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DAS OPERNTHEATER IN ROM

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Zu den berühmten Operntheatern Italiens in Neapel, Mailand, Venedig und Parma ist auch das „Teatro dell'Opera“ in Rom zu zählen. Sein Name mag vielleicht nicht von dem Glanz umgeben sein wie jener der Mailänder Scala oder des „Teatro San Carlo“ in Neapel. Trotzdem aber besitzt auch die römische Oper eine alte Tradition. Sie ging aus dem Teatro Costanzi hervor, das 1880 eröffnet worden war und seither viele Triumphe erlebte.

Als Rom 1870 die Hauptstadt des geeinigten Italien geworden war, zogen viele Menschen aus allen Teilen des Landes nach dem neuen Zentrum, um dort Arbeit zu suchen. Unter den unternehmungslustigen Leuten kam auch ein gewisser Domenico Costanzi nach der Ewigen Stadt, der mit seinen Ersparnissen einige Hotels errichtete. Eines Tages hatte er den Gedanken, auf einem noch freien Bauplatz neben dem vornehmen Hotel Quirinal, das schon damals gern von hochgestellten Persönlichkeiten und reichen Leuten der internationalen Gesellschaft besucht wurde, ein großes Haus für Opernvorstellungen zu schaffen. Der Plan fand zunächst keine begeisterte Aufnahme, denn damals lag das Hotel Quirinal noch am Stadtrand Roms, allerdings in der Nähe des Bahnhofs Termini. Domenico Costanzi gab seinen Gedanken jedoch nicht auf, und so entstand schließlich ein großes, prächtig ausgestattetes Theater mit 760 Parkettplätzen und 108 Logen in drei Rängen.

Zur Premiere mit Rossinis „Semiramis“ am 27. November 1880 erschien König Umberto I. mit Königin Margherita und der vornehmsten Gesellschaft der jungen italienischen Hauptstadt. Schon damals traten die berühmtesten Sänger ihrer Zeit, wie die Tenöre Roberto Stagno und Francesco Tamagno, die Sopranistin Gemma Bellincioni und der Bariton Mattia Battistini, dort auf. 1884 wurde als Gedächtnisfeier ein Jahr nach dem Tod Richard Wagners der erste Akt seines „Par-sifal“ aufgeführt, der das Publikum zu stürmischer Begeisterung hinriß. 1887 wurde am Teatro Costanzi gleich nach der Mailänder Uraufführung Verdis „Othello“ mit Tamagno in der Titelrolle gegeben. Der Sänger erhielt damals für ein abendliches Auftreten die ungeheure Summe von 4500 Lire. Verdi selbst hatte es abgelehnt, nach Rom zu kommen. Er erschien erst 1893 zur römischen Erstaufführung seines „Fal-staff“, die ebenfalls im Costanzi-Theater stattfand. Ein anderes unvergeßliches Ereignis war die Erstaufführung der „Cavalleria rusticana“ von Mascagni am 7. Mai 1890. Von hier aus trat dieses Werk seinen Siegeslauf um die ganze Welt an. Im darauffolgenden Jahr ging Mascagnis „Freund Fritz“ und am 14. Jänner 1900 Puccinis „Tosca“ zum erstenmal in Szene.

Domenico Costanzi war 1898 gestorben, doch das Theater hielt sich trotz vielfachen Wechsels seiner Leitung auf höchstem künstlerischen Niveau. Dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend verlangte das Publikum in einem Theater nicht nur Opern, sondern auch Schauspielaufführun-gen. So ergab es sich, daß das Teatro Costanzi auch auf diesem Gebiet große Ereignisse erlebte. Der unvergeßliche Ermete Zacconi stand oft auf dieser Bühne; Eleonora Duse zeigte sich hier zum letzten Male vor dem italienischen Publikum. Auch Operetten wurden im Costanzi-Theater oft aufgeführt.

Schließlich kehrte das Teatro Costanzi wieder zu seiner ursprünglichen Bestimmung als Opernbühne zurück. Die Stadt Rom übernahm das Haus im Jahre 1926 in ihren Besitz. Ein grundlegender Umbau erwies sich als notwendig, doch wurde der ursprüngliche Charakter des Zuschauerraums nur unwesentlich verändert. Der Name wurde damals in „Teatro Reale dell'Opera“ umgewandelt, womit auch Rom sein Hoftheater erhielt. Jetzt wurden dem Institut die modernsten Einrichtungen für einen neuzeitlichen Theaterbetrieb eingegliedert, eine Ballettschule, Probensäle, ein großer Raum für die Herstellung der Bühnenentwürfe und anderes. Das Theater erhielt nun prunkvolle Gesellschaftsräume. die Bühne wurde umgebaut und Raum für die Kulissen und sonstigen Einrichtungsobjekte geschaffen. Ein Rundhorizont von 20 Meter Tiefe und einer Fläche von 1000 Quadratmetern mit halbstarrer Konstruktion aus biegsamem Material eröffnete dem Theater ungeahnte neue technische Möglichkeiten. Auch die Beleuchtungsanlagen wurden damals so wie auch noch später ständig modernisiert.

