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Salzburger Perspektiven 1970

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Man mag es wahrhaben oder nicht: Salzburg mit seinen Festspielen repräsentiert — viel mehr als etwa die reichhaltigeren Wiener Festwochen — für Millionen Ausländer Österreich. Von diesem Ruf, mit dem nur noch der Bayreuths als Festspielstadt verglichen werden kann, leben zum großen Teil die Salzburger Festspiele heute. Aber dieses Renommee verpflichtet auch, besonders jetzt, da das fünfzigjährige Jubiläum vor der Tür steht. Für die Planer und Veranstalter hat es längst begonnen. Mit einer Neuinszenierung von Mozarts „Idomeneo“ in der umgebauten Felsenreitschule sollen die Jubiläumsveranstaltungen eingeleitet werden. Ein von Karajan inszenierter und dirigierter „Othello' im Großen Festspielhaus wird folgen, und fünf während der letzten Jahre gezeigte Mozart-Inszenierungen werden den Schwerpunkt der Festspiele 1970 bilden. Ist das genug?

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Man mag es wahrhaben oder nicht: Salzburg mit seinen Festspielen repräsentiert — viel mehr als etwa die reichhaltigeren Wiener Festwochen — für Millionen Ausländer Österreich. Von diesem Ruf, mit dem nur noch der Bayreuths als Festspielstadt verglichen werden kann, leben zum großen Teil die Salzburger Festspiele heute. Aber dieses Renommee verpflichtet auch, besonders jetzt, da das fünfzigjährige Jubiläum vor der Tür steht. Für die Planer und Veranstalter hat es längst begonnen. Mit einer Neuinszenierung von Mozarts „Idomeneo“ in der umgebauten Felsenreitschule sollen die Jubiläumsveranstaltungen eingeleitet werden. Ein von Karajan inszenierter und dirigierter „Othello' im Großen Festspielhaus wird folgen, und fünf während der letzten Jahre gezeigte Mozart-Inszenierungen werden den Schwerpunkt der Festspiele 1970 bilden. Ist das genug?

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Bevor wir uns dem Programm und seinen Lücken sowie einigen andern Festspielproblamen zuwenden, wollen wir den Unterbau, die finanzielle Grundlage der Salzburger Festspiele betrachten. Diese ist durchaus solid und zeigt keinerlei Sprünge — der Steuerzahler braucht sich vor dem Jubiläuimsfest nicht zu fürchten. Von den 60 Millionen Schilling nämlich, mit denen die öffentliche Hand die Salzburger Festspiele alljährlich subventioniert (in diesem Betrag sind auch sämtliche Auslagen während des Jahres, Gehälter, Versicherungen usw. eingeschlossen), wurden und werden 30 bis 32 Millionen Schilling eingespielt. Aber mindestens das Doppelte des Defiziitibatra-ges kommt, wie man aus der erhöhten Umsatz- und Gewerbesteuer in Stadt und Land schließen kann, durch die Ausgaben, welche die 40.000 Festspielgäste hier tätigen, wieder her- , ein. Faßt man aber alles, was in diesen fünf Wochen an Werbung für Österreich geschieht, ins Auge (die in fast allen größeren Zeitungen erscheinenden Festspielberichte, die Rundfunkübertragungen sowie die Kommentare der verschiedenen Korrespondenten), so kommt man auf ungefähr das Sechsfache des Subventionsbetrages. Die Salzburger Festspiele sind also, nüchtern betrachtet, für Österreich ein großartiges Geschäft, was uns aber nicht daran hindern darf, ihr künstlerisches Niveau und Profil weiterhin kritisch zu werten.

II

Jährlich kommen nach Salzburg zwar nicht, wie einer der Festredner ein wenig euphorisch sagte, tausend, aber immerhin rund vierhundert in-und 'ausländische Journalisten. (Zur Eröffnung des neuen Hauses vor neun Jahren wurde die Rekordzahl von 710 erreicht) In diesem Jahr werden 730 komplette Sendungen an 49 Rundfunkanstalten in 30 Ländern vermittelt (darunter Angola, Ghana, Südafrika, Neuseeland und andere). Direkte Korrespondentenberichte aus dem Salzburger Studio gehen an fast alle Rundfunkstationen Deutschlands, ferner nach Basel, Bratislava, Stockholm, Paris und Tel Aviv. Zumindest die in den Zeitungen erscheinenden Kritiken sowie die Korrespondentenberichte, die An- und Absagen der Rundfunkstationen kann man als indirekte Werbung für Österreich auffassen und bewerten. Erfreulich ist ferner, daß die rund 120.000 Karten für insgesamt 100 festspieleigene Veranstaltungen zu 95 bis 98 Prozent (abzüglich der Pressekarten und einer von Jahr zu Jahr mehr gedrösselten Anzahl von Ehrenkarten) verkauft werden. Am ersten Stichtag des Vorverkaufster-mines waren sämtliche Opernaufführungen sowie die Orchesterkon-zerte unter Dr. Böhm und Herbert von Karajan vergriffen. Hierbei, und auch das ist charakteristisch, war die größte Nachfrage nach den teuersten Karten festzustellen, deren Spitzenpreise für die Oper, nach den letzten Preiserhöhungen, die 1966 erfolgten, bei 750 Schilling pro Karte liegen. In summa: Das Salzburger Festspiel-starnmipufolikuim ist mit dem Programm und den Darbietungen zufrieden.

