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Die heilige Kuh von Buenos Aires

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Regisseur Martin Eisler beschreibt das Teatro Colon als das Kulturzentrum Argentiniens. 180 Vorstellungen finden im Jahr statt, und das Theater ist mit seinen 3200 Sitzplätzen und 700 Stehplätzen täglich ausverkauft. Seit 1968 gib es neben der Hauptoper noch ein Kammeropernensemble, das in den argentinischen Sommermonaten Jänner bis März mit etwa drei eigenen Inszenierungen das Teatro Colon bespielt. Auf diese Weise erhält das große Opernhaus neben der Stagione noch eine erweiterte Opernsaison.

Naturgemäß bilden die großen internationalen Sänger und Dirigenten auch dort die Basis für die argentinische Oper. „Unser Beitrag dafür ist der erstklassige Chor und das gute Orchester“, erklärt Martin Eisler. In Buenos Aires spielen ständig drei Symphonieorchester.

Maestro Martini dirigiert seit Jahrzehnten am Teatro Colon, er war ein Schüler von Fritz Busch, und ist stolz, nicht nur Furtwängler und Kleiber dort erlebt zu haben, sondern auch Böhm und Klobucar; Horst Stein und Leitner haben erst

vor kurzem große Wagner-Auffuh rungen dirigiert.

Maestro Martini ist der Überzeu gung, daß die Qualität der Auffüh rungen in Buenos Aires durch di intensive und minuziöse Proben arbeit garantiert wird. Für je'de Stück sind 15 bis 20 Proben vor gesehen. Selbst der typische Sta gione-Betrieb, wie er am Teatr Colon praktiziert wird, in dem e jeweils eine deutsche, eine italie nische und meistens auch eine sla wische Saison gibt, kann auf eil Ensemble heute nicht verzichten Nur dadurch, daß die Künstler da ganze Jahr hindurch beschäftig sind, bleiben sie auch und schließet sich zu einem Ensemble zusammen

Regisseur Eisler meinte: „Da argentinische Publikum ist ganz be sonders auf Kammermusik einge stellt“, darum habe es auch da. Kammeropernensemble zu großen Erfolg bringen können.

Maestro Martini sieht die Aufgabi des Kammeropernensembles darin dem Publikum vor allem Werkt näherbringen zu können, die es sons, nie hören hätte können, wie etwe „II Re Pastore“, „Die heimliche Ehe'

oder eben „La Finta Giardiniera“.

Auf die Frage, ob das argentinische Publikum sich mehr für traditionelle Opern oder auch für die Moderne interessiere, meint der Dirigent: es gäbe für beide Arten Liebhaber. Eine gute Menotti-Auf-führung hätte ebenso großen Beifall wie eine Mozart-Oper. „Wozzeck“ hatte schon vor seinem Wiener Erfolg zu einer zweiten Serie aufgelegt werden müssen. „Wir haben ein sehr interessiertes Publikum, ein kritisches, aber auch ein dankbares Publikum.“ Auch ein eigenständiges argentinisches Repertoire wird gepflegt. So wurden einige Werke von dem in Argentinientsehr bekannten Komponisten Ginastera gebracht, derzeit ist Antonio Tauriello, ein Zwölftöner, beauftragt, eine Oper für das Teatro Colon zu schreiben.

Auf die Frage, ob“ die Oper bei den unruhigen politischen Zeiten, die das Land derzeit durchmacht, dies zu spüren bekomme, meinten beide Herren übereinstimmend, daß das Teatro Colon so etwas wie eine heilige Kuh darstelle, die anzurühren niemand wagen würde.

ZUM 50. GEBURTSTAG LIGETIS veranstaltete der ORF einen Abend im Konzerthaus. Als Festkonzert der Union Europäischer Rundfunkanstalten erfolgte eine Direktsendung in ö 1 und Life-Übertragung in zwölf Länder. Auf dem Programm standen fünf Hauptwerke Ligetis: „Atmospheres“ von 1961, „Lux aetema“ von 1966 (dem Requiem verwandt), das Konzert für Violoncello und Orchester aus dem Jahr 1907, „Melodien“ von 1971 und schließlich ein Konzert für Flöte, Oboe und Orchester von 1971/72.