Mit einer glanzvollen Aufführung von Boitos „Nero“ würde das Theater 1928 nach seinem ersten Umbau wieder eröffnet. Wiederum begann eine große Zeit für das römische Operntheater, obgleich es damals von der Mailänder Scala unter Toscaninis nicht zu tibertreffender Leitung überschattet wurde. In der Nachkriegszeit änderte das Theater nach dem Sturz der Monarchie erneut seinen Namen in die einfache Bezeichnung „Teatro dell'Opera“. Unter der künstlerischen Leitung von Tullio Serafin behielt das Theater ein beachtenswertes Niveau. Die berühmtesten Sänger, wie Benjamino Gigli, Toti Dal Monte, Lina Pagllughi und Tan-credi Pasero, gaben den Aufführungen einen besonderen Glanz.

Nach einer Periode der Mittelmäßigkeit, die durch die schwierigen finanziellen Verhältnisse der Nachkriegszeit bedingt waren, nahm das Theater einen neuen Aufschwung, seit Intendant Ennio Palmitessa und sein künstlerischer Leiter Massimo Bogianehino die Zügel in die Hand nahmen. Der greise Tullio Serafin stand dem Institut weiterhin als wertvoller Ratgeber und zuweilen auch noch als Dirigent des Orchesters zur Verfügung.

In der Programmgestaltung sucht das römische Operntheater der Musikgeschichte einen weiten Spielraum einzuräumen. Neben den bewährten und beliebten Werken der klassischen Musik werden alljährlich auch mehrere zeitgenössische Musikschöpfungen aufgeführt. Bei den Inszenierungen und in der Bühnenausstattung wirken zahlreiche international bekannte Regisseure und Maler mit, wie Margherita Wallmann, Aurel von Milloss, Carlo Piccinato, Wolfgang und Wieland Wagner, Luchino Visconti, Leonide Massine sowie Pablo Picasso, Giorgio de Chirico, Nicola Benois und Giacomo Manzü. Das „Teatro dell'Opera“ in Rom hat es in gewissem Sinne schwerer als die Opernhäuser vieler anderer italienischer Städte, weil ihm ein breites Publikum von echten Musikbegeisterten fehlt. Vor allem daran mag es liegen, daß das Opernhaus der italienischen Hauptstadt weniger häufig genannt wird als seine Konkurrenzbühnen im Norden und Süden des Landes.

Der Römer von heute ist im Gegensatz zu den Italienern anderer Landschaften ein Kunstbanause. Im Rückblick auf die geschichtliche Vergangenheit mag dies vielleicht überraschen, doch wird es kaum je anders gewesen sein. Die Ewige Stadt liegt in einem Gebiet nüchterner Menschen. Venedig, Mailand, Neapel, ja selbst kleinere Provinzstädte, wie Bologna, Parma, Spoleto oder Bari, entwickelten einst ein blühendes Theater- und Musikleben. Die Neapolitaner, Sizilianer und Venezianer sind durch ihre Sangesfreudigkeit bekannt. In Rom und seiner näheren Umgebung wird man vergebens nach fröhlichem Volksgesang suchen, wie auch aus dieser Gegend, abgesehen von Palestrina und Carissimi, keiner der großen Komponisten Italiens stammt. Dies hindert allerdings nicht, daß gute Musik hier in bestimmten Zeitepochen und Gesellschaftskreisen sorgfältige Pflege fand. Beweis dafür sind viele, noch heute bestehende kleine Privattheater in ehemaligen Adelspalästen, die berühmte Accademia di Santa Cecilia und das Teatro dell'Opera selbst.

In der abgelaufenen Spielzeit suchte das Operntheater durch seine interessante Programmgestaltung zu beweisen, daß trotz wenig erfreulicher finanzieller Grundlagen die künstlerischen Aufgaben nicht vernachlässigt werden. Die aufgeführten Werke umfassen 300 Jahre europäischer Musikgeschichte von Henry Purcell bis zu jungen Komponisten unserer Tage.