Nicht ganz so die Fachkritik, die zwar, wie wir aus der Praxis sehen, auf den Besuch der Festspiele kaum einen Einfluß hat, hingegen für das Renommee und Prestige der Salzburger Festspiele nicht ohne Bedeutung ist

III

Was bemängelt nun diese Kritik im allgemeinen? (Von speziellen Einwänden gegen diese und jene Inszenierung, diese und jene Besetzung müssen wir in diesem Rahmen absehen.) Sie bemängelt das Fehlen eines zeitgenössischen oder neueren Werkes im Opernrepertoire, das Fehlen einer Ur- oder Erstaufführung im Rahmen eines der großen Orchesterkonzerte sowie eine gewisse Planlosigkeit, die in den Programmen ebendieser Konzerte zum

Ausdruck kommt, sowie schließlich den improvisatorischen (oder protek-tionistischen) Charakter mancher wichtiger Engagements. Nachdem man die wichtigste Mozart-Premiere dieses Jahres einem jungen japanischen Dirigenten anvertraut hatte und dieser sich als mit Werk und Stil unvertraut erwies, erhebt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit, ganz konkret nach den Verantwortlichen. Es stellte sich nämlich heraus — und wurde von dem jungen mit einer Beatle-Mähne geschmückten Japaner auch freimütig zugegeben —, daß er noch nie eine Mozart-Oper dirigiert habe. Nun kann man ohne weiteres dafür sein, daß in Salzburg Inder und Indianer,

Neger und Japaner dirigieren. Was aber zu fordern wäre, ist, daß der für Salzburg Engagierte zumindest eine erfolgreiche Aufführung von „Cosi“ in Bielefeld absolviert hat.

IV

Zur Frage der Novitäten: Gewiß ist es heute schwierig und riskenreich, sich für ein neues Opernwerk zu entscheiden, zumal wenn man den begreiflichen Ehrgeiz hegt, daß dieses womöglich österreichischer Provenienz sein soll und wenn der so ziemlich als einziger in Betracht kommende Komponist die Uraufführung seines eben in Entstehung begriffenen Werkes bereits der Wiener Staatsoper angeboten hat. Doch könnte man auf diesem Gebiet vielleicht einmal etwas für Salzburg ganz Neues und Neuartiges versuchen. Während nämlich die österreichische zeitgenössische Musik nicht unumstritten ist, erfreut sich die Gruppe der Wiener Phantastischen Realisten internationalen Interesses. Es wäre sehr reizvoll und erfolgversprechend, die fünf Maler Brauer, Fuchs, Hutter, Hausner und Lehmden zu einer szenischen Gemeinschaftsproduktion einzuladen, bei der das Optische im Vordergrund stehen könnte. Sie arbeiten sowieso gemeinsam an einem Fernsehballett mit dem Titel „Die sieben Todsünden“, zu dem der junge Komponist Fridolin Dal-linger die Musik geschrieben hat. Außerdem haben einige der genannten Maler, denen man vielleicht auch noch Hundertwasser assoziieren

könnte, bereits Erfahrungen als Bühnen- und Kostümbildner. Allenfalls sei dem Direktorium der Salzburger Festspiele ein solcher Versuch empfohlen oder, falls es für das Jubiläumsjahr ,1970 schon zu spät sein sollte, zunächst einmal eine große repräsentativ Kollefctiuausstellunjj der genannten Maler. Auch Faul Hindemiths 1957 in München uraufgeführte Kepler-Oper „Die Harmonie der Welt“ würde sich sowohl wegen ihrer Thematik wie durch den Rang des Komponisten für Salzburg empfehlen. Ferner wäre zu erwägen, ob man nicht doch wieder ein gutes ausländisches Ballett-Ensemble für mehrer Abende einladen soll. Man argumentiert dage-

