„Möglichst etwas Fließendes“

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Mit einer insgesamt musikalisch wie szenisch nur durchschnittlichen Aufführung von „Wozzeck“ starteten die Wiener Festwochen ihre Alban-Berg-Retrospektive. Dass es sich um 100 Minuten fesselndes Musiktheater handeln könnte, wird nicht greifbar. Und das alles inmitten von Diskussionen, welchen Platz die Musik künftig in diesem Festival einnehmen soll …

Begonnen, wie sollte es in der Musikstadt Wien anders sein, hat es mit Musik: Im Mai und Juni 1920 richtete die Stadt Wien ein Musikfest aus. Selbstverständlich unter Beteiligung der besten Musiker der Stadt. Damit auch der Wiener Staatsoper. Das war der Startschuss für die ab 1927 sogenannten, bald um Theateraufführungen erweiterten „Wiener Festwochen“. Die Musik blieb zentrales Anliegen. „Auf allen Plätzen der Stadt wird Musik gemacht, von den ersten Orchestern bis zu den populären Blaskapellen, und die Mailuft ist lau, dann schwärmen die Wiener nächtens durch die Straßen“, fasste in den 1950iger Jahren Hilde Spiel das Besonderes dieses Festivals zusammen.

Scholtens seltsame Ideen

Längst hat sich das Bild gewandelt, geprägt durch die Persönlichkeit der seither an der Spitze stehenden Intendanten. Mittlerweile gibt das Schauspiel den Ton an. So sehr, dass der gegenwärtige Festwochen-Präsident, Ex-Minister Rudolf Scholten, kürzlich überlegte, die Musik überhaupt fallen zu lassen. Zum einen, weil sie auch das Jahr über in Wien so präsent ist. Zum anderen, weil das abwechselnd von der Gesellschaft der Musikfreunde und Wiener Konzerthausgesellschaft ausgerichtete Musikfest kaum mit den Themen der Festwochen etwas zu tun habe.

Beidem lässt sich entgegnen. Zum einen ist Wien eben immer noch eine der Welt-Musikhauptstädte. Zum anderen ist das Programm der Festwochen oft so kurzfristig bekannt, dass es für die Verantwortlichen von Musikverein und Konzerthaus, die jahrelange Vorlaufzeiten benötigen, kaum mehr möglich ist, auf Festwochen-Schwerpunkte zu reagieren. Was, wie heuer, zur Folge hat, dass dem Berg-Schwerpunkt der Festwochen – der Komponist wurde vor 125 Jahren geboren, im Dezember ist sein 75. Todestag – keine Entsprechung beim Musikfest im Musikverein folgt, sich das Konzerthaus mit einigen Hinweisen bescheiden muss.

Oder will man partout die Wiener Festwochen vor allem zu einem Podium ausländischer Interpreten machen? Weil sie sich etwa besser auf Bergs Idiom verstehen? Die erstmals am Wochenende im Theater an der Wien gezeigte „Wozzeck“-Eigenproduktion der Festwochen lieferte dafür nicht die entsprechenden Argumente. Auf einer kahlen, stellenweise von einem roten Mond begleiteten, schwarz ausgekleideten Bühne mit kaum mehr als ein, zwei Sesseln als Requisiten lässt Regisseur Stéphane Braunschweig, hierzulande vor allem durch seinen bei den Salzburger Osterfestspielen gezeigten „Ring“ ein Begriff, die Handlung ablaufen. So distanziert, mit so wenig Gespür für die Psychologie der Protagonisten und ihr unterschiedliches Verhältnis zueinander, dass sich weder spannende Unmittelbarkeit einstellt noch die Dramatik des Stoffs deutlich wird. Er wolle, wird er im Programmheft zitiert, „dem Werk möglichst etwas Fließendes“ geben, den Fokus auf die Musik lenken. Die freilich ist alles andere als konturenlos.

Das macht selbst Daniel Harding am Pult des engagiert, wenn auch unterschiedlich differenziert aufspielenden Mahler Chamber Orchestra deutlich. Auch wenn er sich mehr auf die plakativen Momente der Partitur konzentriert, mit zu wenig Feingefühl den raffinierten Harmonien nachspürt, die zuweilen wie zufällig nebeneinander gestellt erscheinen und nicht nach einem ausgeklügelten Konzept aneinandergereiht. Dass es sich um 100 Minuten spannendes, ja aufregendes Musiktheater handelt, um einen bis heute aktuellen Stoff, vermag Harding mit seinem Konzept nicht deutlich zu machen. Hier hätte es einer vertiefteren Auseinandersetzung bedurft.

Packender Protagonist

Georg Nigl, mit dieser Rolle bereits an weltberühmten Opernhäusern zu Gast, gibt einen packenden Wozzeck, der unter einem feinfühligeren Dirigat gewiss noch mehr Facetten gezeigt hätte. Angela Denoke präsentiert sich als vokal untadelige, emotional zu distanzierte, damit ihr Schicksal zu wenig prägnant zeichnende Marie. Vorzüglich Wolfgang Bankl (Doktor), Volker Vogel (Tambourmajor), Heinz Zednik (Narr) und die ebenso deklamationsklare Magdalena Anna Hofmann als Margret. Unauffällig die übrigen Protagonisten. Auf dem gewohnt hohen Niveau der Arnold Schoenberg Chor. Bei Festwochen, zumal den Wiener bei einem so wienerischen Thema, erwartet man sich mehr: durchgehend höchste Qualität, wenn schon nicht wegweisende Produktionen.

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