Pr Kassenerfolge bürgen traditionelle Aufführungen von Werken Verdis, Wagners und Puccinis, ebenso Ballette. Weniger bekannte Stücke werden durch die Mitwirkung beliebter Sänger, wie Rossi Lemeni, Di Stefano, Virginia Zeani, Anna Moffo und anderen, oder international berühmte Dirigenten, wie Lorin Maazel in Tschaikowskijs „Eugen Onegin“, anziehend gemacht. Die zahlreiche römische Wagner-Gemeinde bejubelte einen gesanglich untadeligen „Tristan“ in deutscher Originalfassung unter Cluytens' Leitung und Bayreuther Besetzung mit Anja Silja, Kerstin Meyer, Hans Beirer und Gustaf Neidlinger. Heftigster Kritik waren allerdings die Bühnenbilder und die Lichtlosigkeit der Regie Wieland Wagners ausgesetzt. Um so freundlicher war die Atmosphäre der „Uraufführung“ eines Werkes von Rossini: Zu lebendigen und temperamentvollen mehr oder weniger bekannten Kompositionen dieses genießerischen Meisters hatte man ein färben- und bewegungsfreudiges Ballett unter dem beziehungsreichen Titel „Der König der Feinschmecker“ zusammengestellt.

Ein bemerkenswertes Ereignis war die Neuaufführung von Henry Purcells einzigartiger Oper „Dido und Äneas“. Dem Regisseur und dem Bühnenbildner lag offensichtlich daran, den barocken Charakter dieses um 1690 entstandenen Werkes zu wahren. Von der Bildwirkung her gelang dies durch die stilechten Kostüme mit ihren harmonischen und zarten Farbkompositionen. Eine Archaisierung des Werkes hätte weder dem Geist seiner Entstehungszeit noch dem Benjamin Brittens entsprochen, der die musikalische Neufassung besorgt hatte. Kaum jemand wäre hierzu berufener gewesen als er. Der Dirigent Carlo Feiice Cillario schuf eine ausgewogene Einheit zwischen den Soloparts, dem Chor und dem Orchester. Eine ernste Schwierigkeit mußte dabei überbrückt werden: Der weite Raum des römischen Opernhauses ist mit der kammermusikalischen Art des Stückes nicht leicht in Einklang zu bringen, so daß manche Feinheit der delikaten Partitur nicht so herauskam, wie man es vielleicht gewünscht hätte.

Die „Elektra“ von Richard Strauss war in Rom seit 1952 nicht mehr aufgeführt worden. Mit der fortschreitenden Entwicklung der neuen Musik scheint der Zeitabstand gegenüber älteren Werken nicht nur das Interesse für diese zu beleben — das Publikum nimmt auch einen neuen, veränderten Standpunkt zu ihnen ein. Der Seltenheitswert und eine außergewöhnliche Besetzung bringen sogar solchen Stücken einen sicheren Erfolg, die früher nicht das richtige Verständnis fanden. Inge Borkh, heute eine der führenden Darstellerinnen der „Elektra“, riß das römische Publikum zu wahrer Begeisterung hin. Sie interpretiert diese schwierige Rolle, indem sie das Psychopathische zugunsten des menschlich-natürlichen Empfindungsausdrucks zurückdrängt. In Martha Moedl und Siw Ericsdotter hatte sie gleichwertige Gegenspielerinnen. Antal Dorati am Pult ließ die Singstimmen nie durch das herrlich spielende Orchester übertönen. Frank de Quells Spielleitung — unstreitig eine seiner bisher besten Leistungen — nutzte sehr geschickt die Möglichkeiten, die sich dadurch ergaben, daß das Bühnenbild Peter Biss-eggers, vom traditionellen Schema abweichend, die Szene wesentlich auflockerte.

Der abgrundtiefe Klangkontrast zwischen der Strauss'schen Schöpfung und dem „Oedipus Rex“, der am gleichen Abend folgte, ließ gewisse Besorgnisse aufkommen, ob das Werk Strawinskys gegenüber der „Elektra“ standhalten könnte. Hier ein glutvoll aufblühendes Tongemälde mit dramatisch bewegter Handlung, dort ein hieratisch-statisches Gebilde, dem eine scharf ziselierte Partitur mit nüchtern kühler Harmonik und Rhythmik zugrunde liegt. Trotzdem verfehlte auch das erschütternde „operisti-sche Oratorium“ mit dem lateinischen Text nach der antiken griechischen Dichtung keineswegs seine Wirkung. Ganz dem Charakter des Werkes war das interessante Bühnenbild des bekannten italienischen Bildhauers Giacomo Manzü angepaßt. Musik, Gesang, Chor, Ausstattung und Regie bildeten unter der musikalischen Führung von Antal Dorati und der Spielleitung des begabten Luigi Squarzina eine festgefügte, überzeugende Einheit

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