gen mit dem geringen Erfolg, den die bisherigen Gastspiele gehabt haben. Aber das lag an den Einladenden, denen es offensichtlich an Übersicht fehlte. Die Intendanz der Wiener Festwochen hat bewiesen, daß es ein Dutzend hervorragender Gruppen gibt — man brauchte sich nur mit ihr zu beraten und die Kritiken der Ballettfachleute nachzulesen. An Stelle der bunt zusammengewürfelten Programme der großen Orchesterkonzerte sollte man bestimmte Werke der symphonischen und der Chorliteratur immer wieder aufs Programm setzen und sie dadurch gewissermaßen in Salzburg „einwurzeln“: vor allem die neun Bruckner- und die neun Mahler-Symphonien, auf je drei Jahre verteilt. Auch mit Franz Schmidts „Buch mit sieben Siegeln“ sollte man es wieder einmal versuchen — und, natürlich, mit modernen Chor-Orchesterwerken.

V

Damit verglichen, scheint uns die heftig entbrannte Diskussion um das Straßentheater, dessen Idee von O. F. Schuh stammt, nicht so wichtig. Man möge, so lautet der Vorschlag, unter freiem Himmel und kostenlos für die Zaungäste der Salzburger Festspiele etwa Nestroy spielen. Es dürfe auch nicht viel kosten, und damit hofft man gleichzeitig auch, an neue Besucherkreise heranaukom-men. Hinter dieses Projekt stellte sich auch der neue (sozialistische) Salzburger Kulturreferent, der ener-

gisch der These des Festredners Professor Quaroni entgegentrat, der vom „elitären Charakter“ der Salzburger Festspiele gesprochen hatte. Schon Hofmarmsthal habe, so entgegnete man dem eigenwilligen Römer, „für eine volle Offenheit der Festspiele plädiert und soziale und nationale Unterschiede nicht gelten lassen wollen.“ Was daraus geworden ist, können wir nicht nur bei den Premieren sehen, die sich zu wahren Demonstrationen dee Wohls tands-bürgertums entwickelt haben und von einem — vielleicht — ursprünglich beabsichtigten sozialen Konzept nicht mehr erkennen lassen. Erschwinglich und gut besucht sind immer noch die kleineren Konzerte,

die Matineen und Serenaden — und der „Jedermann“. Ihn abzusetzen besteht kein Anlaß. — Mit Cavalieris „Rappresentatione“ ist Hof rat Paum-gartner eine kostbare Entdeckung und Neuerwerbung für die Salzburger Festspiele gelungen. Wir empfehlen sehr, das geistliche Spiel in der Kollegienkirche auch im Jubiläumsjahr vorzuführen. Danach freilich sollte es nicht mechanisch abgespult, sondern nur alle zwei bis drei Jahre aufgeführt werden, um seine Abnützung zu verhindern und auf, die besondere Kostbarkeit des Werkes hincBUweisen.

VI

Mit diesen und anderen Fragen wird sich in der nächsten Zeit das Direktorium der Festspiele zu befassen haben. Es besteht derzeit aus Präsident Paumgartner, Herbert von Karajan, Ernst Häussermann und Landesrat a. D. Josef Kaut. (Der Kunstbeirat, der igerade für Fragen des Programms wichtig wäre, wurde zwar nicht offiziell aufgelöst, funktioniert aber offensichüicb nicht mehr. Von seiner Reaktivierung haben wir in Salzburg nichts gehört.) — Dagegen wird ganz offen über den künftigen Präsidenten der Festspiele gesprochen. Noch ist Bernhard Paumgartner im Amt und wird es wohl auch im Jubiläumsjahr sein. Für die Zeit danach denkt man an eine Wachablöse und nennt die folgenden Kandidaten (in alphabetischer Reihenfolge): Herbert Graf (der sich mit seiner Inszenierung der „Rappresentatione“ großes Ansehen erworben hat), Ernst Häussermann, mit Salzburg vielfach persönlich verbunden und Initiator des Theater-Studios, Josef Kaut, seit einigen Jahren Chronist der Salzburger Festspiele und an ihrem Gedeihen sehr interessiert, schließlich, aber nicht zuletzt O. F. Schuh, der in Salzburg zahlreiche Opern und Sprechstücke inszeniert und sich mit einem lesenswerten Büchlein mit dem Titel „Salzburger Dramaturgie“ zu Wort gemeldet hat.

Wie immer die Wahl ausfallen möge: Man darf sich von einem neuen Mann nicht allzuviel erwarten. Der Genius loci wird sich als stärker erweisen. Und für die Juibiläuimsfestspiele ist das Programm so gut wie fixiert. Ein, unserer Meinung nach, nicht sehr attraktives Programm. Denn die Pointe fehlt. Aber man wird trotzdem volle Häuser zu registrieren haben. Gott sei Dank. Oder: Leider?

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