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„Gesetzliche Regelung“ des Musiklebens?

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Ein sehr lebhaftes und vielstimmiges Edio löste das dem Unterrichtsministerium unterbreitete „Forderungsprogramm österreichischer Komponisten“ aus, welches folgende Hauptpunkte beinhaltet: In unseren Konzert- und Opernspielplänen, einschließlich denen der Salzburger Festspiele, ist das Schaffen der lebenden einheimischen Komponisten mehr zu berücksichtigen, als bisher. Für die Durchführung dieser Forderung wird eine „gesetzliche Regelung“ vorgeschlagen, nach der bei Aufführungen ernster Musik die Hälfte der urheberrechtlich geschützten Werke österreichischen 'Ursprungs sein sollen. Ein aus Vertretern des Komponistenbundes bestehender „Musikbeirat“ soll vom Bundesministerium für Unterricht, von den Konzertgesellschaften und von den Radiostationen in allen die Komponisten berührenden Fragen vor deren Entscheidung gehört werden. Schließlich wird die Erweiterung des Kulturgroschengesetzes auf alle Veranstaltungen mit Musik vorgeschlagen und die Ausschreibung staatlicher Wettbewerbe „unter fachlicher Leitung“ angeregt.

Diese Forderungen wurden in erster Linie durch die wirtschaftliche Notlage der großen Mehrheit unserer einheimischen Komponisten ausgelöst, die — freilich nur zum Teil — aus deren geringen Aufführungszahlen im In-und Ausland resultiert. Daher rügt der Komponistenverband die „Bevorzugung fragwürdiger ausländischer Werke“ durch unsere konzertveranstaltenden Gesellschaften, insbesondere durch die Leitung der Salzburger Festspiele. — Und damit sind wir bereits mitten in den Schwierigkeiten und der Problematik des angeschlagenen Themas sowie der vorgebrachten Lösungsvorschläge.

Daß wir, besonders während der ersten beiden Jahre nach 1945, eine Invasion ausländischer Musik, Theaterstücke und Filme zu verzeichnen hatten, war nicht nur der lebhaften Tätigkeit der verschiedenen Kulturabteilungen der Besatzungsmächte zuzuschreiben, sondern entsprach, wenigstens zum großen Teil, auch dem echten Bedürfnis unseres Publikums, nun einmal all das kennenzulernen, wovon man durch viele Jahre hindurch abgeschnitten war. Was von dem hiebei Gebotenen wertvoll oder von geringem Wert war, darüber gingen — wie in allen Dingen der Kunst — die Meinungen auseinander. Trotz dieses Einwands sei zugegeben, daß von einer gewissen Überfremdung unseres Kulturlebens gesprochen werden konnte. Doch ist inzwischen auf diesem Gebiet eine weitgehende Normalisierung, sowohl in bezug auf das Verhältnis von ausländischen und einheimischen Werken, als auch was die Qualität des Gebotenen betrifft, eingetreten.

Da es sich bei dem vom Komponistenbund eingereichten Forderungsprogramm um das Schaffen der Lebenden handelt, muß hiezu auch gleich bemerkt werden, daß die Frage der Aufführung zeitgenössischer österreichischer Werke “on der der Aufführung neuer Musik im allgemeinen nicht herausgelöst und isoliert betrachtet werden kann. (Einen besonderen Hinweis darauf gibt ja der Komponistenverband selbst durch die scharfe Kritik, die an der Spielplangestaltung der Salzburger Festspiele geübt wird und die sich wohl in erster Linie auf die dort im Laufe der letzten Jahre uraufgeführten neuen Opern bezieht — unter denen, nebstbei, sich auch das Werk eines Österreichers findet!). Zugunsten des Schaffens der Lebenden, insbesondere der jungen österreichischen Komponisten, wurde an dieser Stelle so oft gesprochen, daß es nicht mißverstanden werden kann, wenn wir diese Befürwortung auf alle neue Musik, soweit sie von Wert ist, ausgedehnt wissen wollen. Eine Reglementierung im Verhältnis 50 : 50 scheint uns nicht nur prinzipiell bedenklich, sondern entspricht auch nicht dem objektiven Wert der österreichischen Produktion. — Jedes Land fördert die Werke seiner eigenen Künstler. So wollen auch wir es halten. Aber eine gesetzliche Regelung auf der Basis eines „Numerus clausus“ für ausländische Werke scheint uns weit über das erstrebte Ziel hinauszuschießen.

