie diese Ankündigung bei einer Pressekonferenz mit manch ungläubigem Lächeln quittiert wurde, ja wie manche Kommentare sich die Bemerkung nicht versagen konnten, man spiele ja sowieso jahraus und jahrein europäisches Theater. Wenn wir aber heuer den Zyklus „Die Idee der Freiheit im Drama“ in seiner Durchführung näher betrachten, dann sehen wir, daß durch diesen Zyklus nicht nui eine gewisse Einheitlichkeit des Festspielprogramms enreicht werden wird, sondern daß nicht weniger als fünf ausländische repräsentative Bühnen zu uns kommen, und zwar mit Werken aus ihrer nationalen Literatur, aus ihrem Programm, welche in diesem Zyklus ohne künstlerische Konstruktion eingeordnet werden konnten. Diese ausländischen Bühnen kommen in Wien zu Worte und bereichern das dramatische Geschehen in unseren festlichen Wochen. Sie werden ihre Stücke hier zeigen, und wir werden nicht nur Wiener, sondern auch ausländische Bühnen hier sehen und hören kön- ndh. der Festwochen zu ‘erzählen töJklefr; fiuiJP merkeff, Saß ses Wien wieder der europäischen Sendung des Sprechtheaters gerecht werden will und daß hier ein Versuch gemacht wird, der mehr ein will als eine Phrase. Vielleicht wird anfangs auch nicht alles glücken, vielleicht wird nicht jedem Versuch ein Erfolg heschieden sein, aber ein neuer Weg wurde beschriften, der, konsequent gegangen, zu einem fruchtbaren Ziel führen kann.

Wir haben zur Kenntnis genommen, daß die Direktion der Wiener Festwochen für das Jahr 1962 einen Zyklus „Das Volkstheater der europäischen Nationen“ plant. Dieser Zyklus ist entstanden aus der Tatsache, daß wir den hundertsten Todestag des berühmten österreichischen Volksdichters Johann Nestroy begehen. Natürlich wird man während der Wiener Festwochen 1962 Werke dieses Dichters an den Wiener Theatern aufführen. Es wird aber auch interessant sein, andere Volkstheater der europäischen Nationen in Wien zu sehen, zu hören und zu erleben. Daß hierbei die Wiener Festwochen keine geographischen und politischen Grenzen kennen und sich auf kulturellem Wiener Boden West und Ost und Nord und Süd berühren, mag vielleicht eine der großen Aufgaben der Wiener Festwochen sein.

Wenn sich im Jahre 1962 das Theater an der Wien im neuen Glanz und in alter Tradition dem Festwochenpublikum zeigen wird, scheint mir auch das eine wertvolle Bereicherung des Wiener Festspielgedankens zu sein. Ich begrüße hier besonders, daß alle Kräfte dieser Stadt Zusammenwirken werden, daß also die Wiener Staatsoper ebenso wie das Burgtheater ihren Beitrag liefern und das Theater an der Wien nun eine neue Phase seines traditionsreichen Lebens der Theaterstadt Wien schenken wird. Wenn dieses altehrwürdige Gebäude — unteT beträchtlichen finanziellen Opfern vor dem Verfall gerettet — auch nur als Festspielhaus und für die Sommerveranstaltungen zur Verfügung stehen wird, so zeichnen sich doch heute schon interessante Aspekte für die Zukunft ab.

Wenn die Wiener Festwochen vor allem aufgeschlossen dem Neuen und Völkerverbindenden dienen werden, wenn sie das Expariment manchmal an Stelle der Sensation setzen, dann dürfte die Idee der Wiener Festwochen sich von Jahr zu Jahr mehr entwickeln und es werden alle guten und positiven Kräfte dieser Stadt dazu nur „ja“ sagen können. Dann aber wird Wien auch während seiner Festwochensaison als Festspielstadt den Beweis erbracht haben, im Konzert der europäischen Kulturstädte ein wichtiges Instrument zu spielen.

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