6690453-1962_35_14.jpg
Digital In Arbeit

DIE BÜHNEN ÖSTERREICHS

Werbung
Werbung
Werbung

Uberall schöpft Theater aus Tradition. Für Osterreich gilt dies in besonderem Maße. Wieweit sich die Hereinnahme überkommener Formen mit einer aus unserer Zeit erstandenen Thematik zu einem harmonischen Ganzen vereinbaren läßt, scheint einer höheren Betrachtung wert. An Hand einiger Fragen soll der Versuch gemacht werden, einen knappen, in keiner Weise abgeschlossenen Querschnitt durch die Situation des Theaters heute und im besonderen des Theaters in Österreich zu legen.

Wir leben in einer Zeit der Auflösung der traditionellen Gesellschaftsform und des Übergangs in ein technologisches Massenzeitalter. Erwachsen dem Theater in dieser Situation besondere neue gesellschaftskritische beziehungsweise gesellschaftsbildende Aufgaben?

Leon E p p, Intendant des Wiener Volkstheaters :

„Die Gesellschaftsumbildung hat bereits zu Beginn unseres Jahrhunderts eingesetzt und seither immer größere Formen angenommen. Der Einbruch der „Masse“ — sie ist für eine geistige Beeinflussung empfänglicher geworden — ist als positive Erscheinung zu werten. Uns wird damit die Möglichkeit geboten, zum menschlichen Reifungsprozeß des Publikums entscheidend beizutragen — im Gegensatz zu jener politischen Beeinflussung, wie sie in Diktaturen geübt wird. Ob diese Einflußnahme nun durch den Zynismus eines Friedrich Dürrenmatt oder die Toleranz eines Max Frisch geschieht, ist nicht so bedeutsam.

Die Arbeit des Volkstheaters in den Randgemeinden .Wiens scheint mir daher ungemein wichtig: hier wird einem Publikum, das mit dem Theater bisher kaum in Berührung kam, Dichtung vom rein Menschlichen her nahegebracht. Das Verantwortungsbewußtsein für diese Aufgabe müßte bei Regisseuren und Produzenten geweckt werden.“

Prof. Franz Stoß, Direktor des Theaters in der Josefstadt:

„Aufgabe des Theaters, so wie ich es sehe, ist es auch heute in erster Linie — Theater, echtes, blutvolles Theater zu sein. Nur wenn es das ist, kann es auch gewisse gesellschaftsbildende Funktionen übernehmen, die wohl hauptsächlich in der starken persönlichen Ausstrahlung des Menschlichen im Schauspieler auf der Bühne auf das Menschliche im Publikum zu finden sein werden.“

Für den Intendanten des Tiroler Landestheaters, Karl Goritschan, spricht der Dramaturg Hans S t ö c k 1:

„Das technologische Massenzeitalter stellt nur einen Übergang zu sich neu formenden, sich neu differenzierenden Individualitäten dar. Auch diese werden sich unter manchen anderen Möglichkeiten noch immer der Bühne bedienen, um über ihr Glück wie ihr Elend7 Aussagen zu machen, und damit auch weiterhin der Beantwortung -aller ewigen Fragen im Menschen und im All näherzukommen bemüht sein. Die letzten und tiefsten Inhalte der Kunst werden keine Veränderung erfahren, solange überhaupt Menschen existieren. Wohl können sich die Ausdrucksmittel der Kunst noch vermehren, können noch mehr variieren. Ganz verschwinden wird das aber alles nicht eher, als bis der Mensch verschwunden sein wird.“

Richard W e g e 1 e r, Leiter des Theaters für Vorarlberg:

„Das Theater hat immer gesellschaftskrdtische und gesellschaftsbildende Aufgaben gehabt, sie liegen im Wesen seiner Natur. Inwieweit diese nun .besonders' und ,neu' sein sollen, im Hinblick auf die geistige Situation der Zeit, hängt vom jeweiligen Standpunkt des Beurteilenden ab, also von dem des Dichters, des Regisseurs und des Theaterleiters... Da kein allgemein verbindlicher Stand- und Blickpunkt besteht, geschieht dies im der Praxis heilte auf mannigfache Art, vom Beharrungswillen im Bewährten bis zum Ungestüm einer Avantgarde, die im luftleeren Raum agiert, da sie eben eine gültige Bewältigung des Zeit- und Weltbildes nicht gefunden und sich einstweilen im Zerstören manifestiert, da sie ein konstruktives Neues nicht zu bieten hat. Ich glaube, daß in unserer jetzigen Situation das Theater die Aufgabe hat, dem Rechnung zu tragen und einen Querschnitt der Entwicklung zu zeigen, den neuen Erscheinungen in einer positiven Weise Raum zu geben, die der Vorstellungskraft des heutigen Publikums entspricht, oder besser, ihr den Übergang in den neuen Raum bereitet.“