Im Rahmen der Förderung des zeitgenössischen Schaffens sollen auch unsere heimischen Komponisten den entsprechenden Platz erhalten. Auf diesem Gebiet wurde gerade während der letzten Jahre viel erreicht. Das Konzerthaus hat von allem Anfang an diese Linie eingeschlagen und konsequent verfolgt. Die Programme des Musikvereins haben sich spürbar zugunsten der zeitgenössischen Musik gewandelt, denn fast in jedem größeren Konzert wurde ein neueres Werk gespielt. Zwar war bisher die Avantgarde hier spärlich vertreten, und man könnte diese Programmgestaltung als einen Kompromiß bezeichnen. Aber auch dieser Kompromiß ist ein Fortschritt. — Das Wiener Kammerorchester brachte fast in jedem seiner Konzerte eine österreichische Erstaufführung. Drei Gesellschaften (IGNM, ÖGZM und Mozartgemeinde) sowie das „Studio für neue Musik“ haben sich die spezielle Aufgabe gestellt, das zeitgenössische Schaffen zu fördern. Die Musikabteilung der Ravag arbeitet unter der Leitung eines erfahrenen Musikfachmanns, der dem Schaffen der Lebenden aufgeschlossen ist; außerdem haben dort — im Rahmen der „Modernen Stunde“ — zwei Pioniere der neuen Musik ein zwar beschränktes, aber wohlgenütztes Arbeitsfeld. Man kann also wirklich nicht behaupten, daß die österreichischen Komponisten in ihrer Heimat vernachlässigt werden!

Viel weniger erfreulich sieht es in bezug auf die Aufführungsmöglichkeiten Lebender im Ausland aus. Dort denkt man kaum daran, die Gastfreundschaft, welche die Komponisten etwa Englands oder Rußlands bei uns genießen, mit dem gleichen Entgegenkommen zu lohnen. Freilich ist die Aufgabe der ausländischen Kulturinstitute in Wien, etwa der „Division des Affaires Culturelles“ oder der Polnischen Kulturabteilung in erster Linie, die Kulturerzeugnisse ihres Landes bei uns zu propagieren, und sowohl die Großen Vier als auch unsere Nachbarstaaten tun das mit viel Eifer und Geschick. Hier müßte durch unsere Auslandsvertretungen die Initiative ergriffen werden. Und wenn wir nicht jene Geldmittel zur Verfügung haben, welche andere Staaten für kulturelle Veranstaltungen investieren können, so dürfen wir doch nicht völlig passiv bleiben. Ein einziger guter Kulturattache kann hier auch mit bescheidenem Aufwand Bedeutendes leisten, denn er stünde ja — was die zu vermittelnden Kunstwerke betrifft — nicht mit leeren Händen da. Aber es muß der rechte Mann am rechten Ort sein. Bei der Verrechnung der Aufführungsgebühren mit dem Ausland hat die ernste Musik zwar nur einen Anteil von etwa einem Prozent. Aber gerade auf dieses eine Prozent kommt es aus Gründen des Prestiges an. Eine „gesetzliche Regelung“ ist ja im Ausland sowieso nicht möglich. Hier kann nur, neben den genannten Stellen, die Initiative der Musikgesellschaften mit Auslandsverbindungen, etwa der IGNM, der Ravag und des Komponistenverbandes helfen.

Dagegen ist den konzertveranstaltenden Gesellschaften die Beiziehung von Fachmusikern für die Auswahl insbesondere größerer zeitgenössischer Werke dringend zu empfehlen, damit diese nicht, wie bisher, dem Zufall — das heißt dem Geschmack des Stardirigenten oder den persönlichen Beziehungen einzelner Komponisten — überlassen bleibe. Auf diesem Gebiet hat es Mißgriffe gegeben, die angesichts der hohen Kosten einer Orchesteraufführung kaum zu entschuldigen sind. Mögen die Konzertveranstalter dazukommen, nicht konsequent den Weg der geringsten Schwierigkeiten (etwa bei der Materialbeschaffung) und des geringsten Widerstandes (bei Publikum, Orchester und Dirigent) zu gehen, sondern die Auswahl nach dem Wert treffen. Die Sachlichkeit und die Verantwortung vor der Kunst zwingt uns bei dieser Gelegenheit auch die Frage auf, weshalb seit 1945 in unseren Konzertsälen kein einziger lebender deutscher Komponist mit einem repräsentativen Werk zu Wort gekommen ist? Unter diesen gibt es ältere Künstler, die zwischen 1933 und 1945 „unerwünscht“ waren und jetzt in der ganzen Welt gespielt werden, von der Generation der heute 30jährigen ganz zu schweigen. Die Antwort darauf ist leicht gegeben: Weil man sich nämlich selbst darum kümmern müßte und verantwortlich auszuwählen hätte — wozu anscheinend kaum jemand in der Lage ist.

Kommen wir nach diesen Betrachtungen zu einem Schluß, so ist unsere Meinung: Förderung des Schaffens lebender Komponisten im In- und Ausland bei jeder Gelegenheit, vor allem auch durch Kompositionsaufträge. Gesetzliche Regelung nach dem Vorbild eines Numerus clausus: entschieden nein, auch nicht um materieller Vorteile willen. Im Zeitalter der privaten und staatlichen Konzernbildung, Monopolisierung und „Lenkung“ wird der Raum der persönlichen, menschlichen Freiheit Immer enger. Die Kunst ist — vorläufig noch — eine solche Zitadelle der Freiheit. Wir wollen sie verteidigen, so lange es möglich ist.

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