„Jede handwerkliche Neuerung fermentiert das ganze geistige Gefüge und jede Veränderung dieses Gefüges bedingt fortwährende Revision der kompositorischen Verfahren.“ Ligeti trat mit seinen ersten Werken bald nach seiner Übersiedlung in den Westen hervor, zu einem Zeitpunkt, als die doktrinäre serielle Musik steril geworden und nach Meinung vieler kritischer Hörer abgewirtschaftet hatte. (Man könnte zahlreiche Beispiele anführen.) Mit dem Sprechstück „Artikulation“ und dem Orchesterwerk „Apparitions“, noch nachdrücklicher mit „Atmospheres“, in normaler Notenschrift auf 87 Systemen notiert, trat etwas Neues hervor, und Ligeti, ein klug reflektierender und pointiert formulierender Künstler, bemerkte selbst die extreme kompositorische Dimension dieses Werkes.

Was sich hier zuträgt, ist die Entwicklung und Entfaltung, das Anwachsen, Steigern, Ausdehnen, Zusammenrücken und Absinken eines in sich homogenen, gewissermaßen stationären Klanggeschehens von etwa 9 Minuten Dauer. Zusammen mit dem vor 10 Jahren geschriebenen Orgelstück „Volumina“ zeigt dieses Stück am eindringlichsten die echte „trouvaille“ Ligetis, der mittels technischer Neuerungen das geistige Gefüge der Musik unserer Zeit beeinflußt, ihm zumindest einen neuen Aspekt da-zugewonnen hat („Carmina non prius audita“). Mehr vermag ein Künstler nicht zu leisten ...

Die fünf an diesem Abend aufgeführten Werke demonstrierten, auf wie verschiedene Weisen Ligeti seine Klangvisionen in immer neuen Kombinationen, vor allem mit Soloinstrumenten, zu realisieren vermag. Das ORF-Orchester und das Ensemble „die Reihe“ unter Friedrich Cerha, die Instrumentalsolisten Palm, Zöller und Bourgue sowie der ORF-Chor unter Gottfried Preinfalk boten dem Anlaß entsprechende exemplarische Interpretationen.

Welch enorme Schwierigkeiten hier zu meistern sind, darüber belehrt ein Blick etwa in die vom Schott-Verlag hergestellte Faksimile-Partitur der „Melodien“. Hier sieht man auch, wie präzise die Klangvorstellung des Komponisten ist und mit welcher Akribie er sie, ohne Zuhilfenahme graphischer Notation, fixiert. Diese genau ausgeführte Partitur ist gewissermaßen ein vertrauenerweckendes Dokument. —

„Wie schaut er denn aus?“ erkundigte sich vor vielen Jahren jemand nach dem Komponisten. „So wie einer, den jeder halbwegs intelligente Wiener Ober mit ,Herr Professor' tituliert!“ Aber in Wien, wo er mit seiner Familie seit 1957 lebi % ist er's leider nicht geworden, dafür in Schweden, wo man ihn auch zum Mitglied der Königlichen Akademie gemacht hat. Und jetzt hat er eine Professur in Hamburg angenommen ... Die für dies Versäumnis Verantwortlichen im Un-terrichtsministerium mögen sich ein wenig genieren. Unsere Musikhochschule mit ihrem Rektor an der Spitze hat es jedenfalls an Bemühungen, Ligeti als Kompositionslehrer für Wien zu gewinnen, nicht fehlen lassen. Dem 50jährigen, klugen und liebenswürdig-bescheidenen Künstler gelten unsere aufrichtigen Wünsche.

HELMUT A.FIECHTNER '

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