Ludwig Skumautz für den Intendanten des S t a d 11 h e a-ters Klagenfurt, Otto Hans Böhm:

„Ja. Indem es sich für ein illusionsloses Theater einsetzt, das den innerlich zerfaserten Menschen von heute so sieht, wie er wirklich ist. Man stelle das Bild des aufgelösten, des atomisier-ten Menschen als eine für unsere Gegenwart notwendige Entwicklungsphase auf die Bühne: durch die totale Zertrümmerung eines „heilen“ Menschenbildes könnten ihm wieder persönliche Züge abgewonnen werden. (Ohne dabei destruktiv zu sein!) Die .Gefangenensituation' des heutigen Menschen tritt uns überall entgegen, ebenso sein elementares Freiheitsbedürfnis. Dieser Realität Rechnung tragend, muß das Theater ihn vor dem Irrtum einer .sanften Synthese' schützen.“

Kommt dem Theater unserer Zeit eine soziale Funktion zu? Prof. Franz Stoß (Wien):

„Die soziale Funktion des Theaters unserer Zeit dürfte wohl vor allem darin zu erblicken sein, daß ein oft extremes, vielschichtiges Publikum durch das gemeinsame Erlebnis dramatischer Vorgänge und menschlicher Schicksale, durch gleichzeitige Erschütterung in Tragödie und Komödie zu einer -- wenigstens vorübergehend — homogenen Einheit zusammengeschmolzen wird.“

Leon E p p (Wien):

„Die soziale Funktion des Theaters ist eine kulturpolitische. Sie besteht nicht darin, das geistige Leben des Menschen im selben Maße zu betreuen, wie es durch soziale Errungenschaften in den anderen Lebensbereichen geschieht. Also nicht in der Sorge um die Erhaltung der Bequemlichkeit des Daseins, sondern im Bemühen um eine geistige Erneuerung.“

Dr. Heinz Gerstinger, Chefdramaturg der „V e r e i-nigten Bühnen — Graz“:

„Die Pflege der ernsten, neuen Literatur muß einen immer breiteren Raum im Spielplan unserer Bühnen einnehmen... Die neuen Stilrichtungen, die grundsätzlich ein Theater der Situation an Stelle der Handlung verlangen, stellen aber vollkommen andere Ansprüche an das Publikum. Da sie aber Ausdrucksformen unserer Zeit oder eben besagter Zeitwende sind, scheinen sie dazu ausersehen, dem Publikum den Blick in neue künstlerische Bereiche zu eröffnen. Daß bei Vorstellungen von Stük-ken moderner Autoren die Jugend in der Mehrzahl ist, scheint heute nicht nur eine Modeerscheinung, sondern ein Symptom eines Übergangs in der Bewertung und Aufnahmemöglichkeit eines Kunstwerkes.

Durch den Ausschluß der bloßen Unterhaltungsstücke, die fast nur noch von Kino und Fernsehen gepflegt werden, ist das Theater kein Vergnügungsinstitut für Massen mehr. Immer stärker entwickelt sich ein Spezialpublikum. Diese Entwicklung bedeutet aber die Gefahr der Schaffung einer neuen Klasse von intellektuellen Außenseitern. Ein Hauptanliegen des Theaters — auch aus gesellschaftlichen Gründen — muß daher der Gewinn neuer Publikumskreise sein, vor allem aus dem mittlerweile sozial aufgestiegenen Arbeiterstand. Der Lebensmateriatismus der Massen, der unbedingt zu einer Selbstaufgabe des sogenannten antimaterialistischen Westens fuhren muß, kann so durchbrochen werden . ..“

Ähnliche Aspekte weist auch die Antwort Richard W e g e-1 e r s (Bregenz) auf diese Frage auf. Hans S t ö c k I (Innsbruck):

