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Operndämmerung?

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Die Bruchlandungen in der Welt der Oper nehmen offenbar kein Ende: Zuerst mußte New Yorks „Met“ wegen akuten Geldmangels die sündteure „Don-Giovanni“-Premiere Karl Böhms absagen, die New Yorker Philharmoniker streikten. Dann kündigte die Mailänder Scala wegen ihrer katastrophalen Situation zirka der Hälfte ihres Personals, dem Orchester drohen krasse Einschränkungen, nachdem die kommunistische Partei bereits im Oktober und November tief in die Tasche greifen mußte, um dem Haus durch ein überbrückendes Dreiwochengastspiel des Moskauer Bolschoi-Theaters Probleme aus dem Weg zu räumen. Im einst weltberühmten Teatro Colon in Buenos Aires wurden wegen Geldmangels kurzerhand alle international prominenten Sängerstars hinauskomplimentiert und der Betrieb auf einheimische Kräfte umgestellt...

Aber auch an der Pariser Oper hat sich die Neuorganisation mit viel Ballett und drei Operntagen pro Woche nicht als salomonische Lösung erwiesen: Liebermann weicht dem Druck der Gewerkschaft aus, ließ bereits wissen, daß er seinen Vertrag nicht zu verlängern gedenke. Und in Wien? Die Pechserien der Wiener Staatsoper reißen neuerdings auch nicht mehr ab: Nach einer beinahe ins Wasser gefallenen „Eugen-One-gin“-Premiere mit allen erdenklichen Umbesetzungsstreitigkei-ten, nach einer wegen totalen Planungsdurcheinanders abgesagten „Chowantschina“ Claudio Ab-bados, für die man jetzt mit einem Londoner „Maskenball“ Ersatz schaffen will und nach dem „Fall Karajan“, dem „Fall Bernstein“, dem „Fall Böhm“, einer Serie von Umdispositionen und Verschiebungen („Prophet“, „Boris“ usw.), scheint nun sogar die „Meistersinger“-Festwochenpremiere 1974 ins Wanken zu geraten. Man ist also auch hier schon ans Wursteln gewöhnt...

Eine etwas trostlose Wiener Kulisse, die gut ins allgemeine Krisenbild paßt, auch wenn hierzulande Opernprobleme vorerst noch wenig mit Kapitalkrise und Versorgungsfragen, das meiste hingegen mit Dispositionskünsten und -mangeln zu tun haben.

Seltsam nimmt sich freilich vor dieser Kulisse der soeben erschienene „Bundestheater-Bericht 1972173“ aus, in dem natürlich trotz aller Demokratisierungstendenzen von den „kritischen

Momenten“ und der Krisenanfälligkeit der „heiligen Kühe“ Österreichs nichts nachzulesen ist. Für diesen korrekten, öffentlich ein-schaubaren Zahlenbericht ist die Welt der Bundestheater, ist die Welt der Oper intakt, um so mehr als die hervorragende Platzausnutzung des Hauses am Ring 91,9 Prozent beträgt, das heißt, daß bei 283 Vorstellungen 574.715 Besucher gezählt werden konnten; auch wenn noch immer mehr als ein Sechstel der Besucher Freikartenbezieher waren, brachten die „Zahlenden“ immerhin knapp 74 Millionen Schilling ein.

Freilich ist da nicht herauszulesen, daß ein zu Superdimen-sionen angeschwollener Bundestheater-Betrieb allmählich starr und schwerfällig geworden und trotz Reformen auch noch immer koloßartig geblieben ist, daß da auf Grund von neuen Arbeitszeitregelungen im Probenbetrieb, vor allem auch beim Ballett, kaum noch zu bewältigende Zeit-und damit Finanzierungsprobleme aufgetaucht sind, Probleme, die künstlerisch manchmal (etwa im Fall des Probenabkommens in der „Burg“, aber auch an der Staatsoper) ans künstlerisch Unverantwortliche grenzen: Eine Verlegung der „Nußknacker“-Premiere um vier Tage genügte bereits, die Wiederaufnahme der besonders erfolgreichen „Mosesund-Aron“-Produktion in Frage zu stellen... Und nichts steht hier darüber, daß seilt der Rationalisierung der Werkstättenbetriebe durch Werkstättenzusammenlegungen die Anfälligkeit für chaotische Folgen sich schon bei kleinsten Terminverschiebungen zeigen: Die Absage des Bühnenbildners Jürgen Rose wegen Krankheit bringt bereits die Festwochenpremiere der „Meistersinger“ ernstlich in Gefahr, weil für Rose noch kein Ersatz zu finden war, die Bundestheaterwerkstätten aber die Dekorationsentwürfe spätestens Mitte Jänner erhalten müßten.

Doch das sind nicht die einzigen „kritischen Momente“: Der Verteuerung von 1971 auf 1972 um 22,5 Millionen Schilling stand eine Einnahmenanhebung um nur 1,7 Millionen Schilling gegenüber, wobei bereits heute die Verteuerung für 1974 entsprechend den allgemein steigenden Kosten und Löhnen rund berechnet werden kann. Eine Kostenspirale, die derzeit allein für die Staatsoper täglich eine Ausgabe von einer Million bedeutet und progressiv ansteigt.

Dennoch: Eine Ausgabe, die man gewiß der Direktion und dem Bundestheaterverband nicht vorrechnen würde, wenn das allgemeine Niveau diesem .Aufwand entspräche. Daß das hier — natürlich genauso wie anderswo — kaum der Fall ist, macht das Kapitel „Oper“ gelegentlich zum Zankapfel. Aber woran liegt es eigentlich, daß bei Ausgaben von 50,2 Millionen für Solisten, 25 Millionen fürs Orchester, 21,8 Millionen für den szenischen Apparat, 48 Millionen fürs technische Personal, 22,6 Millionen für Gäste und Substituten (dazu Pensionen: 63,8 Millionen) die Qualität von Abend zu Abend so stark schwankt?

47 Werke nennt der Bundestheater-Bericht als Repertoirestücke, dazu eine Operette und 15 Ballettproduktionen. Doch dieses Repertoire zu betreuen, ist schon wegen der Arbeitszeitregelung, der vorhandenen Probenräume und Termine, der kommenden und gehenden Sänger, und vor allem auch finanziell kaum noch möglich. Also wird man immer nur die Werke wirklich auf Glanz halten können, die Spitzenproduktionen sind und in größeren Serien aufgeführt werden (,ßon Giovanni“, „Rosen-Kavalier“, „Aida“ usw.). Der Rest verfällt allmählich, sofern man ihn nicht stückweise — wie etwa Rennerts „Barbier“ — auffrischt, mit Glanzbesetzung neu einsetzt. Doch dazu treten Eehldispositio-nen (Wer erinnerte sich nicht des Abends Mario del Monacos, der neben drittklassigen Solisten unter einem damals letztklassigen Dirigenten den „Bajazzo“ singen mußte?), nicht zeitgerechtes Planen; was in einer Zeit, da die großen Sänger heute schon bis 1976 ausgebucht sind, nur zu Engagements auf „gut Glück“ führen kann und es praktisch eben unmöglich macht, Werke wie „Chowantschina“ in der einzig möglichen Starbesetzung herauszubringen ... Das sind nur die eigentlichen Probleme, an denen die Wiener Staatsoper leidet. Keine Frage, daß diese Situation keinesfalls mit einem ,ßa kann man nichts machen!“ abgetan werden kann, auch wenn vorerst noch alle Statistiken beweisen, daß es auch so, mit „Operndämmerung“, weitergeht, weil das Publikum auf alle Fälle kommt.

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