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Ein Regisseur für Verdi

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Neu für das Wiener Publikum ist der Regisseur der kommenden ersten Staatsopernpremiere der Saison, doch ihm selbst ist Wien nicht mehr fremd; auf Motivsuche für einen Pop-Film hat er einmal schon den Prater unsicher gemacht, und 1964 gastierte er mit den „Venezianischen Zwillingen” Goldonis, einer Aufführung des „Theatro Stabile di Genova”, dessen Direktor er seit zehn Jahren ist, im „Theater an der Wien”: Luigi Squarzina, geborener Livornese, Absolvent der Dramatischen Akademie in Rom, Regisseur, Theaterdirektor, Theaterwissenschaftler, Autor und Lehrer in einer Person.

Man würde in dem eleganten und gepflegten Brillenträger eher einen Wissenschaftler vermuten als einen Theatermann, und er gibt auch freimütig zu, daß die Praxis allein ihm nicht genügen könnte. Neben seiner Tätigkeit als Regisseur und Direktor eines der wenigen „festen” Theater in Italien (neben Strehlers Mailänder „Piccolo Teatro” die einzige Bühne mit einem ständigen Ensem ble) beschäftigt er sich mit dramaturgischen und theaterwissenschaftlichen Arbeiten, schreibt selbst Stücke (momentan mit einem Co- Autor ein Drama über Rosa Luxen- burg) und leitet in Bologna einen (jeweils dreijährigen) Kurs, der sich „Instituzione di Regia” nennt und — obwohl oder vielleicht weil ihm akademische Weihen fehlen — sich lebhaften Zuspruchs erfreut, was von den etablierten „Dramatischen Akademien” argwöhnisch beobachtet wird und mancherlei Reibereien ergibt.

Squarzinas Genueser Theater, von Staat und Stadt mit kärglichen Subventionen bedacht und darauf angewiesen, einen Großteil der Kosten selbst einzuspielen, gibt ihm die kontinuierliche Arbeitsmöglichkeit, die ihm lebensnotwendig ist. Es ist, trotz seines Standorts, auf Stücke im venezianischen Dialekt spezialisiert, eine Goldoni-Bühne. Sonst zeigt der Spielplan, wie heute nun einmal üblich, einigen Linksdrall, viel Brecht und zeitgeschichtlich-zeitkritische Italiener.

Die erste Premiere des kommenden Herbstes gilt einer Pirandello- Dramatisierung: Pirandellos be rühmtester Roman „II fu Mattia Pascal” (er behandelt die existentielle Angst, den Zweifel an der menschlichen Identität und die Suche nach dem Sinn des Daseins an Hand der Geschichte des Titelhelden, der für tot geglaubt aus seinem Lebenskreis flieht, um ein zweites Leben zu beginnen, schließlich aber doch in seine frühere Umgebung zurückkehrt, wo man ihn für einen Fremden hält) wurde, nachdem die Erben lange widerstrebt und dann doch nachgegeben hatten, für die Bühne adaptiert.

Seine weitverzweigten Tätigkeiten haben Luigi Squarzina, der auch als Opernregisseur über reiche Erfahrungen verfügt („Falstaff”, „Diebische Elster”, Werke von Cherubim, Pizzetti, Bloch und Britten an der Scala, „Tristan” in Venedig, „Oedi- pus Rex” in Rom, „Don Giovanni” und Kreneks „Jonny spielt auf” beim Florentiner „Maggio”) kaum Zeit für Auslandsengagements gelassen (Gastregisseur an der Yale Drama School, „Aida” in Tokio), Angebote (auch bereits erfolgte des Wiener Burgtheaters) müssen meist wegen Terminschwierigkeiten abgelehnt werden. Die Wiener Oper mit ihrer so frühen September-Premiere hatte einmal Glück, denn in Genua beginnen die Proben für das neue Stück erst im Oktober.

Squarzina ist wie sein Ausstatter Pizzi und Dirigent Muti ein Neuling was „Die Macht des Schicksals” betrifft: alle drei machen das Stück zum ersten Mal und betrachten das als günstigen Ausgangspunkt: man kann frisch, unbelastet und mit neuen Ideen an diese Oper heran- gehen.

Manches wird neu sein an dieser „Macht des Schicksals”, nicht nur die zwei „üblichen” Striche, die Muti aufgemacht hat (ein Soldaten-Rondo und eine dramaturgisch sehr wichtige Unterredung Carlos-Aivaro); so sieht Squarzina in Fra Melitone nicht den traditionellen Hanswurst, sondern eine Figur von großer Güte und Menschlichkeit (er wurde aus diesem Grunde auch nicht mit einem Komiker, sondern mit einem seriösen Sänger besetzt).

Krieg, Liebe und Religion sind für Squarzina die drei großen Handlungskreise des Stückes, die Gnadenlosigkeit und Kompromißlosigkeit der handelnden Figuren, sich selbst und anderen gegenüber, die Triebkräfte der Handlung. Wird es Luigi Squarzina gelingen, aus dem bisher zumeist als konfus und ridikül abgetanen Libretto der „Forza del destino” ein echtes Drama zu formen? Das Wiener Opempublikum wird bald Gelegenheit haben, dies festzustellen. Es dirigiert Riccardo Muti, für die großen Solopartien sind angekündigt: Gilda Cruz-Romo sowie die Herrn Bonisolli, Šiepi und Paskalis.

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