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Weder Lob noch Geld

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Vor kurzem war an dieser Stelle von dem gestörten Verhältnis zwischen den Veranstaltern und dem Publikum der Salzburger Festspiele einerseits und der Kritik anderseits die Rede. Wir haben versucht, in dem Artikel ,,Das Unbehagen“ in Nr. 34 hier ein wenig hineinzuleuchten. Man kommt, aus einiger zeitlicher und örtlicher Distanz, etwa zu folgender Einsicht: die Veranstalter können auf ausverkaufte Aufführungen und Mehreinnahmen von 5,2 Millionen in diesem Jahr hinweisen. (Nach der Bilanz des Vorjahres wurden die Einnahmen von 1970 auf 30,2 Millionen Schilling geschätzt, es gingen aber 35,2 Millionen ein, das ist mehr als die Hälfte der Subventionierung durch die öffentliche Hand.) Und das Publikum ist zufrieden. So zufrieden, wie die Veranstalter, vor allem das Direktorium, das vor kurzem durch seinen Präsidenten im Fernsehen eben dieser seiner Zufriedenheit unumwunden Ausdruck verliehen hat — Doch wer ist dieses Publikum? Der Blick in viele Gesichter, zahlreiche Pausengespräche und die Befragungen des ORF, wie sie bis zum vorigen Jahr praktiziert wurden, lassen an sedner Qualität und seiner Qualifikation ernsthaft zweifeln. Aber das ist bei einem Massen- und Touristenpublikum wohl nirgends viel anders. Obwohl man sich gerade in Salzburg mehr erwartet... Hinzu kommt, daß während der letzten Jahre die wirklich perfekten, „großartigen“ Aufführungen (die auch andernorts Sternstunden waren) immer seltener geworden sind und Leistungen angeboten wurden, aus denen sich gültige

Maßstäbe nicht mehr gewinnen lassen. So kam es, daß die Fachkritik, die notwendigerweise ins Detail gehen muß, sehr oft da und dort etwas auszusetzen hatte, freilich über den Einzelheiten das doch immerhin noch recht prä-sentable, hörens- und sehenswerte Ganze ein wenig aus den Augen verlor.

Das ist um so bemerkenswerter, als die in den Tageszeitungen erschienenen Rezensionen im wesentlichen mit den vom ORF gesendeten Kritiken übereinstimmen. Vor den Mikrophonen des ORF kamen — für Sprechtheater, Oper und Konzert — insgesamt zwei Dutzend Kritiker zu Wort, darunter sechs Ausländer (und unter diesen wieder fünf aus Deutschland), die von den 24 besprochenen Veranstaltungen insgesamt sechs negativ beurteilten. Das ist für Festspiele ein ziemlich hoher Prozentsatz. Aber wenn es irgendwo ein Erdbeben gibt, so wäre es falsch, die Seismographen dafür verantwortlich zu machen und zu zerschlagen... Diese kritischen Stimmen erzeugten zuweilen Unbehagen beim Publikum, das sich, neben der Freude des Dabeigewesenseins, auch seinen Kunstgenuß nicht nachträglich vermiesen lassen will (besonders bei so teuren Eintrittskarten). Und natürlich bei den Veranstaltern. Die letzteren nun haben sich vor drei Jahren etwas einfallen lassen, um die Kritik ein wenig an die Leine zu nehmen. Nicht so direkt natürlich, sondern durch das „Kuratorium des Fonds der Landeshauptstadt Salzburg zur Förderung von Kunst, Wissenschaft und Literatur“. Dieses, ihrerseits, hat eine Jury ernannt, die aus den tausen-den Kritiken, die alljährlich erscheinen, die jeweils beste heraussucht. Und welche ist die beste? „Die werkgerecht, stilistisch und publizistisch gelungen über die Aufführung einer Oper, eines Schauspiels oder Konzerts berichtet.“

Bisher haben vier Kritiker den mit 10.000 Schilling dotierten Preis erhalten: je einer aus München, Paris, Salzburg und Wien. (Fast könnte man von einem „Proporz“ sprechen.) Daß die prämiierten Kritiken vorwiegend positiv waren, versteht sich am Rande. Und nun hat man sich heuer zusätzlich etwas einfallen lassen: man hat nämlich ein bestimmtes Werk angegeben, dessen Kritiken von der Jury gewertet werden sollen: Pendereckis Lukas-Passion im Dom... Auf also, ihr bösen Kritiker, spitzt eure Federn (oder schleift die Spitzen schön ab) und lobt diese Aufführung, die als künstlerische Tat allenfalls vor spätestens drei Jahren anzusprechen gewesen wäre — aber nicht Anno Domini 1970, da das Werk bereits um die halbe Erde gewandert ist...

Doch zurück zum Grundsätzlichen: Mit dem Kritikerpreis wurden ausnahmslos Journalisten der ersten Kategorie ausgezeichnet. Aber haben die es nötig, sich mit Geld belohnen zu lassen? Man soll die Besten der Zunft weder loben noch „preisen“, sondern sollte vielmehr ihre sachlichen, konkreten Einwände gegen einzelne Veranstaltungen, Besetzungen oder Details der Aufführungen genau studieren, beherzigen und eich gelegentlich auch danach richten. Dies wäre die richtige „Honorierung“ der Kritik und würde ein besseres Verhältnis zwischen Veranstaltern und Rezensenten herstellen. — Ob, ihrerseits, Kritiker solche Preise annehmen sollen oder nicht, mag jedem einzelnen überlassen bleiben. Wir plädieren eher für Ablehnung.

Eine der Preisgekrönten hat bereits vor zehn Jahren in der Zürcher „Weltwoche“ geschrieben: „Salzburg braucht die Rezensenten nicht und wird sie in Zukunft noch weniger brauchen... Jene Armee von Besserwissern, die nichts anderes im Sinn hat, als die letzten Mängel auszumerzen, das nahezu Vollkommene zum Idealbild zu runden oder vor Übergriffen zu warnen... ist den ganzen Aufwand an Pressesitzen nicht wert. Entledigt Euch, so möchte man den Salzburgern raten, . endlich dieser Störenfriede ... Die Rolle der Kritiker in Salzburg ist ausgespielt.“ Das ist ein Manneswort — von einer Frau gesprochen. Aber was tut Gott? Was tun die Salzburger? Sie stiften einen Kritikerpreis ...

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