„Dem Theater kommt auch in unserer Zeit eine soziale Funktion zu, solange es sich nicht selbst völlig seiner ideellen Funktion begibt. Jeder Mensch, den auch nur ein einziger Satz in einer Bühnendichtung solange aufhorchen machte, bis er zur Bemühung bereit war, ihn zu verstehen, ist durch diesen einen Satz in einem winzigen Teil seines Herzens, seines Geistes „entpöbelt“ worden. Und um dieses winzigen Teiles in jeder Menschenseele willen müssen wir weiter Theaterspielen, und müssen das immer reiner und kraftvoller, wahrer und erlösender versuchen.“

Ludwig Skumautz (Klagenfurt):

„Die Blüte des Wirtschaftslebens und der Technik steht in keinem Verhältnis zu einer gewissen Dürre des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens. Der Kunst-.Betrieb' unserer Zeit müßte vom teuren Markt der Eitelkeit befreit werden.“

Wie beurteilen Sie die Lage der dramatischen Literatur in Österreich und ihre Verwirklichung auf der Bühne? Prof. Franz Stoß (Wien):

„Die Produktion neuer österreichischer Dramen, die sich auf der Bühne als lebensfähig erweisen, ist prozentual gesehen nicht geringer als jene in Frankreich, England oder Amerika, die allerdings infolge ihres großen Reservoirs spielplanbestimmend ist. Diesem größeren Angebot ausländischer Stücke steht jedoch das Bestreben wohl jedes österreichischen Theaterdirektors gegenüber, wenn nur Irgend möglich, den österreichischen Autor zu fördern.“

Leon Epp (Wien):

„Es regt sich manches. Die vorläufigen Ergebnisse sind zwar vielfach noch mit dramaturgischen Unzulänglichkeiten behaftet, zeigen jedoch unzweifelhaft neue Aspekte. Es sind Versuche, die psychischen Wirren unserer Zeit in eine dramaturgische Form zu kleiden. Das Volkstheater hat sich dieser Talente immer angenommen, es wird sie auch in Zukunft in den Vordergrund stellen.“

Dr. Heinz Gerstinger (Graz) stellt ebenfalls ein prozentuelles Äquivalent Österreichisoher Produktionen gegenüber dem Ausland fest.

Richard Wegeier (Bregenz):

„Es ist zu sagen, daß in letzter Zeit eine Reihe von brauchbaren Bühnenstücken von österreichischen Autoren geschrieben wurden, die sich auch auf der Bühne spielen lassen. Wesentlich im Sinne der Aussage unserer Zeit ist mir persönlich bis jetzt noch nichts untergekommen. Musil, Herzmanowsky und so weiter gehören eigentlich einer vergangenen Epoche an und wurden erst jetzt für die* Bühne'ntdecWA Prognosen sind *drtWt-r

Ludwig Skumautz (Klagenfurt):

„Die Theater sammeln fleißig Manuskripte. Aber es gibt nichts Künstlerisches von Rang und seltener Qualität. Aufführungen der meisten Werke sind für eine kleinere Provinzbühne — selbst als Experiment — kaum lohnend. Trotzdem bin ich der Meinung, daß österreichische dramatische Literatur, sofern sie nicht im Bereich der Qualitätsarmut einerseits und der Destruktionstendenz anderseits liegt, gefördert werden soll. Was am hiesigen Stadttheater auch von Zeit zu Zeit geschieht.“

Hans Stöckl (Innsbruck):

„Die Lage der dramatischen Literatur in Österreich hängt nur von Form und Kraft ihrer Aussage ab. Was eine Welt nötig hat, wird ihr zuletzt immer zuteil, auch an Theaterdichtung. Aber um für die Bühne zu schreiben, muß man natürlich wissen, muß bewältigen, wie hier Inhalt und Form in Einklang zu setzen sind. Was kein Theater zu spielen bereit ist, keines spielen kann, mußte wohl auch nicht für das Theater geschrieben werden. Nicht das universal gültige Thema ist das Geheimnis des Bühnenerfolges, sondern die Fähigkeit des Autors, das Abenteuer seiner eigenen imaginationssüchtigen Seele dem Publikum in theatergültiger Form zu vermitteln. Wie viele Autoren können das.. ?“

C oweit die Beiträge. Sie sind in ihren Intentionen interes-& santerweise mit dem Gebiet der jeweiligen Bühne kongruent. Gleichzeitig erweisen sie jene Vielfältigkeit, wie sie unser Theater glücklicherweise kennzeichnet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung